für Axel Ganz und Renate
sowie Anna Siewert,
Freunde fürs Leben
Helmut Sorge
Ich hätte
König sein
können
Short Stories
aus einer anderen Welt
Lindemanns
Die erwähnten Personen und Gegebenheiten
entsprechen mehrheitlich nicht der Wirklichkeit.
Zufällige Ähnlichkeiten sind eben das: zufällig.
Signore Sorge da Eppendorf
Ich hätte König sein können, zumindest ein kleiner Monarch, ohne Untertanen. Ihre königliche Hoheit und ich. Durchlaucht, das wär doch was!
Ja, ich hatte eine Freundin, die war Prinzessin und gelegentlich entdeckte ich sie beim Durchblättern der „Gala“ oder „Bunten“. Ich war nie auf dem Foto zu sehen. Warum auch? Adel bleibt unter sich, und ich war nun wirklich einer aus dem Kohlenkeller, einem Haushalt, in dem Schlager von Vico Torriani oder Lale Andersen jene Klassiker von Giuseppe Verdi oder Johannes Brahms erdrückten. Also ein Kulturloser der Masse – Karl May statt Heine oder Goethe. Na ja, Grimms Märchen. Erich Kästner. Selma Lagerlöf, die Wildgänse in mein Leben fliegen ließ.
Meine Geliebte, sie war tatsächlich eine Cousine der Queen, der echten, der britischen. Ich war bei ihr im Palast zum Tee, allerdings hat die ewige Elizabeth davon nie erfahren. Ein Freund aus ihrem Beraterstab, auch kein Adeliger, aber immerhin ein berittener Gardeoffizier, hatte mich in sein Büro im Buckingham Palast eingeladen, weil meine Geliebte mit einem Verehrer aus dem gemeinen Volk offiziell nicht auftreten wollte. Ein Arbeiterkind hatte eine bessere Perspektive in der Fremdenlegion als im britischen Adel. Also blieb ich inkognito, trat in den Schatten, sobald Fotografen geortet wurden. In Wimbledon hockte sie in der königlichen Loge und ich auf einer Pressebank, zusammengedrückt von einem Finnen, der nach Matjes und Schnaps roch, und einem Japaner, der auf seinem Schreibmaschinenkoffer saß, weil er sonst außer der Rolex-Werbung vom Center Court nichts gesehen hätte.
Ja, wäre ich ein königlicher Typ, zumindest Hollywood-gestempelt, gewesen, säße ich mit meiner Adeligen in der Loge, direkt neben einer nachgeblondeten, königlichen Hoheit, die Lutschbonbons durch den Mund schob, denn Tennis interessierte sie nicht wirklich. Wer weiß, mit welchem Zauber sie den echten Herzog aus dem Gleichgewicht geschreckt hat? Aber sie hockte da oben und ich weiter unten, und meine Prinzessin würde mich nie vorführen. Verführt hatte sie mich bereits, und das war wirklich königlich.
Gelegentlich löste sich mein Monarchenmädel aus der adeligen Ethik und erklärte mir, ich müsse sie zu einem Cocktail begleiten. An der Tür zum Saal stand ein Mann, zwei Meter hoch, uniformiert und mit derart vielen Orden bestückt, dass er vermutlich bereits im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg für die Monarchie seinen Kopf hingehalten hat. Meine Hoheit reichte ihm die goldgedruckte Einladung, die teuerer war als
die Schuhe, die ich trug, obwohl die in der Jermyn Street so viel kosten wie ein Kaschmir-Anzug mit Weste bei Armani.
Der Ordensritter blickte, via Monokel rechts, auf die Karte, klopfte auf den massiven Holzboden und bellte auf den Höhen eines Rekrutenschänders: „Ladies and Gentlemen, her Royal Highness, the Princess of Wonderful.“ Dann betrachtete er mich, zeigte aber keine Abneigung, Mitleid oder Verachtung in seinem von dunklem Guinness aufgeblasenen Gesicht, blickte auf meinen Namen, beobachtete das nun schweigende, in Erwartung schwelgende Partyvolk und rief: „Und ... Herr ... Sorge.“
Kein armes, verlorenes „von“, nicht Graf oder erbärmlicher Fürst, nur Banalität. Zumindest Helmut hätte er hinzufügen können. Oder il Signore Sorge da Eppendorf. Ein Stadtteil, in dem ich, trotz Abwurfs britischer Bomben, anno 1942, geboren wurde. Mit Bill Gates hätte es anders ausgesehen, aber der hatte seine Computer noch nicht erfunden, als ich bereits die Prinzessin bettete und davon träumte ihr König zu sein.
Arbeit bringt nur Falten ins Gesicht
Meine Prinzessin Wonderful war wirklich eine außergewöhnliche Person. Sie sprach Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Deutsch, war eine begnadete Skiläuferin und sie brachte einen unangenehm angeschnittenen Aufschlag übers Netz. Nicht wirklich überraschend. Sie musste in ihrem Leben nie arbeiten. Warum auch? Arbeit bringt nur Falten ins Gesicht und Schwielen auf die Hände. Ihr königlicher Vater war nicht eben großzügig, aber Antoinette geriet ohnehin meist nur an Männer, die Privatflugzeuge chartern konnten oder besaßen; und wenn die Jets groß genug waren, dann heiratete sie auch beherzt. Fremde Pässe waren willkommen. Da ich nicht einmal ein antiquiertes Modellflugzeug besaß, musste ich keine Ehe befürchten, und eine solche hat sie mir auch nie angetragen.
Ich traf sie erstmals bei einem Freund in Covent Garden, einem wunderbaren Menschen, kultiviert, charmant, humorvoll. Und Ire obendrein. Ich muss mich korrigieren: Möglicherweise war er Schotte, spielte allerdings kein Golf, trug nie einen Kilt, jene unerotischen Männerröcke, und bevorzugte Cognac statt Whisky. Wir hockten bei George in der Küche und er kochte selbst, obgleich er bereits Minister in der britischen Regierung war. Überdies war er Weinexperte und konnte einen Château Rothschild von allen anderen Châteaux unterscheiden, das heißt den Rotwein, was für seine Nase und/oder seinen Kontostand spricht. George konnte Shakespeare rezitieren, den Hamlet, der ungekürzt auf der Bühne wohl um die vier Stunden benötigt. Er hat Orson Wells gekannt und sogar Hemingway getroffen, worum ich ihn beneidete. Nein, nicht bei einer Lesung, shame on you! Entenjagd. In Venedig und zu Tisch mit „Papa“ in der „Locanda Cipriani“ auf Torcello. Hemingway und Venedig – my kind of town.
Der greise Lord hatte mich nicht alarmiert, dass eine echte Prinzessin am Tisch sitzen würde, weil er sie als relativ unzuverlässig in ihren gesellschaftlichen Pflichten kannte und nie sicher war, ob sie auftreten würde, allein, oder womöglich begleitet von ihrem Cousin, dem ältesten Sohn der Queen. Der darf sich eher Hoffnung machen als ich, eines Tages König zu werden, obwohl Mom, inzwischen 90 plus auf dem Tacho des Lebens, ihn womöglich überlebt. Antoinette kam solo und war elegant und vergnügt. Sie aß mit den Fingern, wenn ein Pfifferling vom Salat auf die gestärkte Leinendecke glitt. Wir waren zu viert. Ich hätte es nahezu vergessen.
Die stilvolle italienische Ehefrau des Gastgebers sprach Englisch mit venezianischem Akzent, den ich, zugegeben, erst erkannte, nachdem ich sie gefragt hatte, ob sie in Venezuela geboren sei, heute ein Land negativer Schlagzeilen. Diktatur und so. Wie ihr Mann plauderte die schöne Gastgeberin entspannt über Weinanbaugebiete und Trüffelfunde nahe Turin, wo man eigentlich nur Fiat erwartet oder Juventus, vertiefte sich mit Antoinette in die Karriere des George Orwell, der vor Jahrzehnten ein Werk über die Kolonialzeit in Burma geschrieben hatte, welches sie meiner Geliebten dringend als Lektüre empfahl, da meine Prinzessin das nach einer demokratischen Atempause wieder von Generälen unterdrückte Land alsbald erkunden wollte.
Antoinette, das wurde mir später klar, machte viele Reisepläne, in etwa so wie ich als Junge, der am Hamburger Hafen das Ablegen der Frachter verfolgte und sich vorstellte, wie er eben mit diesem Schiff Jamaika erreichen würde, und mit dem anderen Dampfer New York und Kapstadt oder Sydney. Selbst Cuxhaven erweckte Fernweh in meiner Trümmer-vertrauten Seele. Später bin ich mit meiner Freundin häufiger verreist, aber eigentlich erreichten wir nie das Ziel, das wir uns gesetzt hatten. Wir schaukelten wie in einer Luftblase um die Welt; und Japan sind wir lediglich über Sushi-Restaurants näher gekommen.
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