So besteht also kein grundsätzlicher Widerspruch zwischen der Engelreligion und dem Christentum, jedenfalls in seiner katholischen Gestalt. Nachdrücklich muss aber auch das andere gesagt werden: Es führt kein direkter Weg von der Engelreligion zum Gott des christlichen Glaubens! Von diesem Gott, dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, dem Gott des Mose und dem Gott Jesu Christi ist in der ganzen einschlägigen Engelliteratur nicht die Rede. Zwar fällt verschiedentlich das Wort Gott oder es wird vom Göttlichen gesprochen, aber damit ist nicht der Gott des christlichen Glaubens gemeint. Der Pan-Angelismus dieser Religion ist vielmehr ein Pantheismus; ,Gott‘ gilt als Chiffre für das Universum, für die Welt der Engel allgemein, für spirituelle Energie. Die Engelreligion bezieht sich nur auf die Erfahrung himmlischer Mächte, Gott aber ist der Schöpfer des Himmels. Wie sollten sie auch auf Gott stoßen, wo Gott doch in der Welt nicht vorkommt? So ist denn auch kein Glaube gefordert, sondern nur eine besondere Wahrnehmungsfähigkeit für spirituelle Energien. Der Begriff Engel – von angeloi, Boten –, der aus der Bibel übernommen ist, wird demgemäß eigentlich ungenau oder sogar missbräuchlich verwendet, denn Boten Gottes oder Vermittler zu Gott können die Engel in dieser Religion nicht sein. Sie gelten selbst als göttlich. Sie verweisen offensichtlich nicht auf ihren Schöpfer. Somit ist übrigens der Beweis erbracht, dass die in der Religionspädagogik vielfach wiederholte These, die Weckung natürlicher Religiosität bereite von selbst auf den christlichen Glauben vor, nicht stimmt. Hier haben wir es mit einer voll ausgebildeten Religion zu tun, aber Gott kommt darin nicht vor.
Die Engelreligion ist eine Religion ohne Gott. Sie ist die Fortsetzung des vor- und außerchristlichen Polytheismus unter den Bedingungen der Moderne, nur dass die Götter jetzt Engel heißen. Sie weiß nichts von der Offenbarung des wahren Gottes. Deshalb ist sie auf immer neue Offenbarungen der Engel-Medien und spirituellen Seherinnen angewiesen. Wie viele dieser Engelbücher behaupten doch nicht von sich, sie seien „im Auftrag der geistigen Welt“ entstanden 89, oder man hat gleich einen heißen Draht zur himmlischen Führung wie Doreen Virtue. Diese Offenbarungen wuchern aus, sie verlieren sich ins Unentscheidbare und Unübersehbare. 90Und doch ist eine Religion ohne Gott immer noch die einfachere Religion. Sie braucht sich ja nur an ihre Wahrnehmungen zu halten und kann das unergründliche Geheimnis Gottes aussparen. In der Engelreligion äußert sich ein zeitgemäßes Bedürfnis nach religiöser Komplexitätsreduktion. Es wird Ordnung in der Religion geschaffen. Immer wieder trifft man auf Versuche, den religiösen Kosmos zu vereinheitlichen, Engelordnungen und -hierarchien aufzustellen, die zwar zueinander nicht widerspruchsfrei sind, aber doch jeweils für sich ein stimmiges Bild ergeben. Sieben Erzengel für sieben Tage, verbunden mit sieben Energiechakren, das passt. Und wenn die Bibel nur mit drei Erzengeln dienen kann, dann müssen eben vier weitere gefunden werden. Entsprechende Hellsichtigkeit kommt hier wie bei Jana Haas gerade recht.
Christen können sich damit nicht zufriedengeben. Nicht, weil das Christentum unter allen Umständen Recht behalten muss. Sondern weil der Engelreligion eine wilde und maßlose, eine verwilderte Angelologie zugrunde liegt. 91Und diese kann leicht gefährlich werden. Wie gezeigt, fügt sie sich allzu sehr unseren Bedürfnissen und damit der Maßlosigkeit unserer Ökonomie, der sie nichts entgegenzusetzen hat, die sie vielmehr ins Religiöse hinein verlängert. Und wo die dunkle Seite des Himmels gesehen wird, da bleibt Erlösung aus. Die lichte Seite dieser Religion wird mit der Macht des Bösen nicht fertig, sie ist ja nur ihre andere Seite. An die Stelle von im Glauben begründeter Erlösungshoffnung treten Todessehnsucht, Gewaltfantasien und Satanismus, nicht selten und nicht zufällig verbunden mit fanatischem Antichristentum. Die Wiederkehr der germanischen Kampfgottheiten in der Gothic-Szene zeigt einen schlimmen Zustand der Religion an. Heinrich Heine hat es vorausgesehen: „Das Christentum – und das ist sein schönstes Verdienst – hat jene brutale germanische Kampflust einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut, wovon die nordischen Dichter soviel singen und sagen. Jener Talisman ist morsch, und kommen wird der Tag, wo er kläglich zusammenbricht. Die alten steinernen Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt und reiben sich den tausendjährigen Staub aus den Augen, und Thor mit dem Riesenhammer springt endlich empor und zerschlägt die gotischen Dome.“ 92
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