Die handelnden Personen und ihre Schicksale sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind nicht beabsichtigt.
Roswitha Koert wurde zu diesem Buch inspiriert, als sie von dem Schiffsunglück vor der Insel Giglio erfuhr. Ein Jahr zuvor erlebte sie auf eben diesem Kreuzfahrtschiff ihre Traumreise – genau auf der Route, auf der später das Drama geschah.
1. Auflage Oktober 2015
© 2015 OCM GmbH, Dortmund
Gestaltung, Satz und Herstellung:
OCM GmbH, Dortmund
Verlag:
OCM GmbH, Dortmund, www.ocm-verlag.de
Umschlagfoto:
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ISBN 978-3-942672-40-5
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Roswitha Koert
Kursänderung
der C. C.
Vorher
Norbert blickte hoch zum Glockenturm der Lambertikirche. Der Türmer blies das erste Mal, das bedeutete, dass es neun Uhr abends war. Bis Mitternacht würde er halbstündlich sein Horn in alle vier Himmelsrichtungen blasen.
Münsters höchster und ältester Arbeitsplatz.
Man suche einen Nachfolger, berichtete die Lokalpresse.
Der alte Schulze wolle in Rente gehen.
Norbert schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Obwohl der Kalender Ende Mai anzeigte, waren die Abende empfindlich kalt.
Vielleicht sollte er sich bewerben. Dann würde er endlich etwas Sinnvolles tun; sinnvoller als alten Damen Aktien und Fonds anzudrehen.
Norbert blickte wieder hoch. Es begann zu dämmern und er musste seine Augen anstrengen, um die eisernen Körbe hoch im Turm der Lambertikirche noch zu erkennen.
»Jan van Leiden, Bernd Knipperdolling und Bernd Krechting«, murmelte Norbert. Er hatte die Namen der Wiedertäufer im Geschichtsunterricht auswendig gelernt.
Für einen Augenblick stellte sich Norbert vor, dort oben in einem der eisernen Körbe auf seinen Tod zu warten; Kälte, Regen und Sturm ausgesetzt zu sein, das Trommelfell zerfetzt vom unbarmherzigen Läuten der Glocken.
Für den Bruchteil einer Sekunde empfand er es als gerechte Strafe. Als Strafe für das, was er getan hatte.
Er hatte seine Frau umgebracht, beinahe jedenfalls.
Er schüttelte sich. Selbstzerfleischung half ihm jetzt auch nicht weiter. Er musste reinen Tisch machen.
Er überquerte den Prinzipalmarkt und lief mit energischen Schritten stadtauswärts. Die kleine Pizzeria, die ihre beste Zeit längst hinter sich hatte, empfing ihn mit ihrem typischen Knoblauchgeruch. Maike saß an einem der hinteren Tische und wartete bereits auf ihn.
Als sie ihn erblickte, sprang sie auf.
»Nobby, Darling, was ist geschehen?«
»Psst, nicht so laut, Maike. Muss ja nicht der ganze Laden mithören.«
Maike sah sich fragend um. Die Tische in der Nähe waren alle unbesetzt.
»Du warst so komisch am Telefon«, erwiderte Maike jetzt mit gedämpfter Stimme. »Was ist denn los?«
»Meine Frau, sie liegt im Krankenhaus.«
»Etwas Schlimmes?« Maikes Stimme klang eher trotzig als besorgt.
»Sie hat versucht, sich umzubringen.«
Maike sank wortlos auf ihren Stuhl, ihre Augen weiteten sich unnatürlich.
»Wie hat sie es herausbekommen? Hat sie uns gesehen?«
»Ich hab es ihr gesagt!«
»Du hast es ihr gesagt? Warum?«
»Ich wollte reinen Tisch machen!«
»Du wolltest dich von ihr trennen?« In Maikes Stimme klang eine unerwartete Freude.
»Nein!« Norberts Antwort kam heftig. »Ich wollte ihr reinen Wein einschenken. Bevor ich …«
»Bevor du was?«
»Bevor ich mit dir Schluss mache.«
Maike schloss die Augen und sackte ganz langsam nach links. Norbert konnte sie gerade noch festhalten, bevor sie auf den Boden fiel.
»Nobby, das darfst du nicht. Du bist alles, was ich habe. Ohne dich …« Maike war wieder zu sich gekommen und wimmerte nun wie ein kleiner Hund.
»Sei nicht so theatralisch! Ich habe dir nie etwas vorgemacht.« Norberts Stimme klang zornig.
»Aber wir waren doch so glücklich. Du hast mir doch selbst gesagt, dass deine Ehe langweilig geworden ist, dass deine Frau immer zu Hause sein wollte, dass du etwas anderes vom Leben erwartest als Fernsehen und Kirchgang am Sonntag.«
»Ja, das stimmt schon, Maike. Aber sie ist meine Frau. Und ich will einen Neuanfang mit ihr.«
»Mit ihr, nicht mit mir«, antwortete Maike und ließ dicke Tränen achtlos ihr Make-up ruinieren.
»Und wenn ich nun auch versuche, mich umzubringen? Für wen entscheidest du dich dann?«
»Red keinen Unsinn, Maike. Dafür bist du nicht der Typ. Auf dich wartet in der Bank doch schon der nächste unglückliche Ehemann, den du trösten kannst.«
Die Ohrfeige kam überraschend für Norbert, ein Ausweichen daher unmöglich. Doch er genoss den brennenden Schmerz auf seiner Wange.
Die psychiatrische Abteilung der Uniklinik Münster lag in einem weitläufigen Garten. Norbert blickte vom Fenster des Arztzimmers direkt auf einen Teich mit pinkfarbigen Seerosen.
»Wir schließen zurzeit einen weiteren Suizidversuch ihrer Frau mit großer Wahrscheinlichkeit aus. Aber hundertprozentig sicher kann man nie sein. Ihre Frau zeigte nach ihren eigenen Angaben schon seit geraumer Zeit deutliche Anzeichen einer Depression. Das Eingeständnis ihrer, äähhm, außerehelichen Beziehung war wohl nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.«
Dr. Möller schwieg und drehte seinen vergoldeten Kugelschreiber geschickt zwischen den Fingern der rechten Hand.
»Was empfehlen Sie als weitere Behandlung?« Norberts Stimme war belegt.
»Ihre Frau sollte auf jeden Fall eine psychiatrische Therapie machen. Ihre krankhafte Eifersucht, die man ja nun nicht mehr als grundlos bezeichnen kann, ist Ausdruck eines mangelhaften Selbstbewusstseins, das vermutlich schon in der Kindheit begründet liegt. Daran muss man auf jeden Fall arbeiten. Lassen Sie sich bei meiner Sekretärin einen Termin bei Frau Dr. Ritter geben. Sie ist eine hervorragende Therapeutin. Ihre Frau ist da in guten Händen.«
Dr. Möller stand auf und gab Norbert dadurch das Signal, dass die Audienz beendet war.
Mit dem üblichen »Ich wünsche Ihnen und Ihrer Frau alles Gute«, verabschiedete er sich. Bereits in der Tür stehend, wandte er sich noch einmal um.
»Ihre Frau ist übrigens nicht durch Sie gerettet worden, sondern durch den Umstand, dass sie erbrechen musste. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte sie bei Ihrer Heimkehr wohl nicht mehr gelebt.«
Die Tür zu Dr. Möllers Besprechungszimmer schloss sich geräuschlos.
Sandra war ganz ruhig. Ihr Atem ging gleichmäßig und kontrolliert. Selbstbeherrschung war ihr sehr wichtig. Ein Sedativum, das Dr. Hartwig ihr verschrieben hatte, half dabei. Verstohlen sah sie sich um. Ob es hier im Wartezimmer noch andere Patienten mit einer ähnlichen Diagnose gab? Vielleicht die ältere Dame, die sich demonstrativ hinter einer Illustrierten versteckte. Oder die junge Mutter, die sich vergeblich bemühte, ihren kleinen Sohn ruhig zu halten.
»Mama, warum hat die Frau so kurze Haare?«, krähte er jetzt und Sandra bereute, sich heute Morgen gegen ihre Perücke entschieden zu haben. Ihre kurzen Stoppeln gingen eben doch noch nicht als schicke Kurzhaarfrisur durch, da konnte Oliver sagen, was er wollte.
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