Ich war der Mann für alles: Reinigung, Reparaturen, Gartenarbeit
Ich bin DDR-kritisch erzogen worden
In meinem Leben spielte Artistik immer die Hauptrolle
»Mit Risiken und Nebenwirkungen«: Ostmännliche Positionen zu Schwangerschaftsabbruch und Vaterschaftstest
»Problemzone Ostmann?« Plädoyer für eine Differenzierung des Diskurses über ›den Osten‹ im Allgemeinen und ›den ostdeutschen Mann‹ im Besonderen
Literaturverzeichnis
Glossar
ibidemVerlag, Stuttgart
Ein spannendes Buch mit vielen offenen und versteckten Botschaften und Erkenntnissen. Nach den Unerhörten Ostfrauen nun die Männer – in großer Vielfalt und mit völlig unterschiedlichen Lebensentwürfen und Lebensläufen. Und hier liegt für mich eine der wichtigen Botschaften dieses Buches versteckt. Für viele westdeutsche Landsleute ist der Blick auf den Osten bis heute davon bestimmt, oder besser getrübt, dass oft relativ eintönige und einheitliche Biografien erwartet werden. Was soll es im Osten schon Spannendes gegeben haben? Welch ein Irrtum!
Zum zweiten finde ich es immer wieder interessant, wie viel Bestimmtheit für gelebtes Leben doch in den jeweiligen Ausgangssituationen und daraus resultierenden Motivationen enthalten ist. Immer wieder schimmert aus den Schilderungen sehr deutlich, dass die DDR eine Arbeitsgesellschaft war – vieles, auch im privaten Leben, rankte sich um den Betrieb, die Brigade.
Das Buch macht nochmal sehr deutlich, dass wir einem Irrtum unterliegen, wenn wir denken, dass 1989/90 eine neue Zeitrechnung bei null für alle begonnen hat. Es war eine politische und gesellschaftliche Zäsur, aber die Lebensläufe, die Biografien schrieben sich fort. Was nach diesem Einschnitt passierte, hing oft eng mit den Jahrzehnten davor zusammen – im Guten wie im Schlechten.
Man bekommt beim Lesen der einzelnen Geschichten eine Ahnung davon, was unser Bundespräsident Steinmeier meint, wenn er sagt, dass einen solchen Umbruch in seiner Wucht und Tiefe, wie ihn alle Ostdeutschen erlebt haben und verarbeiten mussten, kein Westdeutscher nach dem Zweiten Weltkrieg durchgemacht hat.
Auch deshalb ist es gut, was hier aufgeschrieben wurde – vielleicht wächst damit mehr Verständnis füreinander. Es sind zeitgeschichtliche Dokumente von bleibendem Wert.
Matthias Platzeck,
Ministerpräsident des Landes Brandenburg a.D.,
im Februar 2021
Der Ostmann ist anders und will es auch bleiben!
Was man über Ostmänner wissen sollte:
1. Der Ostmann ist durch 40 Jahre DDR geprägt, sein Erfahrungsvorsprung aus beiden deutschen Systemen macht ihn nachhaltig.
Norbert, Jahrgang 1955 | 4 Kinder, verheiratet in zweiter Ehe
Ost: Rinderzüchter, Baugeräteführer, West: Bauunternehmer, Wildtierzüchter
Kraftfahrer, Bauleiter, Haupttechnologe
Ich bin ein ziemlich sozialer Mensch
mit einem Faible für Gerechtigkeit
Ich lebte nicht allzu lange bei meinen Eltern. Sie trennten sich gerade. So kam ich zu meiner Großmutter in ein kleines Dorf bei Magdeburg. Meine Mutter studierte in dieser Zeit an der Universität. Das Dorf hat mich geprägt, die Sehnsucht nach dem weiten Land und nach Stille kommt vielleicht schon aus dieser Zeit. Meine Großmutter war ein einfaches Weiblein, mein Großvater arbeitete im Straßen- und Tiefbaukombinat in Magdeburg. Die Großmutter hatte früher bei der Post die Briefe ausgetragen. Das war nicht mehr notwendig. Sie hatte einen Hektar Spargelfeld, sich vier große Gärten aus irgendwelchen Schrebergärten ergaunert, dazu noch vier alte Häuser erworben, nichts Tolles, alte Bauernhäuser, die sie vermietet hatte. Sie war ein absoluter Spartyp. Mit dem Großvater ging es jeden Tag in die Gärten oder auf die Felder. Bei der Ernte gab's kein Abhauen. Erst nach dem Mittagessen kamen viele Freunde. Eine unbeschwerte Kindheit mit Wäldern und Feldern und Seen. Die enge Beziehung blieb bestehen, auch als ich in Berlin lebte. So fuhr ich in allen Ferien, bis ich 16 oder 17 Jahre alt war, allein mit dem Zug von Berlin-Schöneweide nach Magdeburg. Dort wurde ich abgeholt. Ich war einfach gerne bei meinen Großeltern. Die Tatsache, dass meine Großmutter mich mehr als ihren Sohn denn als ihren Enkel sah, begeisterte meine Mutter sicherlich nicht. Meinen Vater kannte ich nicht. Den lernte ich erst kennen, als ich 28 Jahre alt war. Inzwischen hatte er noch vier Kinder aus verschiedenen Beziehungen und einer Ehe. Nur mit einem Bruder pflege ich engeren Kontakt. Die anderen sehe ich gelegentlich, es ist nett und höflich.
Mein Dorfleben endete abrupt zu Beginn meiner Schulzeit. Diese begann ich in der neuen Familie in Berlin-Adlershof. Ich wusste gar nicht, dass meine Mutter mit einem neuen Mann verheiratet war. Und plötzlich hatte ich eine jüngere Schwester. Das Verhältnis zu meinem Stiefvater war von Anfang an etwas schwierig. Wir fanden nie zueinander. Beide Eltern waren beruflich sehr beschäftigt. Sie bemühten sich um uns. Aber miteinander gespielt wurde nie. Die Arbeit stand an erster Stelle.
Meine Schulzeit war für mich sehr interessant. Ich war zu Anfang ein ganz guter Schüler. Allerdings führte meine Aufmüpfigkeit in der Schule zu großen Konflikten in der Familie, sodass meine Mutter mir antrug, wegen der Neigung zum Land und zur Landwirtschaft einen solchen Beruf zu ergreifen. Dies war mit einem Umzug in ein Internat verbunden. So weit weg zu sein war wohl das Richtige für die ganze Familie. Ich war schon ziemlich renitent. So zog ich in eine kleine Stadt in der Nähe Berlins, um den Beruf des Rinderzüchters oder des Zootechnikers, verbunden mit dem Abitur, zu erlernen. So war die Familienzeit für mich mit 15 Jahren wieder vorbei.
Damit startete 1971 die große Freiheit. Eine wunderbare Zeit war dies in unserem Lehrlingsinternat mit einer Truppe von circa 200 Leuten. Wir wurden gute Freunde und unternahmen gemeinsam unheimlich viel, hatten ausgiebig Spaß, wohnten zusammen, tanzten viel. Wir erlernten einen interessanten, aber körperlich schweren Beruf. Wir 16-Jährigen arbeiteten in Zwölf-Stunden-Schichten. Die Kühe mussten ja regelmäßig gemolken werden. Die drei Jahre flossen schnell dahin. Allerdings hatte ich Schwierigkeiten mit dem Abitur. Mit 18, 19 Jahren wurde Schule zur Nebensache, zumal ich eine wunderhübsche Freundin hatte. So erlebte ich das letzte Vierteljahr vor dem Abitur gar nicht mehr in der Schule. Das führte dazu, dass man mich ausgiebig prüfte. Alle anderen wurden zweimal, ich wurde fünfmal geprüft. Und in Biologie fiel ich durch. Ausgerechnet in Biologie, wo ich vorher sehr gute Noten hatte, und nun wusste ich nicht, wie sich die Farne und Moose vermehrten. Vier Wochen später hat es funktioniert. Bei mehreren Besuchen der Lehrerin konnten wir die Lücken nacharbeiten, sodass ich das Abitur noch ablegen konnte.
Mir war klar, dass Rinderzüchter oder Milchproduzent nichts für mich ist. Das galt vor allem für die Zwölf-Stunden-Schichten, auch Weihnachten und Silvester. Zunächst musste ich aber noch anderthalb Jahre zur Armee. Erst sollte oder wollte ich zum Wachregiment der Stasi. Dann aber nicht mehr, und es gelang mir, mich dort zu entpflichten. Stattdessen wurde ich in die Nähe von Neuseddin eingezogen. Ich war kein guter Soldat, bin sehr oft nachts über den Zaun geklettert und nach Berlin zum Tanzen gefahren. Alles Militärische war mir immer sehr fremd. Ich habe nie verstanden, warum man es zu seinem Beruf machen kann, Leute totzuschießen.
Insofern ist mir der Antifaschismus deutlich näher. Faschisten und Militaristen halte ich mit ihrem politischen Ansatz einfach für schwachsinnig. Nach der Armeezeit kam ich kurz zurück in die Familie, wollte aber nicht mehr zu Hause wohnen. Da meine langjährige Freundin das auch nicht wollte, kamen wir zusammen. Sie wurde schwanger. Mit Kind bekamen wir in Adlershof eine Wohnung. So konnte ich mit 21 Jahren die Familie wieder verlassen. Die erste Ehe war nicht die große Liebe.
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