Friedhelm Kändler - Die Abenteuer der Missis Jö

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Ist das Kaffeepulver aufgebraucht und findet sich im Kühlschrank nur noch Knäckebrot, nehmen auch Diplompädagogen Aushilfsarbeiten an. Pierre de Mon trägt Briefe aus, als Urlaubsvertretung. Er wird gewarnt, vor einer Missis Jö. Sie sei unberechenbar. Außerdem gäbe es einen eigenwilligen Sohn und einen Schrank, in dem die Mutter der Missis Jö verräumt sei. Schon bald wirbelt die Begegnung mit Missis Jö Pierres Leben durcheinander. Er lernt eine kleine, lebhafte Frau kennen, die einen großartigen Kaffee kocht und sich zum Zusammenbau eines Puzzles Topflappen anzieht, um den Schwierigkeitsgrad zu steigern. Und gäbe es nicht die Vermutung, dass es sich bei Missis Jö um eine Art Hexe handelt…
Friedhelm Kändler entführt in eine Welt, in der Märchen und skurriler Alltag sich begegnen, verstaubte Spiegel den Zutritt verweigern, Friedhofsengel in Hausfluren trauern, mutmaßliche Halbvampire die Menschheit per Anleihe aussaugen und die Rehe noch Vegetarier sind.

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Friedhelm Kändler

Die Abenteuer der

Missis Jö

FUEGO

- Über dieses Buch -

Ist das Kaffeepulver aufgebraucht und findet sich im Kühlschrank nur noch Knäckebrot, nehmen auch Diplompädagogen Aushilfsarbeiten an. Pierre de Mon trägt Briefe aus, als Urlaubsvertretung. Er wird gewarnt, vor einer Missis Jö. Sie sei unberechenbar. Außerdem gäbe es einen eigenwilligen Sohn und einen Schrank, in dem die Mutter der Missis Jö verräumt sei.

Schon bald wirbelt die Begegnung mit Missis Jö Pierres Leben durcheinander. Er lernt eine kleine, lebhafte Frau kennen, die einen großartigen Kaffee kocht und sich zum Zusammenbau eines Puzzles Topflappen anzieht, um den Schwierigkeitsgrad zu steigern. Und gäbe es nicht die Vermutung, dass es sich bei Missis Jö um eine Art Hexe handelt...

Muse: C. Weinzierl

gewidmet

mit Nachtgrüßen gen oben

an Christa Stahr-Spolvint

Bei den Sonnenbeins

Herr Werner Sonnenbein war Postbote aus Leidenschaft. »Gäbe es keine Briefe«, pflegte er zu sagen, »so kann ich mir das gar nicht vorstellen.«

Mit Sorge betrachtete er den Fortgang der Zeit, den Siegeszug der Computer und Telefone, die laxe Art, in der die Menschen ihre Nachrichten tauschten, kaum einer besaß noch eine Handschrift, die sich vorzeigen ließ, und überhaupt: »Die Menschen brauchen Briefe, weil sie dann sorgfältiger sind!«

Zumeist war es Frau Hertha Sonnenbein, die den Ausführungen zuhörte, geduldig die Wiederholungen ihres Gatten ertrug, bis sie das Wort ergriff und zustimmend sagte: »Außerdem möchte ich nach West-Afrika, als nächstes.«

Es war ihr Plan für den diesjährigen Urlaub ihres Mannes, zugleich eine bewährte Art, ihn zum Schweigen zu bringen. Urlaub bedeutete eine Zeit, die Herr Sonnenbein seinem Beruf nicht nachkommen konnte, und Reisen an sich empfand er als Zumutung. Doch er liebte seine Frau. Also nickte er in solchen Gesprächen, es mochte sein, dass er noch einmal Luft holte, um weiter die Vorteile der Briefkultur auszuführen, aber gewöhnlich war Frau Sonnenbein schneller, bestand darauf, auch eine Heißluftexkursion mitzubuchen und einen Tauchgang, worauf Herr Sonnenbein in sich zusammen sank, sich ergab und die Tage zählte, die ihm noch blieben.

Bis es so weit war.

Frau Sonnenbein schwebte auf Wolken, ein nicht einfaches Verfahren, da sie im Gegensatz zu ihrem Gatten recht füllig war. Eine erhebliche Anzahl Koffer waren gepackt, gleich mehrmals, und Herr und Frau Sonnenbein warteten auf die Urlaubsvertretung, die Herr Sonnenbein wie jedes Jahr zu sich gebeten hatte, um ihr letzte Anweisungen zum rechten Umgang mit seiner Postroute zu geben.

Dazu hatte er sich schon vor Tagen in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, den selbst gefertigten Straßenplan herausgeholt, ihn überarbeitet – bauliche Veränderungen, Umzüge, Geschäftsaufgaben, menschliche Eigenarten der Postempfänger waren dort notiert und nummeriert, mit dem Ziel, dass bis auf die Vertretung alles wie immer sei, wenn Herr Sonnenbein gezwungen war, in West-Afrika bei Halbpension das Tauchen zu lernen oder in einem Heißluftballon über ausländische Tiere zu fliegen.

So saßen Gatte und Gattin im Wohnzimmer, an den Enden eines länglichen Glastisches vor einer großen, alt eingesessenen Couch, die wartete, den Besuch zu empfangen. Herr Sonnenbein trug seinen besseren Anzug, Frau Sonnenbein ihr geplantes Reisekleid, zudem hatte sie Parfüm benutzt und sich geschminkt, als ginge es außer Haus, in ein Theater oder eine Ausstellung mit Kunst. Sie wusste um die Bedeutung der Übergabe, dann und wann schaute sie über den Tisch, schenkte ihrem Gatten ein Mut machendes Lächeln, und Herr Sonnenbein nickte zurück.

Endlich klingelte es, pünktlich um acht Uhr, worauf Herr Sonnenbein zufrieden einatmete und Frau Sonnenbein zur Tür rauschte, um die Vertretung einzulassen.

Sie war beeindruckt. Sie zeigte es.

Frau Sonnenbein öffnete die Tür, wich zurück, ihr Empfangslächeln erfror, sie hob den Kopf, um die Größe des Mannes abzumessen, der vor ihr stand, eine mächtige Erscheinung mit schwarzem Gewucher im Gesicht, gekleidet in einem gestrigen Parka, eindeutig zu klein, und dass es draußen begonnen hatte zu regnen, lag nicht in der Schuld des Besuchers, trug aber zu seiner Erscheinung bei. Die Haare nass, die Augen unsicher, der Mund, so weit er zu sehen war, bemüht um Freundlichkeit – »Werner«, rief Frau Sonnenbein, »du musst kommen!«

Das war ungewöhnlich. Herr Sonnenbein reagierte sofort, erhob sich, trat in den Flur und schloss sich dem Staunen seiner Gattin an. Wobei er, von eher schmächtiger Statur, den Kopf noch etwas mehr heben musste als seine Frau.

»De Mon«, stammelte der Riese, »Pierre de Mon.«

Nun besannen sich beide Sonnenbeins auf die Würde des Menschen und Herr Sonnenbein mahnte seine Gattin: »Bitte den Herrn doch herein.«

»Ja«, hauchte Frau Sonnenbein.

Sie hatte mehr als dreißig Jahre ihres Lebens mit einem kleinen Bürokraten verbracht, pflegeleicht bis auf seine Abneigung gegenüber Urlaub, etwas zu leidenschaftlich, wenn es um Briefe ging, aber zu jeder Zeit gut zu unterbrechen und bis auf die Sonntage sauber rasiert. Nun stand vor ihr ein Ungetüm an Leben, eher unsortiert, eine schüchterne Wildheit mit einem Dickicht im Gesicht, schwarz und ursprünglich, einen Tag vor der Abreise in den dunklen Kontinent!

Frau Sonnenbein war begeistert. Allerdings trug der Besuch Turnschuhe, die trieften.

Also bat sie ihn nicht herein, sondern um einen Moment, den sie brauchte ein Handtuch zu holen. Darauf sollte der Besuch seine Schuhe abstellen, besser vor der Tür, und dass man für seine Größe keine Hausschuhe anbieten könne, sei ja zu erwarten. Außerdem vermutete Frau Sonnenbein, dass er Junggeselle sei, worauf Herr de Mon verlegen lächelte, während sein linker Zeh durch ein großes Strumpfloch die Wohnung der Sonnenbeins betrachtete, vorerst den Flur.

Der Parka wurde ins Badezimmer gebracht, zu dritt ging es nun ins Wohnzimmer, Herr und Frau Sonnenbein wiesen auf die Couch, wobei Frau Sonnenbein noch fragte, ob man den Tisch nicht besser etwas abrücken solle, aber die Schüchternheit des Besuchers ließ es nicht zu.

Es war keine gute Entscheidung. Ein Schmuckstück auf dem Glastisch war eine blasslila gefärbte Vase, wahrscheinlich mundgeblasen, von eleganter Höhe und mit schmalem Sockel. Herr de Mon ahnte das Unheil, behielt die Vase im Auge, während er sich seitwärts vorarbeitete, mit der Tischkante nah am Schienbein, die Couch an den Waden, behutsam und in kleinen Schritten. Es gelang. Allerdings hatte er nicht mit der Nachgiebigkeit der Couch gerechnet. Herr de Mon setzte sich, sank ein, seine Beine stießen gegen den Tisch, der Tisch blieb heil, nur – die Vase.

»Das macht doch nichts«, flötete Frau Sonnenbein, erhob sich und holte Kehrblech und Lappen. »So weiß ich wenigstens, dass da noch Wasser drin war«, befand sie im Gehen und beim Wiederkommen erklärte sie: »Das hätte ich sonst sicher vergessen.«

Sie wischte und fegte, erzählte, dass sie gestern die Orchidee aus der Vase genommen und entsorgt habe, dann habe es geklingelt, und dass man morgen ja abreise, gegen Mittag. Ob Herr de Mon schon einmal mit einem Ballon geflogen sei, wollte sie wissen, worauf Herr Sonnenbein sich räusperte und Frau Sonnenbein verstand. Es war der Tag ihres Gatten, die Postroute sollte übergeben werden, also meinte sie nur noch kurz: »Wir werden auch tauchen, also – ich auf jeden Fall«, und verschwand mit Kehrblech, Lappen und ehemaliger Vase.

»So ist das«, sagte Herr Sonnenbein. Er kannte seine Frau. Also lehnte er sich zurück, wartete ab. Noch war es nicht richtig, das Gespräch um den morgigen Tag und die Details der Arbeitsübergabe zu beginnen. Es dauerte auch nur kurz, dann war Frau Sonnenbein zurückgekehrt, in der einen Hand Papier zum Trockenreiben, in der anderen eine Schale mit Gebäck.

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