Mit 17 zog er bei seiner Tante aus. Sie willigte ein, ihm die 250 Dollar, die sie monatlich an Fürsorgeunterstützung für ihn erhielt, an ihn weiterzuleiten, damit er sich ein billiges Apartment und Dosenravioli leisten konnte. Noch bevor er seinen Abschluss machen konnte, schwängerte er seine Freundin, die die zehnte Klasse besuchte, woraufhin er sich der Army anschloss. Er diente vier Jahre lang auf Hawaii und wurde zum M60-Maschinengewehrschützen ausgebildet. Nach seiner Entlassung geriet er auf die schiefe Bahn und stahl Schmuck, Rolex-Uhren, Gucci-Taschen und auch Pontiacs. Als seine Partner anfingen, für viele Jahre hinter Gittern zu verschwinden, begann sich sein Interesse an Hip-Hop auszuzahlen.
Er hatte bereits zahlreiche „Crip-Rhymes“ getextet, die voller Drohgebärden und triumphalem Gedöns wie Gedichte und ohne musikalische Untermalung vorgetragen wurden:
He said ‚Fuck a Crip nigga – this is Brim!‘
So we pulled out the Roscoe, Roscoe said crack
I looked again the nigga was shootin’ back
So we fell to the ground, aimed for his head
One more shot, nigga was dead
Walked over to him, took his gun
Spit in his face, and began to run.
Sein Künstlername war vom ehemaligen Zuhälter und späteren Bestseller-Autor Iceberg Slim inspiriert. Er und seine Crew kreuzten in Clubs auf und gaben den DJs 500 Dollar, damit er die ganze Nacht lang rappen konnte. Nachdem er schließlich 1983 in einem Schönheitssalon namens Good Fred, wo er sich die Haare machen ließ, entdeckt wurde, als er die Mädchen mit seinen Raps zu beeindrucken versuchte, willigte er ein, eine Platte mit dem Titel „The Coldest Rap“ aufzunehmen, auf der er alle Reime, die er drauf hatte, vom Stapel ließ. Die Platte brachte ihm 250 Dollar ein, verkaufte sich lokal beachtlich und begeisterte die Besucher des Underground-Clubs The Radio in MacArthur Park. Dort hielten DJs wie The Glove und Egyptian Lover sowie Pop-Locker wie Lil’ und Boogaloo Shrimp Hof. Der Laden war der Inbegriff von Hipness. Man konnte zwar keinen Alk bestellen, durfte aber seinen eigenen mitbringen. Dort traten nicht nur Afrika Bambaataas Gruppe Soulsonic Force und die Cold Crush Brothers auf, sondern sogar Madonna. „Madonna zog uns auf die Bühne und versuchte uns auszuziehen und so’n Scheiß“, berichtet etwa The Glove.
Die weißen Kids im The Radio kannten bereits jedes einzelne Wort von „The Coldest Rap“ auswendig, als Ice-T dort schließlich auftrat. Er wurde sogar zum Haus-MC und fuhr jedes Wochenende in seinem durch kriminelle Aktivitäten finanzierten Porsche vor. Außerdem trat er in Breakin’ auf, einem Breakdance-Film, der seine Inspiration aus exakt diesem Club bezog. In diesem eher abgeschmackten Streifen verbündet sich die weibliche, an Mary Lou Retton erinnernde Hauptfigur mit taffen Straßenkids, die komplett ausgerüstet sind mit Nietengürteln, Ketten und mit Spikes besetzten Armbändern. Im Anschluss an Breakin’ zog der Club in die Innenstadt und benannte sich in Radiotron um.
Ein anderer Hotspot, der für gute Vibes stand, war das I Fresh in Leimert Park, ein „Rap-Workshop“, der teilweise vom Bundesstaat finanziert wurde. Von 1984 bis 1989 konnten junge MCs dort an ihren Skills feilen, so auch die Rapperin Yo-Yo aus South Central, die von ihrer Englischlehrerin auf die Einrichtung aufmerksam gemacht worden war und später noch mit Ice Cube aufnehmen sollte. „Sie war echt gut unterwegs, lebhaft und sehr kreativ“, erinnert sich der Organisator von I Fresh, Ben Caldwell. Eazy-E war hingegen weniger angetan von dem Etablissement und weigerte sich, auf Caldwells Forderungen einzugehen, seine frauenfeindlichen Texte zu entschärfen. I Fresh wurde später zu einer wöchentlich stattfindenden Open-Mic-Session im nahegelegenen Good Life Café, aus der wiederum die Project-Blowed-Sessions hervorgingen. Vor Anbruch der Gangsta-Ära in Los Angeles standen I Fresh und The Radio für eine optimistische Phase, in der sich ethnisch und sozialökonomisch gemischte Gruppen von Kids gemeinsam vergnügten. Sogar der New Yorker Hip-Hop-Impresario Afrika Bambaataa war beeindruckt von der Szene in L.A. „Sie vereinte Punkrocker, New Waver und Hip-Hopper“, sagte er. „Du hörtest Funk, Reggae, alles im selben Club. Es war, wie George Clinton gesagt hatte: ‚Eine Nation unter einem Groove vereint.‘“
Ice-T steckte inzwischen in einer Art Identitätskrise fest. In den frühen Achtzigerjahren trug er die damals angesagten engen Lederoutfits mit Spikes und Biker-Handschuhen, so wie das auch Melle Mel vom New Yorker Act Furious Five tat. Seine frühen Songs waren nicht sonderlich taff. Doch eines Tages, als er und sein Freund Randy Mack zum Beastie-Boys-Song „Hold It Now, Hit It“ jammten, machte Mack einen gewagten Vorschlag. Ice-T sollte sich seines „Kostüms“ entledigen und über die Details seines kriminellen Lifestyles rappen, den er gerade erst hinter sich gelassen hatte. Daraus resultierte 1986 das bahnbrechende „6 in the Mornin’“ – eine Schilderung des Lebens auf den Straßen von South Central. Der Protagonist des Songs, dessen Titel von den frühmorgendlichen Batteram-Razzien inspiriert war, entflieht der Polizei, schlägt Frauen und streckt seine Kontrahenten nieder. Schon bald wurde die Nummer ein lokaler Hit.
Gangster Boogie
Der Dichter und Spoken-Word-Performer Gil Scott Heron – sein bekanntestes Werk war „The Revolution Will Not Be Televised“ – hatte zweifellos Einfluss auf den frühen Hip-Hop. Dasselbe gilt für politisch orientierte Spoken-Word-Gruppen wie The Last Poets und die Watts Prophets. Doch früher Rap war zu einem großen Anteil geprägt von zotigem Klamauk, der in der ludenmäßigen Tradition schwarzer Comedy stand, zu deren Vertretern etwa Rudy Ray Moores obszöne Witze erzählende Filmfigur „Dolemite“ sowie der für seinen Fäkalhumor bekannte Komiker Blowfly zählten. Auch der Einfluss von traditionellen afroamerikanischen kreativen Betätigungen wie dem Beleidigungsspiel „The Dozens“ sowie prahlerischen Erlebnisberichten über gewisse Charaktere in Reimform ist nicht von der Hand zu weisen. Während des Übergangs von den Siebziger- zu den Achtzigerjahren fingen Disco, derbe Comedy-Platten und Rap an, miteinander zu verschmelzen. Man könnte sagen, dass der erste Westcoast-Gangsta-Rap-Song eine obskure Nummer aus dem Jahr 1980 mit dem Titel „Badd Man Dann Rapp“ war, in der von durchgeknalltem Sex, Homosexualität, Prostitution und Gewalt die Rede ist. Für den quietschfidelen Rap zeichnete sich King Monkey verantwortlich – ein Pseudonym, hinter dem sich der Comedian Jimmy Thompson verbarg.
Doch wie sooft im frühen Hip-Hop fehlte auch hier der harte, perkussive Sound, den wir heute mit Rap assoziieren. Der Run-DMC-Song „Sucker MCs“ von 1983 stellte mit seinem reduzierten Drumcomputer-Beat, der sich toll auf Ghettoblastern anhörte, einen Richtungswechsel dar. Run-DMC waren zwar keine Gangsta-Rapper, doch beeinflussten sie jenen Mann, dem man nachsagt, den Gangsta-Sound ins Rollen gebracht zu haben: Schoolly D.
Jesse Bonds Weaver Jr., so sein bürgerlicher Name, wuchs in West Philadelphia als eines von neun Geschwistern auf und wurde in seiner Kindheit Zeuge von zwei Morden. Er war eine einschüchternde Persönlichkeit und schrieb, performte und presste seine eigenen Platten. Einmal bedrohte er laut eigenen Angaben sogar einen Mitarbeiter eines Presswerks mit einer Knarre, da er ihn verdächtigte, Bootlegs seiner Machwerke anzufertigen. Der Protagonist seines Tracks „Gangster Boogie“ aus dem Jahr 1984 dealt mit Weed, knutscht mit den Ladys und hält einem potenziellen Dieb seine 8-Millimeter-Pistole unter die Nase. Doch es ist der Song „P.S.K. What Does It Mean?“, den Schoolly D im Jahr darauf veröffentlichte, der als erster Gangsta-Rap-Track gilt. Die Initialen „P.S.K.“ stehen für Schoolly D’s lokale Gang Parkside Killers. Die Nummer schildert die Abenteuer eines Unruhestifters, der durch die Stadt cruist, Weed raucht und Bier trinkt.
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