Beef quälte die Ungeduld. Er wollte nicht länger warten, nicht so lange, bis die Aktivitäten der Angels kaum mehr nachzuweisen waren.
Der Hass zwischen den Mongols und den Hells Angels war mehr als offensichtlich. Er wurzelte in einer Reihe von Geschehnissen, die im Jahr 2001 begannen. Mitglieder beider Clubs hatten sich in einer American Legion Hall in San Diego mit Messern und Schusswaffen bekämpft. Die brutalen Auseinandersetzungen loderten einige Monate danach in Reno, Nevada, wieder auf. Member der Angels stellten den Präsidenten des Carson City Chapters der Mongols zur Rede, denn er hatte es gewagt, ohne Erlaubnis einen Patch zu tragen (einen angestickten Aufnäher), der ihn als Mitglied der Nevada Angels identifizierte.
Es folgte ein weiterer Zusammenstoß in Orange County. Auf einem lokalen Flohmarkt bekämpften sich die rivalisierenden Biker mit Benzintanks, Stoßdämpfern und Lenkern. Die Gewalt eskalierte, nachdem der Präsident der San Jose Mongols bei einem Open Air von Hells Angels angefallen und niedergestochen wurde. Daraufhin jagten die Mongols die Angels, trieben sie vor den Absperrungen in die Enge und feuerten wahllos auf die verhassten Opponenten. 2002 fand der Vizepräsident der Mongols zwei Stangen Dynamit unter seinem Auto, das in der Nähe seines Hauses parkte. Die Zündschnur war angesteckt worden, brannte jedoch zu früh ab. Im April des Jahres – in Laughlin, Nevada, während des jährlichen River-Run-Treffens – führte ein Kampf zwischen den Bikern im Harrah’s Casino (in der Nähe von Las Vegas) zu drei Todesopfern und elf Verletzten. Die Polizei konfiszierte verschiedene Patches der Angels, und die Biker gaben offiziell den Krieg gegen die Mongols bekannt.
Patches (auch „Rockers“ oder „Colors“ genannt) repräsentieren nicht nur die Zugehörigkeit zum Club. Sie symbolisieren einen hart erarbeiteten Lifestyle, gekennzeichnet von schweren Straftaten und absolutem Respekt zwischen den verschiedenen Mitgliedern mit Blick auf die Rangordnung. Die Outlaw Motorcycle Clubs unterscheiden sich durch die drei Patches auf der Kutte und den diamantförmigen „Onepercenter“-Aufnäher von den normalen Bikern. Diese Gangster stehen für das (symbolische) eine Prozent der Motorradfahrer der USA, die ihr Leben nach dem Credo „Fuck the World“ ausrichten.
Das Hells Angels Patch besteht aus einem „Bottomrocker“ (einem bogenförmigen Aufnäher), der das Territorium des Clubs angibt (zum Beispiel Arizona), einem Aufnäher in der Mitte (Centercrest), der einen geflügelten Totenkopf zeigt (auch „Death Head“ genannt), und dem Toprocker, der den Club angibt, in diesem Fall die Hells Angels. Ein reguläres Member, das alle drei Patches auf seiner Kutte trägt, wird in der Bikerszene als „Full Patch“ oder „Fullpatcher“ bezeichnet.
Die Kutte kommuniziert den Status des Bikers im Club. Bottomrocker stehen für den niedrigen Grad des „Prospects“. 1Prospects sind Biker auf Probezeit, die sich erst noch bewähren müssen (sie stehen einen Rang über den Hangarounds, die sich nur durch den Lebensstil angezogen fühlen und offiziell nicht zum Club gehören). Ein Prospect wird sogar noch eine Stufe unter Frauen und Hunden eingeordnet. Er ist eine von einem Member ausgewählte Person, die es sponsert. Hangarounds (spöttisch auch „Slick Backs“ genannt, da ihre Kutten kein Abzeichen tragen dürfen) stehen auf der alleruntersten Stufe der Leiter. Diesem Personenkreis wird sogar noch ein geringerer Status als Prospects zugesprochen. Sie tragen sogenannte „Nummernschilder“ oder Anhänger um den Hals, damit man sie im Falle einer Schlägerei erkennt, wodurch die Member der Angels gezwungen sind, die eigenen Leute zu verteidigen.
Das Team wird aufgestellt –
Tucson, Arizona, Frühjahr 2002
Beefs Plan, die Arizona Hells Angels durch Rudys Kontakte zu infiltrieren, stieß bei den Anzugträgern des ATF auf Widerstand. Einen bereits als Informanten bekannten Outlaw ins Feld ziehen zu lassen, war ein kleiner Schritt. Das Leben von ATF-Agenten zu riskieren, um Infos über die Angels zu sammeln, was zugleich erforderte, dass sie bei den Straftaten der Biker mitmischten, stand jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Beef konnte kaum erwarten, dass sein verantwortlicher Boss, Special Agent Virginia O’Brien, zustimmte. Er hoffte, dass die unzähligen vertraulichen Memos, die er ihr zukommen ließ, O’Briens Einstellung ändern würden. In ihnen wies er auf Verstöße gegen den vielfach anwendbaren Title 18 des Strafgesetzbuches hin 2, die er zur Verhaftung der Rocker geltend machen konnte. Doch O’Brien wollte Details wissen: Wer? Wie? Wie lange? Besonders wichtig war für sie die Frage, wie viel die Operation das ATF möglicherweise kostete.
In den folgenden Wochen der Vorbereitung stellte Beef sein Team zusammen. Rudy akzeptierte die Führungsrolle als Präsident der angeblichen „Nomads“ Solo Angeles. Die Tarnung schmeichelte nicht nur dem übergroßen Ego des Informanten, sondern eröffnete zudem die Möglichkeit, mit ihm arbeitende ATF-Agenten und lokale Vertreter der Strafverfolgungsbehörden unauffällig einzuschleusen. „Nomads“ waren vollwertige und hoch angesehene Member, die keinem speziellen Charter angehörten. Sie mussten ihren Clubbeitrag für das ursprüngliche „Mutter-Chapter“ entrichten, verfügten jedoch nicht über die Mindestzahl von sechs Mitgliedern, um ein eigenes Chapter zu gründen, wodurch sie noch unter der Direktive des „Mutter-Chapters“ standen und den Befehlen von dort folgen mussten. Nomads lebten meist in ländlichen Regionen, wo sich zwangsläufig nur wenige Member fanden. Gelegentlich wurden sie vom Club auch in ländliche Regionen entsandt, mit der Instruktion, andere Mitglieder zu rekrutieren, um ein eigenständiges Chapter zu gründen.
Die Solo Angeles verfügten über eine perfekte Tarnung. Sie informierten die Hells Angels, dass sie vom Mutterclub der Solo Angeles – der in Tijuana residierte – geschickt worden seien, um in Arizona ein Charter auf die Beine zu stellen. Da die einzigen legalen Member der Solo Angeles in Südkalifornien lebten, erschien den Hells Angels die Geschichte plausibel. Die Agenten mussten höllisch vorsichtig sein, damit ihnen die echten Solo Angeles in Mexiko nicht auf die Schliche kamen, denn sie hatten natürlich niemals die Gründung eines Charters in Arizona veranlasst. Rudy versicherte jedoch, dass es nie zu einer Überprüfung kommen würde.
Aber da gab es noch ein Problem mit Rudy. Er war zwar ein offizielles Mitglied der Solo Angeles aus Tijuana, doch nicht ihr Präsident! Sein neuer Status in der Tarnorganisation nötigte die anderen, ihn ständig zu kontrollieren. Man musste ihn daran erinnern, dass er schauspielerte, dass die Rolle als Präsident der Nomads eine Tarnung darstellte und dass er im Grunde genommen ein Schwerverbrecher war, der den Befehlen des ATF zu gehorchen hatte.
Beef stellte einige spezielle Beamte ab, um das Verhalten des Informanten genau zu beobachten. Es waren erfahrene Agenten, die das Risiko der Operation auf sich nehmen und nach minimaler Ausbildung in die Biker-Identität schlüpfen konnten. Nicht nur kreierte Beef einzelne Nomads-Charaktere für die falschen Solo Angeles, sondern er beachtete auch die Hackordnung und das Rangsystem des „Marionetten-Clubs“. Er brauchte also nur noch verschiedene und allzeit bereite Schauspieler, die glaubhaft Vollmitglieder und Prospects verkörperten.
Die Aktion glich nicht nur einer Theateraufführung, sondern musste auch exakt so durchgezogen werden.
Beef spielte die Rolle des Zeremonienmeisters, des Masterminds, des Großmeisters.
ATF Special Agent „Carlos“ war eine eindeutige Wahl. Man rekrutierte ihn von der Miami Field Division. Er sprach fließend Spanisch und verfügte über jahrelange Undercover-Erfahrungen, gemacht bei seiner Arbeit mit mexikanischen Dealern im pazifischen Nordwesten und der kubanischen Mafia in Miami.
Читать дальше