Eins ist Manson: Am Leben. Und weil so viele das nicht sind, entwickelte er sich zu einem wunderbaren, wenngleich auch ziemlich wunderlichen Guru. Hinzu kommt noch etwas. Egal, wieviel Scheiße ein bei Manson Rat Suchender in seinem Leben schon fressen musste: Manson hatte grundsätzlich mehr davon abgekriegt. Das ist praktisch für die Jünger, denn so hat der Guru mehr gesehen und weniger Mitleid, so wie ein Profi-Bergsteiger, der dem Anfänger die großen Praxis-Tipps gibt, anstatt mit ihm über Fersen zu heulen, die er sich im Wanderschuh aufgescheuert hat.
Ihre seelischen Schmerzen kennen die JüngerInnen ohnehin gut genug. Sie wollen Lösungen. Und die hat Manson: Das Versprechen einer heilen Welt mit gesunden Bäumen, frischem Wasser und jeder Menge Liebe. Natürlich lassen sich diese ultrakonsensuellen Träume eigentlich kaum verkaufen, wenn man selbst ein Ungeheuer ist. Doch Mansons Gefolgsleute brauchen den von ihnen als superstark empfundenen Überbösewicht als Chefideologen, weil sie selber keinen Mumm mehr in den Knochen haben. Der wurde ihnen nämlich irgendwann von irgendwem gründlich aus dem Körper geflucht, geprügelt und gevögelt. Manson weiß das, und seine Kumpels im Knast wissen das auch. Dennoch kann man ihm schlecht vorwerfen, dass er sich aufrichtig nach einer besseren Welt sehnt.
Zudem sind Mansons Wüten und Toben ebenso wie seine endlosen Grimassen, Faxen und Clownerien, seine gruftimäßig-pubertären Gedichte nebst der wollsockigen Vorschläge zur Weltverbesserung samt Enttarnung pädophiler Scheinheiliger im guten Sinne rührend. Auch wenn er sehr leicht erkennbar versucht, aus diesen Zutaten ein jahrzehntelang eingeübtes Rührstück zu brauen, glaubt man ihm dennoch eigentlich alles. Dazu muss man ihn allerdings, auch als Profi, erst einmal ausreden lassen. Denn Manson überschätzt sich nicht, und das macht ihn sympathisch. Er weiß, dass er bloß ein Wurm ist, dem durch einen zeitgeschichtlichen Witz zuerst der Job des Wishmasters und dann der des schwarzen Mannes zugefallen ist. „Dir ist doch klar“, teilt er der mittlerweile zur guten Freundin gewordenen Interviewerin mit, „dass ich bloß ein Penner bin, oder? Ein Penner, der dir mit wenigen Worten vermittelt, dass du okay bist und dass du dich lieben sollst.“ Punktlandung. Vielen Menschen gibt noch nicht einmal der Lebenspartner dieses einfache und wichtige Gefühl. Manson hingegen ist Profi im Persönlichkeitsaufbau anderer. Kein Wunder, dass die Menschen ihn lieben.
Selbstverständlich ist Manson auch ein Zerrbild der Hippie-Zeit, die ihn erst als das ambivalente Phantom erschuf, das er bis heute ist – sogar in einer Weihnachtsfolge der Serie South Park. Denn nur unter denjenigen, die die Welt Ende der 1960er-Jahre für einen kurzen Augenblick ändern wollten, konnte sich Manson angenommen und wohl fühlen. Sie hörten dem seelisch verkochten Irren nicht nur zu, sie sagten ihm auch das, was er heute seinen Schäflein predigt: Nämlich dass er okay sei und sich nur locker machen brauche. Verständlich, dass Manson so bis heute behaupten kann, dass er niemanden zu Morden angestiftet, sondern den Menschen bloß gezeigt habe, was in ihnen steckt. Das ist ihm gelungen. Tataa!
In Wirklichkeit ist diese Aussage eine blöde Rechtfertigung seiner damaligen Rolle als Anstifter und Aufwiegler. So abgebrüht ist Manson allerdings nicht, als dass er sich im Laufe von zwei Jahrzehnten nicht doch in den Interviews verplappert und verraten hätte:
„Mein Verbrechen bestand darin, dass ich [nach dem ersten Mord] nicht sofort die Bullen anrief und die Mädchen festnehmen ließ. Dort, wo ich herkomme, tut man so etwas nicht. Deine Gang ist ein Teil von dir, im Guten wie im Bösen, im Recht oder Unrecht. Ich habe ihnen [den Mitgliedern seiner „Family“] gesagt: Wenn sie es richtig machen wollten, dann würden sie es noch einmal tun müssen, aber richtig professionell.“ Tja. Nicht alles, was logisch ist, ist allerdings auch unterstützenswert. Hier räumt Manson seinen Part als Triebfeder des Ganzen also unumwunden ein. Seine Gefühlskälte macht ihn so stumpf gegen sich selbst, dass er sein Geständnis gar nicht bemerkt.
Und damit komme ich zum Ende. Manson ist der mit Abstand gruseligste Clown, aber auch der traurigste und irrste Straftäter, von dem ich je gelesen habe. Das liegt nicht nur an seinen eigenen Schilderungen, in denen das Wüten und der Wahnsinn seiner Denkgebäude gar nicht richtig zum Vorschein kommen. Viel eindrücklicher bricht das Höllische aus den ebenfalls hier abgedruckten Erinnerungen seines Zellengang-Genossen hervor, die mir wahrscheinlich Alpträume en gros bescheren. Denn wie Manson seine Zelle Woche für Woche in eine dunkle Höhle voller Krempel und Kram verwandelt, wie er sich für seine Haustier-Spinne in den Karzer hineintobt, um dort dann tagelang an der Tür stehen zu bleiben, wie er aus Urin und Getränkepulver Farben mischt, um Skorpione aus alten Unterhosenbändern zu basteln – dagegen ist der Kellergang, in dem Hannibal Lector mit seinen verrückten Mitgefangenen lebt, ein wohltemperiertes Frühstück mit englischer Orangenschalenmarmelade, Drei-Minuten-Ei und frisch aufgebackenem Croissant. Lassen Sie sich überraschen.
Aber jetzt halte ich besser die Schnauze – ich höre mich ja schon an wie ein verdammter Gesellschaftskundelehrer.
Mark Benecke, im März 2011
Mark Benecke arbeitet weltweit als Kriminalbiologe. Zu seinen Klienten zählen neben der Polizei auch Serienmörder, Anwälte und Eltern von Opfern. Im Januar 2011 erschien im Verlag Bastei Lübbe sein Buch „Mordmethoden: Neue spektakuläre Kriminalfälle – erzählt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt“.
Ende Juli und Anfang August 1969 ereigneten sich in Los Angeles acht der blutigsten Morde, die je in den USA verübt wurden.
Am 31. Juli 1969 wurde die Kriminalpolizei in die Old Topanga Road 946 gerufen. Dort fand sie einen Toten, der mehrere Stichverletzungen aufwies; die Tat war offenbar schon einige Tage her. In unmittelbarer Nähe der Leiche hatte jemand mit dem Blut des Opfers „political piggy“ („politisches Schweinchen“) an die Wand des Schlafzimmers geschrieben. Zudem war die Wand überall mit blutigen Spuren besudelt, die wie Handabdrücke aussahen. Bei dem Opfer handelte es sich um den 32-jährigen Gary Hinman, einen Soziologiestudenten, der sich nebenbei mit Musikunterricht etwas Geld verdiente. Wie später bekannt wurde, besserte er sein Einkommen zusätzlich auf, indem er Meskalin herstellte und verkaufte.
Am Samstag, den 9. August, nahm die Polizei einen weiteren Tatort in Augenschein, und hier bot sich den Beamten ein so grauenhafter Anblick, dass ihnen beinahe übel wurde; es kostete sie größte Überwindung, sich in dem Haus am Cielo Drive genauer umzusehen. Fünf junge Leute waren wie in einem Mordrausch mit zahllosen Messerstichen getötet worden. Es handelte sich um die bekannte Schauspielerin Sharon Tate Polanski sowie ihre Freunde Abigail Folger, Voytek Frykowski, Jay Sebring und Steven Parent. Wie im Hinman-Fall fanden sich auch hier überall blutige Parolen an den Wänden. An der Tür des Hauses prangte das Wort „PIG“ („SCHWEIN“); wie sich später herausstellte, war es mit dem Blut von Sharon Tate geschrieben worden. In den ersten Presseberichten über das entsetzliche Massaker beschrieben einige Journalisten die Taten als „Ritualmorde“, andere folgerten, es habe zuvor eine wilde Sexparty gegeben, und viele kamen zu dem Schluss, dass es sich nur um einen Racheakt nach einem verpatzten Drogendeal handeln könnte. Dabei tappte die Polizei hinsichtlich eines möglichen Motivs für die Morde noch völlig im Dunkeln und suchte immer noch nach Hinweisen.
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