Auch vor Disco gab es kein Entkommen. Der angesagteste Song in New York und Los Angeles hieß „I Found Love (Now That I Found You)“ von Love And Kisses. Andy Gibb sollte schließlich Manilow an der Spitze der Charts mit „I Just Want To Be Your Everything“ ablösen und ganze drei Wochen dort bleiben. Was Rockmusik betraf, so kämpften „Barracuda“ von Heart, „Black Betty“ von Ram Jam sowie die Steve Miller Band mit ihrer Coverversion des Paul-Pena-Songs „Jet Airliner“ eine scheinbar aussichtslose Schlacht gegen die gnadenlose Übermacht der Discokugel.
Die Herausforderung, der sich AC/DC mitsamt ihrem neuen englischen Bassisten Cliff Williams stellten, war nicht zu unterschätzen. Es war die Art Herausforderung, mit der sich jede neue Rock-’n’-Roll-Band in Amerika konfrontiert sah. Um Geld zu verdienen, mussten sie auf Tour gehen – und in diesem Bereich waren Kiss und Led Zeppelin die unbestrittenen Marktführer. Letztere waren im April vor 80.000 Menschen im Pontiac Silverdome in Michigan aufgetreten. Led Zeppelins Konzert am 24. Juli beim Day On The Green im kalifornischen Oakland sollte ihr letzter Auftritt in Nordamerika sein.
Doch Bon war nicht Robert Plant. Auf ihn wartete jedenfalls kein Stadion gefüllt mit Zehntausenden kreischenden Girls. Stattdessen begannen er und seine Band ihre Reise durch Nordamerika, die sich letztlich als durchaus bemerkenswert herausstellen sollte, mit einer Show vor 1500 bekifften Studenten und Cowboys im Armadillo World Headquarters in Austin, einem ehemaligen Waffenarsenal, das zu einer treibhausartigen Konzertlocation umfunktioniert worden war.
Ihren Auftritt verdankten sie Lou Roney und dem inzwischen verstorbenen Joe „The Godfather“ Anthony, zwei Discjockeys aus San Antonio, die Manilow ebenso hassten, wie AC/DC es taten. Ihr Sender, KMAC/KISS, war eine der Ersten auf Album-Rock spezialisierten Radiostationen in den USA. Dort spielte man alles von Ted Nugent und Rush über Bob Dylan und Southern Rock bis hin zu Taj Mahal und B. B. King. Anthony und Roney flüsterten den lokalen Konzertveranstaltern, welche Rock-Acts sie nach San Antonio holen sollten, bis sie schließlich irgendwann selbst ins Geschäft einstiegen. Einer der Acts, die sie dem Konzertveranstalter Jack Orbin ans Herz legten, waren AC/DC.
Die australische Band benötigte Hilfe. Ihr erstes in Nordamerika aufgelegtes Album, High Voltage, eine Zusammenstellung von Tracks von ihren ersten beiden heimischen Veröffentlichungen, hatte sich als Flop entpuppt und war nur von regionalen Sendern in Florida und Kalifornien mit vernünftigem Airplay bedacht worden. In der Presse setzte es für AC/DC einen Verriss nach dem anderen – vom Rolling Stone in New York bis hin zum Lawrence Journal-World in Kansas, das High Voltage zum „schlechtesten Album des Jahres“ kürte: „Diese hässlichen Aussie-Punks lassen Johnny Rotten wie Perry Como wirken.“ 7In Texas kümmerte es die Leute hingegen herzlich wenig, was der Rest des Landes von AC/DC hielt.
„Anfangs widmeten uns die landesweit agierenden amerikanischen Plattenfirmen nur wenig Aufmerksamkeit“, erinnert sich Roney. „Wir waren ja nur ein heruntergekommener, alter Mistsender, weshalb sie uns nie mit Musik versorgten. Und so fingen wir an, Import-Sachen zu spielen. Joe oder ich kauften importierte Platten aus aller Welt. So stießen wir auch auf High Voltage. Wir starrten auf das Cover und hörten uns das Album an. Ich sagte dann zu Joe, dass ich diese Musik für einen echten Killer hielt. Selbstverständlich hatte damals noch niemand von AC/DC gehört. Joe wollte sie nicht zu oft spielen. Ich aber schon. Und plötzlich bekamen wir allerhand Anrufe.“
KMAC/KISS setzten laut Malcolm Young die Mundpropaganda in Gang: „Als wir 1977 in den USA landeten, hieß es, dass das Timing für unsere Art von Musik nicht passen würde. Das war die Ära von Soul, Disco, John Travolta – dieser Kram eben. Es gab, glaube ich, fünf Radiosender im ganzen Land, die Rock spielten, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Als wir [im Armadillo] eintrafen, um unseren Soundcheck zu machen, waren ein paar Typen da, die das Gebäude sauber fegten. Sie sangen alle ‚TNT‘ und wir fragten uns, woher diese Vögel den Song bloß kannten.“ Nun, sie kannten ihn, weil Roney mit Begeisterung und Anthony etwas widerwilliger im Radio AC/DC-Platten spielten.
* * *
1977 war Roy Leonard Allen Jr. ein dicklicher, langhaariger, kiffender 21-jähriger Student am Austin Community College. Er war in Rockdale, Milam County, im Nordosten von Austin aufgewachsen, wo sein Vater, der Weltkriegsveteran Roy Leonard Allen Sr., als Anwalt und Friedensrichter tätig war. Sein Urgroßvater Robert hatte in der texanischen Kavallerie auf Seiten der Südstaaten im Bürgerkrieg gedient. Er entstammte somit der angeseheneren Mittelklasse – doch verhielt er sich nicht dementsprechend und steckte permanent in Schwierigkeiten.
„Um diese Geschichte richtig erzählen zu können, muss ich zuerst etwas von meiner Geschichte erzählen“, erzählt er mir mit seinem markanten zentraltexanischen Akzent. Roy hat ein freundliches, zerfurchtes Gesicht – nicht unähnlich jenem von Tommy Lee Jones – und eine höfliche Art, die über seine wilde Vergangenheit hinwegtäuscht. Heute lebt er in Leander, einem Vorort nördlich von Austin, wo er als Immobilienmakler tätig ist. „Vieles habe ich schon wieder vergessen. Aber an Folgendes kann ich mich sehr wohl noch erinnern.“
Es war der 26. Juli 1977 und Roy hatte Sommerferien. Er hing in einer Bar namens The Back Room am East Riverside Drive ab. Die Bar befand sich nur zwei Meilen vom Armadillo World Headquarters entfernt – ganz in der Nähe des Colorado River, der mitten durch Austin fließt. Das Lokal, das 1973 seine Pforten öffnete und 2006 geschlossen wurde, war die Rock-Bar schlechthin in der Stadt.
„Keine Fenster. Pool-Tische, Tischfußball, Bartresen, ’ne gut bestückte Jukebox. Drinnen schien es stets finster zu sein und die Klimaanlage funktionierte tadellos. Ich war allein. Außer mir befanden sich nur noch ein paar andere Leute in der Bar, als mitten am Nachmittag diese drei Typen aufkreuzten. So wie die sprachen, war mir sofort klar, dass die nicht aus Texas und Umgebung stammen konnten. Sie alberten herum, lachten und schienen ganz coole Jungs zu sein. Sie fielen jedenfalls auf. Als sie ihre Drinks orderten, johlte ich dem Barkeeper zu, dass er ihre Getränke auf meinen Deckel schreiben sollte. Immerhin verfügte ich wegen der Schule über die Kreditkarte meines Dads. Sie bedankten sich und sagten, dass sie gerade in der Stadt angekommen wären. Sie erzählten mir, dass sie aus Australien kämen, in einer Rock-’n’-Roll-Band spielten und am nächsten Abend als Vorband im Armadillo World Headquarters auftreten würden. Das waren Malcolm und Angus Young plus einem weiteren Typen, vielleicht ihrem Drummer Phil. Eines führte zum anderen und so landeten wir schließlich in ihrem Hotelzimmer. Ich hatte ein bisschen Gras dabei und wir benebelten uns damit.“
Angus trank Alkohol und rauchte Pot?
„Ja, ich bin mir sicher, dass sie alle ein Bier oder einen Drink bestellten. Ich würde mich erinnern, wenn einer von ihnen das nicht getan hätte. Trinken war völlig normal, wir alle benebelten uns, keine große Sache. Angus kiffte mehr, als er trank, wenn ich mich richtig erinnere. Er rauchte gerne vor den Shows. Als Nächstes erinnere mich, wie wir im Hotelzimmer herumhingen. Es war Bons Zimmer. Dort traf ich ihn auch zum ersten Mal. Er sah für die damalige Zeit ganz normal aus – abgesehen von seinen vielen Tätowierungen. Ich fragte sie, wie sie auf den Namen AC/DC gekommen waren. Ich erklärte Malcolm, dass wir den Begriff bei uns als Bezeichnung für Leute gebrauchten, die an beiden Ufern zu Hause waren, und mir nicht sicher wäre, wie die Leute darauf reagieren würden. Sie taten dies mit einem Lachen ab. Außerdem mussten sie mir erklären, was mit ‚The Jack‘ gemeint war. Ich blieb ziemlich lange dort und versuchte, sie zu überreden, mich vor der Show am nächsten Abend zum Pedernales River zu begleiten. Der lag etwas außerhalb der Stadt. Ich wollte nur ein bisschen mit Texas angeben und ein wenig länger mit diesen Jungs abhängen. Sie waren wirklich ganz anders. Alle verstanden sich gut und unterhielten sich großartig. Man konnte eine echte Freundschaft zwischen ihnen spüren. Leider konnten sie nicht mitkommen, weil sie für irgendetwas eingeteilt waren oder keine Lust hatten. Bon aber sagte zu den anderen, dass er mich gerne begleiten würde. Ich versprach, ihn rechtzeitig und wann immer sie wollten wieder abzuliefern.“
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