„Er wusste, dass AC/DC seine letzte Chance darstellten. Entweder würde es mit ihnen oder eben gar nicht mehr gelingen. Es hätte ihm gefallen, ein Soloalbum aufzunehmen, weil er über eine echt gute Stimme verfügte. Er konnte sich genau wie ich für echt gute Sänger begeistern … Wir standen beide auf denselben Kram. Obwohl er hoffte, irgendwann einmal ein Soloalbum aufnehmen zu können, war ihm klar, dass das nicht so bald passieren würde. Bei dem Terminplan stand das nicht zur Debatte. Was die Southern-Rock-Sache betrifft, so denke ich, dass sich das jemand anders ausgedacht hat. Ich glaube, dass die Stile und die Art von Songs, die er gemacht hätte, ziemlich durchmischt gewesen wären. Ihm gefiel alles von Hank Williams bis hin zu Sam Cooke. Er mochte auch eine Reihe von Sängerinnen, von denen viele gar nicht sonderlich berühmt geworden sind.“
Holly X widerspricht. „Bon liebte alles, was mit dem [amerikanischen] Süden und Westen zu tun hatte: Cowboys und den Wilden Westen etwa“, sagt sie. „Meine Mom war eine echte Südstaatenschönheit aus Georgia und das schien ihm zu gefallen. Ich erinnere mich, wie ich ihn zum Lachen brachte, indem ich manchmal mit starkem Südstaaten-Akzent sprach. Angesichts der offenkundigen Spannungen zwischen Bon und Malcolm hätte es mich nicht überrascht, wenn das sein Plan B gewesen wäre für den Fall, dass Malcolm ihn wegen seiner unkontrollierten Trinkerei gefeuert hätte.“
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Bons unsterbliche Worte in „Rock ’N’ Roll Damnation“ – Take a chance while you still got the choice – stellen für Millionen von Menschen eine Lebensanleitung dar. Und doch waren die Umstände seines Niedergangs weder heroisch noch tragisch und entsprachen somit nicht diesen allergrößten Klischees. Vielmehr lief alles in Zeitlupe ab. Sein Tod hatte sich schon seit Jahren angekündigt, wie diese Touren durch Nordamerika jedem aus seinem direkten Umfeld verdeutlichten. Warum halfen ihm weder seine Bandkollegen noch das Management der Band? Warum hielt ihn keiner dabei auf, sich selbst zu zerstören? War Alkohol sein Gegengift für all die Drucksituationen, die das Leben auf Tour für ihn bereithielt? Waren es AC/DC und die Persönlichkeiten, die die Band ausmachten, die ihn so ruinierten?
Back In Black, das meistverkaufte Hardrock-Album aller Zeiten, war viel mehr als eine „Hommage“ an Bon, denn ohne ihn wäre es wohl nie zustande gekommen, egal ob es nun seine Lyrics auf dem Album sind oder nicht. Auch Aussagen seitens der Band, denen zufolge sie mit dem Gedanken spielten, nach Bons Tod das Handtuch zu werfen, sind sehr fragwürdig. Diese Darstellung des Sachverhalts hat AC/DC sehr geholfen und ist so allgegenwärtig, so eingebettet in das kollektive Bewusstsein der Musikmedien und der Fans, dass es niemand wagen würde, von etwas anderem auszugehen.
Als 2016 Bons Nachfolger Brian Johnson nach 36-jähriger Dienstzeit völlig überraschend von AC/DC vor die Tür gesetzt wurde, veröffentlichte die Band eine Pressemitteilung, in der sie Brian „für seine Beiträge und Hingabe zur Band über all die Jahre hinweg“ ihren Dank aussprach. Das fühlte sich an, als wäre er gerade in der Autofabrik wegrationalisiert worden. Die Fans reagierten jedenfalls fast ausnahmslos mit großer Verwunderung und verächtlichem Kopfschütteln. Wie konnte irgendjemand nur so gefühllos sein? Malcolms Brüder Angus und George – der etwas älter war und seit jeher hinter den Kulissen eine Schlüsselrolle eingenommen hatte – mussten den Verstand verloren haben.
Brians Erklärung, sein Gehör wäre so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass er nicht mehr live auftreten könnte, gab keinen Aufschluss darüber, warum man sich seiner so rasch entledigte: Noch am selben Tag, an dem er die Diagnose seines Arztes erhielt, verkündeten AC/DC, dass ein „Gastsänger“ Johnson ersetzen würde. Die Youngs haben nicht abgewartet, bis es ihm wieder besser ging, und die restlichen Konzerte ihrer Welttournee abgesagt. 6Als Bon noch lebte, war auch er ins Fadenkreuz der Brüder gerückt. Was den Youngs wirklich wichtig war, war ihr Durchbruch – und das Geld. Mit oder ohne Bon.
Bon mag zwar zweifellos sehr begabt gewesen sein, doch letztlich muss man sagen, dass er es vergeigt hat. Aber trotz all seiner reichlich vorhandenen charakterlichen Mängel belegt seine grundlegende Anständigkeit – seine Gesten gegenüber Menschen (Briefe, Postkarten, Geschenke), die Verbindung mit seinen Fans, seine überraschende Sanftmut, an die man sich gern erinnert – auch nachhaltig seine Menschlichkeit. Sie ist auch der Grund, warum seine Geschichte auch heute noch bewegt. Was die Angelegenheit umso schmerzlicher macht, ist die Tatsache, dass er einfach viel zu früh von uns ging beziehungsweise unter Umständen, die nie ganz geklärt wurden.
„Die olle Kamelle vom Rockstar, der an seiner eigenen Kotze erstickt, degradiert ihn einfach in eine Kategorie, die er sich nicht verdient hat“, sagt Larry Van Kriedt, AC/DCs erster Bassist und Freund der Youngs aus Kindertagen.
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Der mittlerweile verstorbene Vince Lovegrove erzählte dem australischen Autor Clinton Walker für seine 1994 erschienene Bon-Biografie Highway to Hell, dass der AC/DC-Frontmann, sein alter Freund und Bandkollege bei der Sixties-Bubblegum-Popband The Valentines, stets gewirkt hätte, als würde ihn etwas belasten, „egal ob es nun sein kreatives Verlangen war oder auch seine vermeintliche Unzulänglichkeit, die ihn vielleicht wegen seiner Herkunft aus der Arbeiterschaft oder seiner mangelnden Bildung plagte. Keine Ahnung. Allerdings gab es da einen inneren Konflikt, eine gewisse Unsicherheit bezüglich seiner selbst. Er ließ zwar gerne den großen Macker raushängen, aber dahinter verbarg sich ein Softie.“
Jahre später fragte Dr. Volker Janssen, ein AC/DC-Fan, Lovegrove nach seiner Meinung zu Clinton Walkers Buch. „Ich halte es für einen ehrlichen Versuch eines Fans, den echten Bon Scott zur Sprache kommen zu lassen, indem seine Persönlichkeit laut der Einschätzung seiner Freunde nachgezeichnet wird“, antwortete er. „Ich glaube, dass Walker die Essenz eines Teils von Bon, nämlich den guten, zu dem sich jeder hingezogen fühlte, gut wiedergibt. Allerdings scheitert er an Bons dunkler Seite.“
Es ist diese dunkle Seite, für die ich mich interessierte. Ich bewundere das, was Walker mit seinem Buch über Bon versucht hat. Es entstand vor dem Zeitalter von Google, als alle Fakten rigoros überprüft werden mussten – und gegen den Widerstand von AC/DC und ihrer langjährigen australischen Plattenfirma Albert Productions (auch Alberts genannt). Doch durch meine eigenen Nachforschungen habe ich begriffen, dass viele seiner Aussagen und Schlüsse zu Bon schlichtweg falsch waren.
Silver Smith bezeichnete ihre Beteiligung an Walkers Buch mir gegenüber als „Fehler … Ich habe schon eine Menge Mist gelesen. Nach Walkers erstem Versuch [einer Bon-Biografie] begriff ich, dass die Leute sich mehr für Mythen als für die Wahrheit interessieren“.
Mary Renshaw behauptete, dass Bons Bruder Graeme Scott das Buch „in die Mülltonne warf“. Das kann allerdings – so fair muss man gegenüber Walker sein – sowohl gegen als auch für das Buch sprechen. Schließlich geht es bei einer guten Biografie nicht darum, die Familie der porträtierten Person glücklich zu machen.
Auf jeden Fall war Walkers Buch um Längen besser als Renshaws. Auch gebührt ihm große Anerkennung dafür, die erste echte Biografie von Bon vorgelegt zu haben. Highway to Hell ist aber auch auf keinen Fall das ultimative Porträt dieses Mannes – ebenso wenig wie all die anderen Bücher über Bon und AC/DC. Obwohl ich dies auch nicht für Bon – Der letzte Highway in Anspruch nehmen möchte, glaube ich doch, dass mein Buch ein völlig neues Bild zeichnet, das der Wahrheit viel eher entspricht als alle anderen bisher zu diesem Thema veröffentlichten Bücher.
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