Bis Jones dem Trinken abschwor, begegnete er den Anonymen Alkoholikern misstrauisch.
„Wann auch immer ich AA-Leuten über den Weg lief, dachte ich mir: ‚Uuuuh, zieht bloß Leine.‘ Als wären sie der Teufel oder so.“
Gab es eine Intervention?
„Nein. Anscheinend waren viele geplant [lacht]. Aber irgendwann kümmerte ich mich aus eigenem Antrieb darum. Ein Freund organsierte etwas für mich und ich flog in die Karibik. Das war die besten Entscheidung meines Lebens. Das hat mir das Leben gerettet. Ich wollte wohl den Traum eines lasterhaften Daseins ausleben, Starruhm, all diese Dinge eben, die einen in große Schwierigkeiten bringen. Ich begriff, dass ich die Beziehung zu meiner Familie und alles andere auch aufs Spiel setzte. Alles, was ich hätte verlieren können, hätte ich auch verloren. Zunächst hätte ich mal mein Leben verloren. Darauf wäre alles über kurz oder lang hinausgelaufen. Ich habe gesehen, wie das vielen Menschen zustieß, auch Bon. Bon war eines der frühen Opfer in unserer Generation in den Siebzigern, am Übergang zu den Achtzigern. Tragisch. Musiker sind sehr sensible Leute. Es ist nicht unbedingt der Hunger oder Macht oder Geld, was sie antreibt. Es geht mehr um den Ruhm. Um dieses Gefühl auf der Bühne, wenn du dich mit all diesen Leuten da draußen in Verbindung setzt und Unmengen von Menschen berührst. Und irgendwie versucht man, diesen Traum am Leben zu erhalten, auch wenn man es nicht mehr wirklich auf die Reihe bekommt. Ich kann mich an so viele Male erinnern, als ich mir vornahm, etwas zu unternehmen, aber nach ein paar Tagen der Enthaltsamkeit dachte ich mir: ‚Ach, ich habe seit fünf Tagen nichts mehr getrunken, ich habe es mir verdient, dieses Wochenende so richtig die Sau rauszulassen.‘ Das war ein sich stets wiederholender Kreislauf. Du weißt schon, des Leugnens eben. Ein Alkoholiker kann sich nicht auf nur einen Drink oder eine Droge oder was auch immer beschränken. Ich wusste, wenn ich meinen Scheiß nicht geordnet bekäme, würde ich die Musik bleiben lassen müssen.“
Diese Kultur des Leugnens war auch bei AC/DC nicht ganz unbekannt.
„So wie er sich hielt, hätte man glauben können, dass Bon Scott unsterblich wäre“, sagte Angus Young. „Er soff wie ein Loch und am nächsten Morgen sah er überhaupt nicht mitgenommen aus. Du fragtest dich dann, wie er das nur schaffte.“
Eine wirklich gute Frage.
13Oft liest man auch, dass Bons Mutter Isabelle oder Isobelle hieß – auf Bons Geburtsurkunde steht zum Beispiel „Isabelle“ –, obwohl ihre Einwanderungs- und Wahlunterlagen sie korrekterweise als Isabella identifizieren. Auch auf ihrer Gedenkplakette auf dem Fremantle Cemetery steht es so. Ravenscraig wird in Walkers Biografie fälschlicherweise „Raymondscraig“ genannt. Dabei handelt es sich um ein Schloss aus dem 15. Jahrhundert in Isas Heimatort Kirkcaldy.
14John Fyfe, ein AC/DC-Fan aus Forfar, sagt: „Bons Berühmtheit wird in Forfar zumeist übersehen. Kirriemuir hat ihn sich unter den Nagel gerissen. Zwar ist er in Forfar geboren, doch wohnte er in Kirrie. Dort lebten auch seine Großeltern. Die Gedenktafel zu seinen Ehren befindet sich in Kirriemuir. Da steht sogar drauf, dass er in Kirriemuir – und eben nicht in Forfar – geboren wäre. Also nimmt man dort jetzt sogar für sich in Anspruch, sein Geburtsort zu sein. Ein paar Kumpels und ich erinnern sie immer wieder mal daran, dass er in Forfar geboren ist, aber das stößt auf taube Ohren.“ Er weist darauf hin, dass zwischen den Youngs und Bon ein Riesenunterschied besteht. „Ich kann den Glasgow-Scheiß nicht ernst nehmen. Das tue ich zum Teil, weil Glasgower voller Komplexe sind. Ich meine ja nur, fuck me, es gibt einen Unterschied – und zwar einen gewaltigen – zwischen Schotten von der Ost- und Westküste, wie man etwa an Bon und den Youngs erkennen kann. Bon verkörpert genau das, was man von jemandem, der in Forfar geboren ist und von Leuten aus Kirrie aufgezogen wurde, erwartet: locker drauf, nicht zu sehr auf das bedacht, was die Leute von ihm halten, selbstsicher. Es ist typisch, dass seine Eltern das neue Land als eine Möglichkeit für ein besseres Leben ansahen, ohne dabei zu anmaßend zu sein. Bei den Youngs finden sich einige Aspekte der Glasgow-Mentalität. Aber die haben auch so ein Rad ab. Jemand aus einer ländlichen schottischen Gemeinde könnte jemandem aus der Großstadt in puncto ‚angepisst sein‘ immer noch eine Lektion erteilen. Tun wir aber nicht. Aber, wie Bon zeigte, haben wir das sehr wohl drauf – wenn es uns ‚angemessen‘ erscheint. Aber eben nicht die ganze verdammte Zeit.“
Am 30. April 2016 wurde in Kirriemuir eine Statue von Bon errichtet. Sie wurde zur Gänze von Fans finanziert. Die Inschrift bezeichnet ihn als „Jungen aus Kirriemuir“.
15„Er schrieb in Blockschrift, wie ein Kind“, erzählt Pattee Bishop. „Seine Handschrift bestand nur aus Großbuchstaben. Er saß am Pool und schrieb Listen. Sein Koffer war immer fein säuberlich gepackt. Er war ein Sauberkeitsfanatiker. Außerdem hatte er einen Notizblock, auf dem er die Namen von Freundinnen notierte … Ich sah Tourdaten und Zeichnungen. Ich bin mir nicht sicher, was er alles niederschrieb, ich sah nur die großen Blockbuchstaben, die er verwendete.“
Teil II
1978
8
What’s Next To The Moon
Ich buche eine Rückfahrkarte von New York nach Miami mit dem Atlantic Coast Service der US-amerikanischen Bahngesellschaft Amtrak. Die Distanz beträgt 1550 Meilen – in eine Richtung. Innerhalb weniger Minuten nach unserer Abfahrt aus der Manhattaner Penn Station fährt der Silver Star parallel zum Highway. An mir zieht ein Panorama mitsamt Wassertürmen, Versandcontainern, Trucks, Bussen, Überführungen aus Beton, Stromleitungen, Sümpfen, wucherndem Gras, Schrottplätzen, Altmetall, Kohlehalden und Plakatwänden vorüber. In Harrison, New Jersey, wachsen neue Wohnkomplexe aus dem Boden. Ab Trenton, der Hauptstadt des Bundesstaates, erhält die Landschaft einen zunehmend suburbanen Anstrich: Amerikanische Flaggen hängen an Fahnenmasten vor mit Schindeln verkleideten Häusern, die in sauberen kleinen Straßen stehen und vor denen auf dem Rasen Plastiktische und -stühle sowie mobile Planschbecken aufgebaut sind. In Virginia sehe ich vermehrt Traktoren dahintuckern. Bei Anbruch der Nacht, nach einem halben Tag Zugreise, bin ich erst in North Carolina mit seinen Wäldern, Hainen und offenen Feldern, auf denen vereinzelt Schuppen und landwirtschaftliche Geräte auszumachen sind. In ebendieses von Industrie und Landwirtschaft geprägte Amerika entsandte Atlantic Records AC/DC im Jahr 1978. Die großen Städte mussten erst noch erobert werden. 16Diese Zeit, diese Ära – sie wird nie wiederkommen. Sie ist Geschichte. Dasselbe lässt sich von dieser außergewöhnlichen Musik sagen. Bald wird dies auch auf die letzten Leute zutreffen, die diesen bemerkenswerten Mann Bon Scott persönlich kannten. Es ist ein beinahe unmögliches Unterfangen, Bons Zeit in Nordamerika wiederauferstehen zu lassen. Warum sind so viele Leute – einschließlich mir selbst – dazu entschlossen, diesem Mann Bücher, Filme, Bühnenstücke, Dokumentarfilme, Instagram-Postings und Facebook-Seiten zu widmen? Warum gibt es über den ganzen Globus verstreut zahllose AC/DC-Coverbands, die in Bars in Yokohama oder auf Fantreffen in Deutschland auftreten und sich immer wieder dafür entscheiden, seinen Songs den Vorzug gegenüber jenen aus der Zeit nach seinem Tod zu geben? Die liebevolle Hingabe an diesen Mann lässt sich schon an den Namen dieser Gruppen ablesen, die sich etwa Let There Be Bon, Bon But Not Forgotten, Whole Lotta Bon, Bon Scott Experience oder auch Bon Scotch nennen. Es gibt buchstäbliche Hunderte von ihnen. Es geht nicht nur um die Musik, da muss mehr dahinterstecken. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass ich – so wie viele dieser Leute auch – an einem bestimmten Punkt begriff, dass mein Leben, so sehr ich mich auch bemühen mochte, nie wie Bons sein würde. Er erlebte mehr in einer Dekade, nämlich den Siebzigern, als viele Menschen in ihrem gesamten Leben. Indem wir ihn als seine Fans verehren, erhoffen wir uns womöglich, dass das, was ihn ausmachte, auf uns abfärbt und auch unsere ansonsten so profanen Existenzen bereichert.
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