Es war keine unbeschwerte Reise. Über die Jahre hinweg lösten sie sich auf, drifteten auseinander und kamen stärker als je zuvor wieder zurück. Diese Geschichte handelt davon, wie eine Gruppe von Teenagern aus dem Valley Los Angeles im Sturm eroberte, dann alles wieder verlor und sich mit einer Reihe von einflussreichen Alben zurückmeldete, die Amerikas Vorstellung von Punkrock verändern sollten.
Aber um begreifen zu können, wie der einmalige Sound von Bad Religion massentauglichen Punkrock-Bands den Weg ebnete, die in ihren Fußstapfen folgen sollten, muss man sich eben zurück in jene unvorstellbar heiße Garage tief im San Fernando Valley begeben.
Die frühe Punk-Szene von Los Angeles spielte sich in Hollywood ab, doch viele der Protagonisten stammten aus dem San Fernando Valley. Eine der ersten L.A.-Bands, die sich Gehör verschaffen konnten, die Dickies, kam aus dem Valley. Als Lee Ving seine Band Fear gründete, lebte er gerade in Van Nuys. John und Dix Denney von den Weirdos – deren Image dazu beitrug, die Punk-Szene von L.A. zu etablieren – waren in North Hollywood und nur einen Katzensprung über die Hollywood Hills hinweg zuhause.
L.A. hat in Bezug auf seine Geografie immer schon ein falsches Bild vorgetäuscht. Die vielen Film- und Fernsehstudios vermittelten den Eindruck, dass die Innenstadt von L.A. nur eine Autoverfolgungsjagd vom Strand entfernt läge, während der man rasch Zwischenstopps in Hollywood und Beverly Hills einlegen könnte. Doch die Realität gestaltete sich immer schon nuancierter. So wuchsen die Jungs von Black Flag etwa näher an Wellen und Sand auf als die Beach Boys. Auch wenn Frank Zappa 1982 in seinem Song „Valley Girl“ nahelegte, dass das Valley eine an Hollywood angrenzende Gemeinde sei, deren kultureller Mittelpunkt das Einkaufszentrum Sherman Oaks Galleria war, umfasst das Valley vielmehr eine Fläche von 650 Quadratkilometern und 1,77 Millionen Einwohnern.
Jene Ecke des Valleys, aus der Bad Religion stammten, lag näher an der Pendlerbahn der Ventura County Line als an der Ortsgrenze zu Hollywood. Noch mehr Vorstadt ging fast nicht und die El Camino Real High School entsprach einer typisch suburbanen Schule. Sie verfügte über einen riesigen Campus, hatte ein renommiertes Football-Team samt Cheerleader-Truppe und entsandte reichlich Schüler aufs College, wo diese sich zu produktiven Mitgliedern der Gesellschaft entwickeln konnten. Außerdem war die Schule der Geburtsort einer der einflussreichsten amerikanischen Punk-Bands überhaupt.
Im Herbst 1979 kreuzte Greg Graffin zu seinem zweiten Schuljahr an der High School mit schwarz gefärbten Haaren und einem Black-Flag-Shirt auf. Und Jay Bentley hatte nun einen Kurzhaarschnitt und erschien zum Unterricht in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Virgin“.
„Ich glaube, dass das bloß wir beide waren“, sagt Jay über die praktisch inexistente Punk-Szene an seiner Schule. Die beiden Zehntklässler hatten beide die Hale Junior High besucht, weshalb sie sich bereits kannten. Sie hatten eine Reihe gemeinsamer Freunde, doch es war ihre Vorliebe für Musik, die sie zusammenschweißte. Es gab keine anderen Punks an der El Camino Real, aber das sollte sich schon bald ändern.
Brett Gurewitz und Jay Ziskrout besuchten die elfte Klasse und hatten schon in zwei Bands zusammengespielt. Die erste Gruppe namens Omega Band schaffte es nie über das elterliche Wohnzimmer der Ziskrouts hinaus. Ihr zweiter Versuch verlief ein wenig erfolgreicher: The Quarks waren eine an die Beatles angelehnte Band, angereichert mit einer Prise New Wave. Brett schrieb die Songs, spielte Gitarre und sang. Ziskrout saß hinterm Schlagzeug. Ihr einziger Gig fand bei einer nachmittäglichen Talentshow an der El Camino Real statt.
Bretts bester Freund, Tom Clement, kannte Greg, der damit prahlte, ein richtig guter Sänger zu sein. Tom hatte sich inzwischen auf Punk eingelassen und ermutigte Brett, es ihm gleichzutun, indem er mit ihm eine Band gründete. „Tom war clever genug, um zu erkennen, dass seine beiden Freunde ein gutes Team abgeben würden, als er mich Brett vorstellte“, sagt Greg. „Wir waren beide intellektuell angehauchte Nerds. Obwohl wir noch so jung waren, trafen hier geistesverwandte Köpfe aufeinander.“
Brett zeigte sich jedoch zunächst noch unwillig, sich voll und ganz dem Punkrock hinzugeben. „Ich hatte lange Haare wie Ric Ocasek oder Joey Ramone“, erklärt Brett. „Ich machte mich langsam startklar für Punk und Tom hatte sich schon vollends darauf eingelassen. Ich trug ein selbstgemachtes Shirt mit der Aufschrift ‚Fuck you, I’m a longhair Punk!‘ Ich hatte Angst davor, meine Haare zu schneiden. Das war damals eine große Sache.“
Tom stellte Greg und Brett einander an der El Camino Real vor. Brett kannte Gregs älteren Bruder Grant, aber hatte Greg noch nie zuvor getroffen. „Ich sagte ständig zu Tom, wie gern ich doch in einer Band wäre. Aber in meinem Kopf ergab das keinen Sinn, da ich ja nichts konnte. Wie startete man eine Band? Als Brett und ich zusammentrafen, bewunderte ich ihn, weil er schon die ganze Ausrüstung hatte. Er verfügte über Wissen, das mir fehlte, um alles in die Wege zu leiten. Er besaß das Knowhow.“ Oder wie Brett es ausdrückt: „Ich hatte eine Anlage.“
Obwohl Greg Brett wegen seiner langen Haare anpflaumte, erhielt ihr Bestreben, gemeinsam Musik zu machen, einen weiteren Schub, als sie im Frühjahr ins Hollywood Palladium pilgerten, um ein Konzert der Ramones zu sehen. Brett fühlte sich von dem Erlebnis so inspiriert, dass er sofort eine Band gründen wollte. „Ich weiß, dass es ein bisschen nach Klischee riecht“, sagt Brett, „und die Ramones gelten ja als die Johnny Appleseeds und Pioniere des Punk, aber in meinem Fall trifft das auch wirklich zu. Vor den Ramones waren alle meine musikalischen Helden entweder Virtuosen oder Rockstars. Aber als ich die Ramones entdeckte, dachte ich mir gleich, dass das etwas wäre, was ich auch selbst bewerkstelligen könnte.“
Die drei Teenager Gurewitz, Graffin und Ziskrout vereinbarten ein Treffen bei Ziskrout zuhause, um dort zu proben. Brett brachte einen Song namens „Sensory Overload“ mit. Greg hingegen steuerte eine Nummer bei, die er auf dem Spinett seiner Mutter komponiert hatte und den Titel „Politics“ trug. Sie brachten einander ihre Songs bei und probten sie im Wohnzimmer ein. Als sie ihr Repertoire beherrschten, nahmen sie die Songs mit einem Kassettenrekorder auf.
Natürlich konnten sie es damals noch nicht wissen, aber diese Probe wies bereits den Weg für ihre Arbeitsweise als Band im Verlauf der nächsten 40 Jahre. Brett und Greg schrieben beide Songs und brachten sie dann zur Probe mit. Dabei handelte es sich nicht nur um fragmentarische Riffs und Melodien, sondern um komplette Nummern samt Texten und Titeln. Wenn die Band sich dann traf und die einzelnen Musiker ihren Senf dazu abgaben, entwickelten sich diese Songs noch weiter. Die Art und Weise, wie Brett und Greg sich die Songs aufteilten, hat sich im Laufe der Jahre und dem Aufkommen neuer Technologien verändert, doch die Methode dahinter ist stets dieselbe geblieben. Sie schreiben ihre Songs unabhängig voneinander und bringen sie dann in die Band ein, um sie gemeinsam zu verfeinern.
Brett war von Gregs Talent und Entschlossenheit beeindruckt. „Zu dieser allerersten Probe, als wir noch keinen Bassisten hatten“, erinnert sich Brett, „brachten Greg und ich jeweils einen Song mit. Greg brachte mir seinen Song auf der Gitarre bei und ich zeigte ihm, wie er meinen Song singen sollte. Dann spielten wir sie und sie passten gut zusammen.“
Obwohl alle zufrieden waren mit dem Verlauf der Probe, wollten sie doch wissen, wie sie mit einer Bassgitarre klängen. Am darauffolgenden Montag rekrutierte Greg deshalb Jay Bentley, der sich an das kurze Einstellungsgespräch erinnert:
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