Allerdings muss man Frank schon zugestehen, dass er bezüglich der Inhalte der Songs absolut allem gegenüber offen eingestellt war. Vielleicht hatte das ja damit zu tun, dass er kein Englisch konnte und der Text eines Songs bei ihm daher ohnehin keinen Eindruck hinterließ. Aber so ergab sich eben auch eine absolut hinreißende Mischung. „Brown Girl in the Ring“ zum Beispiel, der einer unserer größten Hits werden sollte: Liz und ich wussten, wie ansteckend der Song war, da wir ihn schließlich aus unserer Kindheit auf Jamaika kannten. Ebenso verhielt es sich mit meinem Song „Belfast“: Frank fiel auf, dass der Song in den Discos prima ankam, weshalb er Boney M. eine Version aufnehmen ließ. Er bemerkte anscheinend überhaupt nicht, dass es sich dabei um einen Song mit einer politischen Aussage handelte. Und auch beim Titel unseres fünften Albums, Boonoonoonoos, handelte es sich um ein Wort, das die jamaikanische Volksdichterin und Komikerin Louise Bennett – Miss Lou – erfunden hatte. Sie benutzte es, um damit Dinge und Menschen zu umschreiben, die in ihren Augen besonders schön oder speziell waren. Wie hätte Frank dieses Wort kennen sollen? Irgendjemand muss es ihm gesagt haben – oder vielleicht hörte er es auch, als wir uns zu Dreharbeiten auf Jamaika aufhielten, und beschloss daraufhin, es aufgrund seines wohltuenden Klangs als Leitthema für das Album zu verwenden.
Da das erste Album nur so vor Coverversionen zu strotzen schien, stellte er ein Team von Songwritern zusammen. Hans-Jörg Mayer war der Kopf hinter vielen unserer Songs. Er war echt clever, hatte die Universität besucht und kannte sich wirklich mit Musik aus. Hans-Jörg arbeitete von Anfang an mit Frank zusammen und schrieb zum Beispiel „Daddy Cool“. Sein Künstlername, der ihn als Autor seiner Songs auswies, lautete George Reyam – Mayer rückwärts geschrieben. Ein anderer wichtiger Autor war Fred Jay, ein Amerikaner mit deutschen Eltern, der zweisprachig aufgewachsen war. Er und seine Frau waren überaus bezaubernde Leute. Aus Freds Feder stammte etwa „What Am I Living For?“, das in den Fünfzigerjahren in den USA ein riesengroßer Hit gewesen und seither von Dutzenden von Acts interpretiert worden war. Dann zog er nach Deutschland, wo er ebenfalls für etliche Pop-Hits verantwortlich zeichnete. Zum ersten Mal traf ich ihn in Franks Offenbacher Studio, als wir „Ma Baker“ aufnahmen, eine Kollaboration zwischen Hans-Jörg und Fred. Zunächst sollte der Song „Ma Barker“ heißen – wie die reale Gangsterbraut. Nur ließ sich das nicht so leicht singen, weshalb Fred sagte: „Okay, wie wäre es dann mit Baker? Das lässt sich leichter singen. Ihr könnt den Song ‚Ma Baker‘ nennen.“
Stefan Klinkhammer wiederum war ein echtes Genie als Arrangeur. Auch er arbeitete von Anfang an mit Frank zusammen. Ich traf ihn bei meinem ersten Vorsingen für Boney M. Viele Leute wissen nicht um die Bedeutung des Arrangeurs, vor allem bei jenen großen Produktionen, die Frank vorschwebten, als Boney M. sich weiterentwickelten. Stefan spielte eine zentrale Rolle dabei, das Grundgerüst eines Songs dahingehend auszugestalten, dass sich pure Pop-Sounds ergaben, die mit Disco-, Reggae- oder Rock-Elementen oder was auch immer versehen waren, wodurch sie sich von der breiten Masse abhoben.
Später arbeiteten noch andere Songwriter mit Boney M., aber anfangs waren diese Jungs und Stefan nicht weniger wichtig als Frank, als es darum ging, den Sound von Boney M. zu formen. Ich möchte Franks tatsächlichen Beitrag gar nicht schmälern. Er war ein verdammt guter Produzent und der Kopf hinter allem, der all diese Faktoren zusammenbrachte. Allerdings war er kein Songwriter und er sollte nicht so tun, als hätte er sich bei uns um alles gekümmert, wie er mal in einem Fernsehinterview behauptete. Nein, das war ordentliches Teamwork von Leuten aus Deutschland, Amerika und der Karibik. Den wahren kreativen Köpfen hinter Boney M. sollte deshalb auch die entsprechende Anerkennung zuteil werden.
Obwohl Frank den Sound eher formte, als ihn selbst zu komponieren, wurde er dennoch als Autor ausgewiesen. Somit war er an den Einkünften der Songwriter beteiligt.
Das ist schon lange eine Grauzone im Musikbusiness. Songwriter mussten sich darauf einlassen, einen Prozentsatz ihrer Einkünfte abzugeben, weil ihre Songs sonst künftig nicht mehr zum Zuge kämen – und 70 Prozent der Vergütung eines Hits sind immer noch besser als 100 Prozent von nichts.
Der Look von Boney M. resultierte ebenfalls aus Teamarbeit, obwohl es mitunter auch ganz schön beängstigend sein kann, wenn jemand anderes darüber entscheidet, wie wir schon früh herausfanden.
Von Anfang an ließen wir uns von dem renommierten deutschen Rock-Fotografen Didi Zill ablichten. Er gehörte zu den besten seines Fachs und fotografierte fantastische Studio-Sessions mit so ziemlich jedem von Little Richard über Tina Turner bis zu Culture Club oder Alice Cooper. Von uns schoss er ein paar großartige Live-Aufnahmen und ich liebte es, mit ihm zu arbeiten. Ich war also rundum happy, als ich erfuhr, dass er die Fotos für die Plattenhülle von Take the Heat off Me schießen würde. Wir trafen ihn in einem Berliner Fotostudio und warteten darauf, dass die Beleuchtung eingerichtet wurde, als mir auffiel, dass etwas fehlte. Ich fragte also Frank, wo denn unsere Kostüme wären. Er meinte, ich müsste mir deswegen keine Sorgen machen, denn er wolle sie gerade abholen gehen. Fein. Als er dann zurückkehrte, hatte er nicht mehr dabei als eine kleine Einkaufstüte. Im ersten Moment dachte ich mir noch nichts dabei und fragte ihn erneut nach unseren Kostümen. Doch er grinste nur und hielt die Tüte hoch.
Noch bevor er sie aufhielt, blieb uns die Spucke weg. Als wir drei Mädels dann die durchsichtigen Dessous, die sich darin befanden, erspähten, waren wir durch die Bank schockiert: „O nein! Was sollen wir bei diesem Fotoshooting machen?“ Obwohl wir auf der Bühne manchmal eher gewagt wirkten, waren wir abseits davon vier ganz gewöhnliche Leute mit ganz gewöhnlichen Neigungen – und auf keinen Fall wollten wir uns halbnackt vor drei oder vier Männern im Studio in Pose werfen. Didi eilte uns schließlich zuhilfe, da es ein Teil seines Jobs war, seine Motive in eine entspannte Stimmung zu versetzen – und Didi war sehr gut in seinem Job. Er machte gar keinen großen Wirbel, sondern schickte uns einfach in die Garderobe, wo wir unsere, ähem, Kostüme anlegen sollten. Allerdings durften wir unsere eigene Unterwäsche anbehalten und die dort bereitliegenden Bademäntel anziehen. Als wir zurückkamen, arrangierte er uns so auf dem Boden des Studios, wie er uns haben wollte – immer noch in Bademäntel gehüllt. Schritt für Schritt positionierte er uns: Liz und ich standen uns mit den Gesichtern so nahe gegenüber und sahen uns an, als wären wir Lesben; Maizie wand sich, wodurch es wirkte, als würde ihr der Unterrock herunterrutschen; und Bobby stand, ganz der Macho, hinter uns. Als Didi endlich zufrieden war, meinte er: „Jetzt könnt ihr ablegen!“ Eine seiner Assistentinnen half uns aus unseren Bademänteln und Büstenhaltern, ohne dass wir dabei zu viel zeigten. Er linste durch seine Kamera und schwärmte: „Fantastisch! Marcia, kannst du noch ein wenig nach links rücken? Mmmhmmm, fantastisch … bleib so … und jetzt alle!“ Dann knipste er drauflos und wir fühlten uns, als wären wir bei einem Mode-Shooting gelandet.
Darin lag meiner Meinung nach das Genie Didi Zills. In kürzester Zeit gelang es ihm, uns die Angst zu nehmen, wie Stripperinnen zu wirken, und vermittelte uns stattdessen das Gefühl, Fotomodels zu sein. Wir fingen an, die Session richtig zu genießen, was an dem Aufwand lag, den er betrieb, um sicherzustellen, dass wir uns wohl fühlten. Er versicherte uns auch, dass wir auf gar keinen Fall billig wirken würden. Obwohl ich mehr Haut zeigte, als ich ursprünglich angenommen hatte, fühlte ich mich auf keinen Fall bloßgestellt.
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