Seitdem zählte Top of the Pops immer zu den Höhepunkten meiner Zeit bei Boney M. Es war stets total aufregend, sogar als wir schon ein Dutzend Mal oder öfter dort aufgetreten waren. Auch später, als wir schon Karriere gemacht hatten, war ich immer noch aufgeregt, wenn ich auf die Bühne stieg und, umgeben vom Publikum, hörte: „Und hier sind sie wieder, Boney M.!“ Ich war so begeistert, in dieser Show vor so vielen Leuten, die ich kannte, auftreten zu dürfen, dass ich anfing, ein wenig zu prahlen und mich ganz besonders ins Zeug legte. Nur damit man vor den Bildschirmen besser von mir dachte.
Ich bereue nur, dass ich keine Zeit hatte, um meine Familie und meine alten Freunde zu besuchen, um ihnen zeigen zu können, wie ich arbeitete und wie es sich als Mitglied von Boney M. so lebte. Wir hatten einfach nicht genug Zeit, da unser Terminplan so streng geregelt war: Wir landeten und hielten eine Pressekonferenz im Büro der Plattenfirma oder dem Hotel ab. Dann traten wir bei Top of the Pops auf. Als nächstes stand ein Abendessen oder ein Meet-and-Greet mit der Führungsetage des Labels auf dem Programm. Anschließend ging es zurück ins Hotel, um zu schlafen. Am nächsten Tag mussten wir dann weiter und zogen dasselbe in einem anderen Land routiniert durch.
Mittlerweile begleitete uns ein ganzes Team von Hansa Records, unserer deutschen Plattenfirma. Sie vernetzten sich mit ihren Partnern in London, weshalb wir niemals unbeaufsichtigt blieben. Man drückte uns unsere Flugpläne und unseren Tagesablauf in die Hand und bezahlte sämtliche Rechnungen, die anfielen, während wir die Platte promoteten. Es ging einfach darum, das Maximum aus uns herauszuholen. Niemals hätte ich eine Stunde oder sogar einen ganzen Tag frei bekommen, um mit meiner Familie oder meinen Freunden abzuhängen.
Zu den witzigsten Dingen auf all diesen Reisen kreuz und quer durch Europa gehörte, dass wir ständig auf Abba trafen, die in denselben TV-Shows wie wir auftraten. Damals konkurrierten wir in den europäischen Charts miteinander um die vorderen Platzierungen. Lagen wir auf Platz 1, belegten sie Platz 2 – und umgekehrt. Die Presse versuchte hartnäckig eine Rivalität zwischen uns herbeizuschreiben, indem etwa behauptete wurde, wir würden uns hassen. Als das zu langweilig wurde, verkündeten Zeitungen sogar, dass Liz und Benny eine Affäre miteinander hätten. Aber das war alles Schwachsinn – reine Propaganda, um die Auflage von Zeitschriften zu steigern. Wahrscheinlich stritten sich die Fans darüber, so wie sie das auch schon bei den Beatles und den Rolling Stones getan hatten. Aber wir unterschieden uns als Gruppen stark voneinander. Uns verband nur, dass wir zur selben Zeit erfolgreich waren. Abba besaßen viel mehr Kontrolle über ihre Zeitpläne, weil es sich bei ihnen um zwei Ehepaare handelte, die ihr Material selbst schrieben und auch geschäftlich die Zügel fest in Händen hielten. Wir hingegen waren zusammengestellt worden und Frank Farian schmiss den ganzen Laden für uns. Allerdings waren wir schwarz und exotischer, weshalb wir uns ausgelassener und wilder geben konnten. Zudem hatten wir definitiv die interessanteren Klamotten.
Ich fand Abba immer sehr nett. Sie waren sanfte, freundlich lächelnde Leute, die immer darauf achteten, uns alle zu begrüßen, obwohl eigentlich weder sie noch wir wirklich Zeit hatten. Tatsächlich mal mit ihnen ein wenig abzuhängen, ergab sich leider nur selten. Erstmals kam es dazu, als wir zusammen in der Schweiz auftraten. Anfangs begegneten wir einander noch sehr misstrauisch, saßen in einem Aufenthaltsraum und sahen uns nur an. Wir lächelten ein bisschen und schließlich brach einer von uns, wahrscheinlich Bobby, das Eis. Wir unterhielten uns und verstanden uns großartig. Ich genoss ihre Gesellschaft wirklich und ich bin mir sicher, dass sie sich auch darüber gefreut haben, uns kennenzulernen. Sie verhielten sich uns gegenüber jedenfalls nie großspurig. Ich freute mich über den Konkurrenzkampf, den wir mit ihnen in den Charts ausfochten. Sie sahen das wohl ebenso, da es alles ein wenig spannender machte. Ich liebte ihre Musik und hielt sie für sehr begabte Leute. Außerdem gibt es von ihnen fast ebenso viel Bildmaterial im deutschen Fernsehen wie von Boney M. Jedes Mal, wenn ich wieder etwas davon zu sehen bekomme, erinnere ich mich, was es für ein Privileg war, mit ihnen konkurrieren zu dürfen.
Nachdem wir in Großbritannien endlich hatten Fuß fassen können, hatte ich das Gefühl, dass uns wirklich der Durchbruch gelungen war. Ich war nun auch nach meinem persönlichen Ermessen ein Star. Das wirkte sich aber nicht sonderlich stark auf mich aus, da wir ständig so unter Stress standen, dass ich gar nicht viel Zeit hatte, um mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Na klar, im Hinterkopf realisierte ich schon, was sich da abspielte, aber ich hielt nie inne, um nachzudenken, ob ich irgendetwas anders tun müsste. Ich sagte mir bloß: „Okay, das fühlt sich gut an, ich könnte mich daran gewöhnen!“ Und dann machte ich einfach weiter. Ich bin ein gut geerdeter Mensch, weshalb ich nie wegen einfacher Dinge aus dem Häuschen geriet. Da ich mich meinen Zielen näherte, akzeptierte ich so vieles von dem, was um mich herum geschah, ließ es aber nicht zu, dass es mich in irgendeiner Hinsicht beeinflusste. Letzten Endes gehörte alles zu meinem Plan. Deshalb sah ich das so wie alle anderen Dinge, die in meinem Leben passiert waren. Berühmt zu sein, war einfach nur ein nächster Schritt für mich. Ich verhielt mich so wie damals, als ich mit 13 von Jamaika nach London gezogen war: „Aha, na gut! Dann mal los! Ich kann mit allem umgehen, was mir widerfährt!“
Das soll aber nicht heißen, dass sich der neue Status von Boney M. nicht auf meinen Alltag auswirkte. Wir standen nun im Rampenlicht und konnten ihm auch nicht entkommen. Und warum hätten wir das auch tun sollen? Schließlich war das eine Form der Anerkennung unserer Leistungen. Ich war so zufrieden damit, dass wir für das, was wir uns vorgenommen und umgesetzt hatten, nun gefeiert wurden. Die Leute lernten uns auch als Marcia, Liz, Maizie und Bobby und nicht nur als Boney M. kennen. Wenn wir irgendwo aufkreuzten, sprachen sie uns mit unseren Namen an und die Journalisten stellten jedem von uns individuelle Fragen. Es war schon ironisch, und ich bin mir nicht sicher, ob Frank sehr glücklich darüber war, da dies bestimmt nicht seinem ursprünglichen Plan entsprach. Bei „Do You Wanna Bump?“ war er noch zu 100 Prozent der Mastermind und das Gesicht der Gruppe gewesen. Nun wurden wir aber – gerechtfertigterweise – alle zu Stars. Ich empfand das als dermaßen große persönliche Genugtuung, dass es mich nicht allzu sehr kümmerte, ob jemand verschnupft darauf reagierte. Am besten war, dass das Publikum unsere individuellen Beiträge zur Gruppe und unsere eigenständigen Persönlichkeiten zu schätzen wusste. Die Fans hatten jeweils ihre eigenen Lieblinge und schrieben uns alle einzeln an. Und nein: Ich weiß nicht, wer am meisten Fan-Post bekam.
Wir sorgten praktisch überall, wo wir auftauchten, für Aufruhr – ob wir nun als Gruppe oder solo unterwegs waren. Allerdings war das nicht so wie heute, wenn Prominente von Leuten belagert werden, die ein Selfie mit einem schießen wollen, oder einen von der anderen Straßenseite aus um ein Foto bitten. Damals und vor allem in Deutschland lief das viel verhaltener ab. Doch wenn wir auf der Straße gesichtet wurden, konnte es durchaus zu einem Menschenauflauf oder Verkehrsstau kommen. Wenn wir uns in Restaurants, Geschäften oder auf dem Flughafen aufhielten, mussten wir akzeptieren, dass alles ein wenig länger dauern würde. Für mich war das nie ein Problem. Die Leute wollten mir ja nur mitteilen, wie sehr sie mich mochten. Es gibt Schlimmeres.
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