Überaus seltsam war, dass nur sehr wenig Musik von außerhalb in unsere Boney-M.-Blase vordrang. Vermutlich hörten wir, was sonst noch so in den Charts lief, in Geschäften oder auf dem Weg durch die Flughäfen, aber wir hatten nie genug Zeit, um sie wirklich auf uns wirken zu lassen. In unserer ohnehin knapp bemessenen Freizeit musste ich mich entspannen, weshalb ich Musik hörte, mit der ich bereits vertraut war. Ich besaß einen kleinen roten Cassettenrecorder, den ich mir bei Curry’s in Croydon gekauft hatte. Den nahm ich viele Jahre lang mit auf Tour, um unterwegs meine eigenen Cassetten hören zu können: B.B. King, Barry White und so. Wenn ich etwas Zeit für mich hatte, richtete ich mir meine eigene kleine Welt ein, die sich wiederum innerhalb der Welt von Boney M. befand.
Es war ja nicht so, dass man mir keine andere Musik vorspielen durfte. Ich hätte mich sicherlich mehr darum gekümmert, was musikalisch gerade so abging, wenn ich in den Schreibprozess unseres Materials eingebunden gewesen wäre. Doch unsere Songs wurden uns einfach geliefert, weshalb wir darauf vertrauten, dass Frank sich mit den aktuellen Trends befasst hatte. In diesen Jahren dürften ohnehin wir der angesagteste Trend gewesen sein, da wir so große Erfolge feierten. Ich wusste, welche Chartpositionen Boney M. in diesem oder jenem Land belegten, da uns das rund um die Uhr mitgeteilt wurde. Aber abgesehen von Abba wusste ich nicht, was sich gerade in den Hitparaden abspielte. Und bei Abba war das auch nur der Fall, weil man uns wegen unserer angeblichen Rivalität auf dem Laufenden hielt.
Wir kannten die meisten anderen Acts jedoch persönlich, da die Ära der Musikvideos noch nicht angebrochen war und die Interpreten persönlich in den Fernsehsendungen vorstellig werden mussten. So liefen wir uns auf den Fluren der Fernsehstudios über den Weg. Ich hatte aber noch keinen blassen Schimmer von ihrer Musik, da diese Treffen in der Regel sehr kurz und bündig gehalten waren: „Hallo, man sieht sich!“ Viel mehr Zeit blieb selten um sich die Auftritte dieser Acts anzusehen. Ich versuchte mich allen gegenüber höflich zu verhalten, obwohl ein paar von ihnen uns ignorierten oder sich negativ über uns äußerten. Wenn wir dann zur selben Zeit vor der Kamera standen, konnte das schon ein bisschen unangenehm sein. 40 Jahre später wäre es nicht fair, sie beim Namen zu nennen, denn sie fühlten sich womöglich angesichts unseres Erfolgs eingeschüchtert und sind heute ganz anders drauf.
Zufällig trafen wir einmal Michael Jackson, als wir mit ihm und seinem Bruder Jermaine auf einem Flug von London nach Bremen zusammen in der ersten Klasse saßen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Jackson 5 bereits den Rücken gekehrt, und obwohl er schon ein richtiger Teenager war, wirkte er noch sehr jung. Der kleine Michael eben. Er befand sich in Begleitung seiner Lehrerin und ich fand es interessant, dass er diese paar Stunden ungestörter Privatsphäre in der ersten Klasse auf dieselbe Weise wie ich zu genießen schien. Deshalb sprach ich auch nicht viel mit ihm. Dennoch war er sehr höflich und zurückhaltend – so wie auch später.
Da unser Terminplan so prall gefüllt war, schien es so, als ob für einen in der Boney-M-Blase alles erledigt würde. Auf Tour wurde alles vorab gebucht: Autos und Hotelsuiten warteten bereits auf uns, und wenn wir in einem Restaurant einkehrten, hatte sich schon jemand um die Rechnung gekümmert. Ich musste nur meine Koffer abschließen, bevor ein Hotelpage sie abholte, und sah sie erst im nächsten Hotelzimmer wieder. Wir waren ständig von Leuten umgeben. In der Regel von Vertretern der jeweiligen Plattenfirma. Das hing vom Land ab, in dem wir uns gerade aufhielten. Ihr Job bestand darin, sich darum zu kümmern, dass bei uns alles glatt lief und unsere Fragen beantwortet würden. Nach Konzerten oder Fernsehauftritten führten sie uns in Restaurants oder Nachtclubs aus. Wenn wir nicht so aussahen, als würden wir uns prächtig amüsieren, waren sie mächtig enttäuscht, denn schließlich war dies ein zentraler Bestandteil ihrer Arbeit.
Es war ja nicht so, dass wir nur mit den Fingern schnippen mussten, um alles zu bekommen, was wir wollten, aber es lief schon alles sehr komfortabel ab. Man musste jedenfalls nicht allzu sehr darüber grübeln, was etwas kostete. Wir mussten uns noch nicht einmal Gedanken darüber machen, welche Speisen, Getränke und Annehmlichkeiten uns in der Garderobe erwarteten, da alles von Frank und dem Veranstalter ausgesucht wurde. Viele Leute dürften sich das wie den Himmel auf Erden vorstellen, aber in Wirklichkeit isolierte es uns noch mehr, weil wir auf Tour so nicht viel in Kontakt mit Leuten kamen, die nicht zum Team gehörten. Je berühmter wir wurden, desto größer wurde auch unsere Entourage. Irgendwann begleiteten uns 75 Leute auf Tour. So türmten sich zwischen uns und der Außenwelt noch mehr Schichten auf.
Ich will damit nicht sagen, dass ich mich für diese Art der Aufmerksamkeit und den Service nicht erwärmen konnte, das tat ich durchaus, und ich nahm alles auch gerne in Anspruch. Ich liebte jede einzelne Minute davon, aber ich behielt stets vor Augen, dass die Boney-M-Blase nicht real war. Weshalb sie wohl auch nicht für immer Bestand haben würde. Persönlich ging es mir ein wenig gegen den Strich, so viel Kontrolle abgeben zu müssen. Außerdem hatte ich zu dieser Zeit ja auch schon einen Sohn. Ich hatte es also sozusagen im Blut, Verantwortung zu übernehmen. Doch nachdem ich eine Weile in dieser Welt gelebt hatte, verstand ich, warum so viele Acts, die schon in jungen Jahren in solche Lebensumstände geraten und nach außen hin abgeschottet werden, irgendwann den Boden unter den Füßen verlieren.
Es wäre auch leicht gewesen, unserem eigenen Hype zu verfallen – vor allem, wenn wir nach Tourneen und Studioaufenthalten in Deutschland, Frankreich oder irgendeinem nordeuropäischen Land geblieben wären. Wenn wir dort auf der Straße oder in der Öffentlichkeit auftauchten, hieß es sofort und noch bevor die Namen der einzelnen Mitglieder allgemein bekannt waren: „Ach, du meine Güte! Das ist ja die von Boney M.!“ Oder: „Da geht der Typ von Boney M.!“ In einem Nachtclub musste ich jedenfalls nie meine Getränke selbst bezahlen. Ich hatte aber eine Familie, die ich in England bei jeder Gelegenheit besuchte, und es gibt nichts, was einen besser erdet. Wir waren in England viel weniger präsent als auf dem Festland, wo wir ständig im Fernsehen auftraten, weshalb ich dort nicht so oft erkannt wurde. Und wenn das mal der Fall war, brandeten nie dieselben Begeisterungsstürme auf, wie ich sie vom Kontinent kannte. Keine Ahnung, warum das so war. Es war ja nicht so, als hätten wir in Großbritannien keine Platten verkauft. Bei den Konzerten zeigten sich die britischen Fans nicht weniger ausgelassen als andernorts auch, aber ich nahm mit Erleichterung zur Kenntnis, dass die Leute mir dort respektvoll begegneten.
Ich liebte die Boney-M.-Blase. Sie beschützte uns und erlaubte uns, das zu tun, was wir am besten konnten. Aber es fühlte sich auch gut an, ihr für eine Weile zu entkommen und ein Leben außerhalb dieser Blase zu führen. Ich war selbstsicher genug und hatte ja noch unabhängig von ihr ein Leben. Wenn ich Streicheleinheiten für mein Ego brauchte, musste ich nur ein paar Wochen warten, bis wir wieder auf Tour gingen.
Auch abseits von uns auf der Bühne ging es bei Boney M. um Teamwork. Obwohl oftmals angenommen wird, dass Frank Farian sich um alles gekümmert habe – und natürlich widersprach er in dieser Angelegenheit auch nie –, hatte er sich in Wirklichkeit mit einem Team absolut brillanter Köpfe umgeben, die ihre Ideen beisteuerten. Die Themen unserer Songs waren richtig abgefahren und unterschieden sich sehr stark voneinander. „Ma Baker“ handelte von einer Gangster-Lady in der Art von Bonnie und Clyde. „Brown Girl in the Ring“ leitete sich von einem jamaikanischen Kinderreim ab. „Rasputin“ erzählte die Geschichte jenes irren Mönchs aus dem russischen Zarenreich. Und in „Rivers of Babylon“ wurden Psalme aus der Bibel zu einem Songtext umgearbeitet. Nie und nimmer konnten diese Nummern das Produkt eines einzigen, egal wie fantasiebegabten Kopfes sein. Vielmehr brachten mehrere Leute ihre eigenen Ideen ein. Das führte natürlich dazu, dass sie sich voneinander unterschieden.
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