Preiselastizitäten sind im Allgemeinen nicht konstant, d.h. die Preiselastizität der Nachfrage nach dem gleichen Produkt bei einem niedrigen Preis wird tendenziell geringer sein als bei einem hohen Preis. Ist der Preis niedrig, dann ändert eine Erhöhung des Preises um 1 % den Preis kaum merklich und die Nachfrage wird nicht sehr zurückgehen. Bei einem hohen Preis hingegen ist eine 1 %ige Preiserhöhung mit einem deutlichen Nachfragerückgang verbunden. Auch wird die Preiselastizität der Nachfrage je nach betrachtetem Zeitrahmen unterschiedlich sein. Sie hängt stark davon ab, ob man eine kurz- oder langfristige Betrachtung wählt. Dies kann man sich z.B. anhand der Erhöhung des Ölpreises verdeutlichen: Kurzfristig ist es für die meisten Konsumenten schwierig, ihren Verbrauch an Heizöl, Benzin etc. zu reduzieren, d.h. kurzfristig ist die Preiselastizität der Nachfrage gering. Langfristig jedoch werden die Konsumenten z.B. eher Kraftfahrzeuge mit geringem Verbrauch nachfragen oder auf alternative Energiequellen ausweichen (Erdgas, Solarenergie etc.), sodass die langfristige Preiselastizität in aller Regel signifikant höher ist als die kurzfristige.
Ist die Preiselastizität der Nachfrage kleiner als 1, d.h. reagiert die Nachfrage unelastisch, dann bedeutet dies, dass der Erlös bzw. der Umsatz des Unternehmens bei einer 1 %igen Preiserhöhung steigt. Bei einer elastischen Nachfrage würde bei einer Preiserhöhung der Umsatz zurückgehen. A priori lässt das Konzept der Preiselastizität nur eine Aussage über die Änderung des Umsatzes zu, nicht jedoch über Änderungen des Gewinns. Allerdings kann man anhand der folgenden Überlegung auch einen Zusammenhang zwischen der Preiselastizität der Nachfrage und dem Gewinn herstellen: Da ein Unternehmen, das für sein Produkt einen höheren Preis verlangt, im Allgemeinen nur noch eine geringere Menge absetzen kann, muss es also auch nur eine geringere Menge herstellen. Dadurch werden im Regelfall die Produktionskosten sinken. Also wird bei einer unelastischen Nachfrage eine Preiserhöhung zu einer Umsatzsteigerung und, aufgrund der geringeren Menge, zu einer Kostensenkung führen und die Gewinne werden zunehmen.6 Dies hat jedoch zur Folge, dass ein Unternehmen, das sich einer unelastischen Nachfrage gegenübersieht, den Preis seines Produktes solange weiter erhöhen wird, bis es schließlich in den elastischen Bereich der Nachfragefunktion gelangt. Daraus folgt unmittelbar, dass ein Monopol den Preis seines Produktes immer im elastischen Bereich der Nachfragefunktion wählen wird.7
Beträgt also z.B. die Preiselastizität der Nachfrage beim Monopolpreis 2, dann fordert der Monopolist einen Aufschlag auf die Grenzkosten in Höhe von 50 %. Der Lerner-Index macht deutlich, dass bei einer sehr elastischen Nachfrage selbst ein Monopolist mit einem Marktanteil von 100 % über keine signifikante Marktmacht verfügt, da er bei einer Preiserhöhung einen großen Teil der Nachfrage verlieren würde. Im Grenzfall, d.h. bei einer unendlich elastischen Nachfrage verschwindet die Marktmacht völlig.8 Marktanteile sind also nicht notwendig ein Beweis für die Existenz von Marktmacht. Signifikante Marktmacht liegt daher meist dann vor, wenn die Nachfrage eine geringe Preiselastizität aufweist.
II. Marktmacht und Lerner-Index bei verschiedenen Marktformen
Die Marktmacht eines Cournot-Oligopolisten kann ebenfalls mithilfe des Lerner-Index erfasst werden. Dabei wird der Preis im Cournot-Nash-Gleichgewicht mit pc bezeichnet. Hier ist die prozentuale Abweichung des Marktpreises pc von den Grenzkosten gegeben durch
wobei si den Marktanteil des Oligopolisten i und ηn die Preiselastizität der Nachfrage bezeichnet. Diese Formel entspricht im Prinzip der im Falle eines reinen Monopols, nur geht hier der Marktanteil jedes Oligopolisten si in den Index mit ein. Die Marktmacht eines Cournot-Oligopolisten ist also bestimmt durch die Preiselastizität der Nachfrage, gewichtet mit seinem Marktanteil. Dies macht deutlich, dass die Konzentration in einem Markt eine wichtige Determinante für die Marktmacht ist. Je größer die Marktanteile der Unternehmen, desto stärker ist die Abweichung des Preises von den Grenzkosten, d.h. desto größer ist also die Marktmacht. Auch Kostenunterschiede zwischen den Unternehmen beeinflussen den Lerner-Index. Ein Unternehmen mit geringeren Grenzkosten kann einen höheren Preisaufschlag realisieren und verfügt auch über einen größeren Marktanteil. Könnten die Oligopolisten ihr Verhalten koordinieren und sich gemeinsam wie ein Monopolist verhalten, dann bleibt die Formel weiterhin gültig, aber es muss der Monopolpreis verwendet werden und die Marktanteile sind auf die geringere Monopolmenge zu beziehen.9 Allerdings ist bei der Interpretation des Lerner-Index zu berücksichtigen, dass in einem Markt mit oligopolistischem Wettbewerb nicht das gleiche Ergebnis erwartet werden kann, wie in einem Markt mit vollkommenem Wettbewerb. Auch bei funktionierendem Wettbewerb in einem solchen Markt wird sich das Marktergebnis, aufgrund der Tatsache, dass sich die Unternehmen der strategischen Interdependenz bewusst sind, von dem bei vollkommenem Wettbewerb unterscheiden.
Bei allgemeinen Marktstrukturen muss, anders als beim reinen Monopol oder beim Cournot-Oligopol, zwischen der Marktnachfrage und der Nachfrage, der sich ein einzelnes Unternehmen gegenübersieht unterschieden werden. So kann z.B. die gesamte Marktnachfrage sehr preisunelastisch sein, die Nachfrage für das Produkt eines einzelnen Unternehmens, d.h. die Residualnachfrage, jedoch sehr elastisch reagieren. So wird die Gesamtnachfrage nach einem lebenswichtigen Medikament, das mit den gleichen Wirkstoffen von mehreren Unternehmen angeboten wird, kaum auf Preisänderungen reagieren. Wenn jedoch nur ein Unternehmen den Preis erhöht, um einen höheren Gewinn zu erzielen, dann werden viele Käufer ihren Bedarf bei den anderen Unternehmen decken, d.h. die Residualnachfrage eines einzelnen Unternehmen ist äußerst preiselastisch, sodass trotz unelastischer Marktnachfrage die Marktmacht eines Unternehmens sehr gering ist. Entscheidend für das Vorliegen von Marktmacht eines einzelnen Unternehmens ist also immer die Preiselastizität seiner Residualnachfrage.10
Gibt es neben dem Monopol oder dem Oligopol noch andere Wettbewerber, z.B. einen wettbewerblichen Rand, oder können andere Unternehmen in den Markt eintreten, dann ist das Verhalten dieser aktuellen oder potentiellen Wettbewerber bei der Erfassung von Marktmacht zu berücksichtigen. Analog zur Feststellung des Verhaltens der Konsumenten mithilfe der Preiselastizität der Nachfrage kann man das Angebotsverhalten aktueller oder potentieller Wettbewerber mithilfe der Preiselastizität des Angebots erfassen.11 Diese Elastizität hängt von einer Reihe von Faktoren ab: So spielen die Kapazitäten der aktuellen Wettbewerber eine wichtige Rolle. Eine Ausweitung des Angebots dieser Unternehmen kann nur erfolgen, wenn hinreichend große, bisher ungenutzte Produktionskapazitäten vorhanden sind oder sehr schnell aufgebaut werden können. Andernfalls könnten diese Unternehmen selbst bei einer drastischen Preiserhöhung ihr Angebot nicht erhöhen – die Preiselastizität des Angebotes wäre Null oder zumindest sehr gering. Ein anderer wichtiger Aspekt sind mögliche Marktzutrittsschranken. Wenn z.B. aufgrund absoluter Marktzutrittsschranken, etwa wegen eines Patents, andere Unternehmen nicht in diesen Markt eintreten können, dann hat dies eine geringe Preiselastizität des Angebots zur Folge. Auch der betrachtete Zeitraum ist wichtig: Kurzfristig kann das Angebot nur wenig ausgedehnt werden, da Umstellungen der Produktion Zeit erfordern und Marktzutritte meist erst nach einer gewissen Vorbereitungszeit erfolgen können. Langfristig hingegen ist eine deutlichere Reaktion des Angebots zu erwarten. Der Lerner-Index für die Marktmacht eines Unternehmens bei Berücksichtigung anderer Wettbewerber bzw. von Marktzutritten kann wie folgt angegeben werden:
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