„Was wollt ihr Komiker?“
Jetzt schoss Dorberg noch einmal. Hinter Rita ging eine Wandleuchte zu Bruch. Sie schrie auf und ließ sich auf die Knie fallen. „Wir wollen alle Schuldscheine, die Leo hat, und zwar subito, pronto, verstanden?
Leo winkte sie heran, damit er ihr was ins Ohr flüstern konnte, und drohte dann laut: „Das werdet ihr bezahlen. Ich mache euch fertig und verfüttere das Hackfleisch an meinen neuen Hund.“
„Ja, das wissen wir, wenn du aus dem Krankenhaus kommst und noch laufen kannst. Wenn es dir lieber ist, fackeln wir vorher die Stahlstraße ab. Ich weiß sehr genau, was du unter Ritas Bett versteckt hast. Für sie sind fünf bis sieben Jahre drin, für dich, wenn alle Frauen aussagen, zwölf bis fünfzehn plus Sicherungsverwahrung.“ Rita stand auf und schlich mit krummem Rücken aus der Diele. Minuten später kam sie mit einer prall gefüllten Papiertüte zurück. Dorberg und Rudi holten sich zwei Stühle und schauten sich in aller Ruhe die Scheine, Notizen und Zettel an. Kaum zu glauben, wer sich da mit welchen Summen verschuldet hatte. Darunter auch auch ein Timo Reufels, und weil im Wohnraum lustiges Kaminfeuerchen prasselte, fütterten sie den Kamin mit etwas Papier und einer halbvollen Papiertüte.
Rita hing sich ans Telefon: „Einen Notarztwagen bitte, mein Freund hat sich aus Versehen ins Bein geschossen.“ Na ja, so konnte man es auch ausdrücken.
*
Auf der Rückfahrt erklärte Dorberg sein Handeln. „Wir hatten zweimal den schönen Leo bis vor Gericht gebracht. Und beide Male kam er mit Notwehr durch. Ich hatte mir fest vorgenommen, bevor mich ein Schwerverbrecher in Notwehr ersticht, schieße ich lieber, eigentlich wollte ich seine Eier treffen, aber der Oberschenkel ist ja auch ganz nett.“
„Ist das deine Dienstwaffe?“
„Nein, die habe ich längst abgegeben. Diese Pistole habe ich heimlich einem Totschläger abgenommen, der sie in den nächsten Jahren nicht mehr brauchte, und dann hatte ich mich an das gute Stück gewöhnt.“
Rudi staunte. So kannte er seinen Freund Dorberg gar nicht.
*
Isa kam an die Haustür gestürzt: „Erfolg gehabt?“, flüsterte sie.
„Ja“, gaben beide genau so leise zurück.
„Passt! Das darf sie nicht hören, ich habe sie wohl so weit, dass sie mit mir nach Bonn kommt und Timo für den Moment vergisst.“
Das war Rudi eigentlich gar nicht recht; aber er konnte es der besorgten Mutter einer liebeskranken Tochter wohl nicht abschlagen. Schon auf der Ruhrbrücke erkundigte sich Julia: „Schläfst du – Entschuldigung, schlafen Sie mit meiner Mutter?“
„Ja, du kannst mich ruhig duzen. Heute nacht überlasse ich aber dir meine Betthälfte.“
„Dann bist du der Schulfreund aus Lanzarote?“
„Nein, der aus Mainz-Kastel, den deine Mutter auf Lanzarote zufällig wiedergetroffen hat.“
„Es geht doch nichts über alte Freundschaften“, murmelte Julia etwas aufsässig, aber das überhörte Rudi elegant, weil er gerade einen dieser idiotischen, lebensgefährlichen Gigaliner überholen musste.
Die Couch war verdammt unbequem, Rudi spürte schmerzhaft alle Knochen, als Julia mit ihrem Handy am Ohr ins Wohnzimmer kam. Sie bemerkte seinen empörten Blick und verteidigte sich: „Ich muss mich doch in der Schule abmelden.“
„Du redest nicht mit Timo?“
„Nein, der ist für mich gestorben.“
Das konnte man, musste man aber nicht glauben.
*
Isa hatte den Tag bereits verplant, wie sie beim Frühstück verkündete. „Julia und ich schauen uns das Haus der Geschichte an. Und du, lieber Rudi, darfst dir Rainer Hilgenrath vorknöpfen. Er hat sein Büro auf dem Bonner Talweg, nicht weit von der Einmündung der Weberstraße.“
„Und was soll ich bei ihm?“
„Das bleibt ganz dir überlassen.“
Julia kicherte. Timo Reufels schien schon graue Vorzeit zu sein. Sie fuhren zu dritt mit dem Bus in die Stadt. Was nutzten zwei fahrbereite Autos, wenn man am Zielort keinen Parkplatz fand?
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Rudi hatte keine Mühe, Hilgenraths Büro zu finden. Viel mühsamer war, eine Ausrede zu erfinden, was er von ihm eigentlich wollte. Hilgenrath öffnete selbst die Bürotür und schien ihn zu erkennen oder zu verwechseln.
„Was kann ich für Sie tun, Herr Gerber?“
„Ich müsste mit allen Mitarbeitern - früheren oder noch aktiven - Mitarbeitern der Firma Utom sprechen.“
„Verraten Sie mir auch, warum?“
Nun war Improvisation gefragt: „Nach dem Tod von Tomasio Lucano steht nun auch Ullrich Schiefer vor Gericht. Unter diesen Umständen spricht viel dafür, die Firma so schnell wie möglich zu verkaufen.“ Das hatte Hilgenrath auch schon überlegt. „Aber dazu müssten wir von allen Mitarbeitern hören, was bei ihnen an Aufträgen noch läuft und welche Ansprüche sie an die Firma stellen.“
Hilgenrath, wie immer in letzter Zeit knapp bei Kasse, hörte die Münzen klingeln. „Einer sitzt vor dir“, sagte er deswegen rasch.
Rudi kramte seinen Merkblock hervor. „Und weshalb hast du noch Ansprüche an die Firma?“
„Kollaus Büro hat doch über Rundbrief nach dem sandfarbenen Corsa mit der Wiesbadener Nummer gefragt.“ Das wusste Rudi noch nicht, konnte es sich aber nach der Warnung Fichtes gut vorstellen. Deshalb verzog er keine Miene und schaute unverändert auffordernd drein. „Ich hab' den Karren auf der Poppelsdorfer Allee zufällig gesehen und das sofort an Kollau gemailt.“
„Alles klar. Dafür steht dir noch ein Honorar zu, ich werde dafür sorgen.“ Die Lücken schlossen sich. Kollau hatte sicherlich nicht auf eigene Faust gearbeitet, er musste nur noch den Namen es Auftraggebers ausspucken, den Rest konnte Fichte sicherlich organisieren.
„Danke, ich bin übrigens der letzte frühere Utom-Mitarbeiter in Bonn und Umgebung.“
„Danke für deine Auskünfte.“
Rudi stellte sich erst in einen Hauseingang, bevor er mit Hauptkommissar Schneider telefonierte. „Ich habe vielleicht was für Sie.“
„Dann lassen Sie mal hören.“
„Diese Schläger und Überwacher werden von einer Art Agentur in Frankfurt gesteuert. Der Chef heißt Kollau.“
„Danke, das ist sehr hilfreich.“
Unmittelbar danach wurde Rudi von Isa angerufen. „Bei uns wird es etwas später, mach dir' keine Sorgen. Wir fahren noch nach Königswinter.“
„Wozu denn das?“
„Julia erklimmt mit mir den Drachenfels.“
„Da kann man auch hochfahren.“
„Das wissen wir längst. Julia ist ein moderner Teenager mit einem modernen Handy.“
*
Rudi vertrödelte den Nachmittag auf dem Sofa. Morgen würde unter Umständen ein harter Tag werden, vor dem er etwas Fracksausen hatte. Bis jetzt war ja alles gut gegangen, aber das war leider keine Garantie, dass es so blieb. Bevor die Damen von ihrer Höhen-Expedition zurückkamen, tankte er den Leihwagen auf, kontrollierte den Reifendruck und packte seine wenigen Klamotten. Julia würde mit ihnen die Wohnung verlassen und versprach hoch und heilig, mit dem Bus zum Bahnhof Bonn zu fahren und einen Zug nach Essen zu nehmen, sich wieder um ihre Schule und Karriere zu kümmern und Timo nicht anzurufen. Rudi hatte in dem Punkt so seine Zweifel. Alle drei luden ihre Handys auf und gingen früh zu Bett. Der Wetterbericht im Fernsehen versprach einen trockenen Tag mit mäßigen Temperaturen. Paul Fichte meldete, dass er seine Hausaufgaben für morgen gemacht habe und ihnen die Daumen drücke.
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