„Das solltest du mit Ilka spielen. Die plant gerne weit voraus. Mit wenig Erfolg allerdings.“
„Du magst deine Schwester nicht sonderlich, was?“, fragte er träge.
„Nein“, gab sie zu.
„Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“
„Wenn man das einen Grund nennen kann“, murmelte sie abwehrend.
„Lass mal hören.“
Sie setzte sich aufrecht hin und zog ihr Shirt stramm. „Ich war immer die Hübschere, der die Jungens nachliefen. Das hat mir Ilka nie verzeihen wollen. Weißt du, deswegen fing sie mit solch dummen Sprüchen an. Du bist schöner als ich, aber ich bin klüger als du. Man kann eben nicht alles haben, Schwesterherz.“
Ohne darüber nachzudenken, platzte er heraus: „Aber du wolltest immer alles bekommen. Wie?“
„Ja, wollte ich. Was ist dabei? Sag bloß. Du bist keine Egoist!“
„Doch, bin ich. Aber in Grenzen. Wenn du den anderen leben lässt, hat der keinen Grund, auf dich zu schießen.“
„Das ist doch Kirchengewäsch.“
„Meinst du? Warum hat Schiefer dir denn gedroht, dich umzubringen?“
„Weil er Angst hat, ich könnte ihn verraten.“
„Verraten? An wen?“
„Staatsanwalt, Polizei, Finanzamt, an seine Konkurrenz im Milieu. Die waren zum Schluss doch alle hinter ihm her.“
„Hinter ihm? Oder hinter der Utom.“
„Da gibt es keinen Unterschied“, stellte sie mürrisch klar. Rudi schwieg und überlegte, wohin sie ein harmloses Gespräch über Halma und Mühle geführt hatte. Dann schoss ihm durch den Kopf: Wie gut kannte er Isa eigentlich? Vier Jahre Grundschule zählten wohl nicht wirklich. Zweieinhalb Wochen Ferien auf Lanzarote. Da steckte sie doch wohl schon tief in dem Sumpf, aus dem sie sich jetzt nur unter Lebensgefahr befreien konnte. Was wollte sie eigentlich von ihm? Hatte sie sich wirklich gefreut, dass er kam, um Kowalski abzulösen?
Und wieso war sie unverletzt aus dem brennenden Haus im Lesterwald entkommen und der erfahrene Rotter gleich zu Beginn ausgeschaltet worden. Wer war der Mann, den sie im schon brennenden Haus erschossen hatte. Rudi kannte das Phänomen – wenn man erst einmal anfing, misstrauisch kritische Fragen zu stellen, ging es endlos weiter, bis aus Weiß zum Schluss Schwarz geworden war.
„Ich muss mal telefonieren“, sagte er plötzlich und ging auf den Balkon, der zum Paula-Roming-Weg hinaus lag, und rief Fichte an: „Sag' mal, Paul, Isa Vandenburg hat doch bei dem Brand einen Mann erschossen, der zu ihr ins Zimmer kam. Habt ihr den schon identifiziert?“
„Nein zuviel verbrannt. Mit Mühe haben wir etwas DNA gesichert und müssen nun ungeduldig warten bis wir über eine Vermisstenmeldung mit DNA-Beilage mehr herausbekommen. Warum fragst du?“
„Erzähle ich dir später.“
„Wie du meinst. Aber in diesem Zusammenhang habe ich eine vielleicht unerfreuliche Neuigkeit für dich. Man hat in der Nähe des abgebrannten Verstecks eine männlich Leiche gefunden und eindeutig als einen Geldeintreiber und Berufskiller Bodo Zoller identifiziert. Erschossen mit einer Neun-Millimeter Beretta. Und so eine kleine Artillerie führt doch auch deine Isa spazieren. Vergiss nicht, sie ist draußen herumgelaufen, während des Haus abbrannte und sie auf Krankenwagen, Feuerwehr und die Kollegen wartete.“
„Was willst du damit andeuten?“
„Gar nichts. Sei nur vorsichtig! Kowalski hat nämlich zu Protokoll gegeben, dass Isa zuerst Rotter und dann ihn gefragt hat, ob ein gewisser Rudolf Herzog noch beim Personenschutz des LKA arbeite.“
„Mich laust der Affe.“ Er schluckte heftig.
„Schatz, mit wem telefonierst du da so lange?“ Isa war ungeduldig geworden und trat jetzt auf den Balkon heraus. Dann ging alles so schnell, dass selbst der trainierte Rudi nicht alles mitbekam. Es knallte irgendwo, aber nicht weit entfernt, ein Blumenkasten, der am Balkongitter hing, zerlegte sich in Einzelteile. Isa schrie auf, als ein Teil sie traf, und stürzte rückwärts ins Zimmer zurück, Rudi beugte sich über die Balkonbrüstung, ein zweiter Knall, und auch der Blumenkasten vor Rudis Brust zerlegte sich, ein Großteil der Erde landete in seinem Gesicht, und deshalb konnte er den hellgrauen Lieferwagen, der unten auf der Straße gegenüber gestanden hatte und nun eilig losfuhr, nicht genauer erkennen.
Isa war unverletzt bis auf eine schmerzhafte Beule am Hinterkopf, die aber nicht blutete. Rudi brauchte eine Viertelstunde, die wertvolle Blumenerde von seinem Gesicht und vor allem von seinen Lippen in den Abfall zu befördern. Fichte hatte wahrscheinlich nichts mitbekommen und aufgelegt.
Isa verlangte zur Beruhigung unbedingt einen Schluck Wein und diesmal lehnte Rudi ein Glas nicht ab.
„Wollten die mich umbringen?“, fragte sie erschüttert.
Das hatte Rudi auch schon überlegt und schüttelte nach einiger Zeit den Kopf. „Glaube ich nicht, bei dem ungünstigen Schusswinkel konnte kein Meisterschütze sicher sein, dich oder mich zu treffen.“
„Die Polizei willst du nicht rufen?“
„Nein, wozu? Der Schütze ist längst über alle Berge, die Blumenkästen werde ich Katrin ersetzen, und alles in allem glaube ich, dass man dir nur einen Schrecken einjagen und mich warnen wollte.“
„Dein Wort in Gottes Gehörgang!“
„Seit wann glaubst du an Gott?“
„Blödmann.“
*
Lupo konnte mal wieder sein Maul nicht halten: „Hoffentlich bald“, pflaumte er zum Schluss den Chef an: „Die Rücklagenbildung bei uns allen war nicht konsequent, folglich nicht sehr erfolgreich.“ Er sagte nicht, schließlich könne man das, was man wusste, auch an eine andere Agentur verkaufen. Das war auch nicht nötig, der Chef wusste es ohnehin und kannte auch den im Milieu gültigen Spruch, dass den meisten Menschen das Hemd näher sei als der Rock.
Lupo erschien gegen neun Uhr in der Kanzlei und sagte der Sekretärin, die ihn nicht auf der Terminliste hatte: „Melden Sie Ihrem Chef bitte, ein Herr Ückes aus Bonn möchte ihn sprechen. Er weiß dann schon Bescheid.“
Die CD wechselte für tausend Euro den Besitzer, Lupo leugnete stur, dass sie sich eine Kopie gebrannt hatten, was Nellen, der seine Pappenheimer kannte, ihm nicht glaubte.
*
Isa weigerte sich, mit Rudi in die Stadt zu fahren und etwa das „Haus der Geschichte“ zu besuchen, während er mit dem Kollegen Schneider „regelte“, was sich in Katrins Treppenhaus abgespielt hatte. Rudi ließ sich erst überzeugen, nachdem er Isas Beretta inspiziert und ihr das feierliche Versprechen abgenommen hatte, lieber als erste zu schießen, denn als zweite angeschossen oder gar erschossen zu werden.
Kollege Schneider war beeindruckt. „Sie müssen ja ein hohes Tier in ihrem Amt sein.“
„Den Eindruck hatte ich bisher nicht“, erwiderte Rudi ehrlich.
„Wenn Sie wüssten, wer alles sich eingemischt hat.“
„Wahrscheinlich alle diejenigen, die vorher gegen das Zeugenschutzprogramm im Fall Vandenburg waren.“
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