„Gut möglich. Zum Glück gibt es auch in Verwaltungen 'tätige Reue'.Haben Sie Ihre Dienstwaffe mitgebracht?“
„Ja.“
„Kann ich die mal sehen?“
Er verglich sie umständlich mit den Angaben auf einem Ausdruck. Der Donnerer bestätigte, dass es sich bei der Heckler & Koch um die neue Dienstwaffe des Kriminalhauptkommissars Rudolf Herzog, LKA-Abteilung Personenschutz, handelte. Damit war der formelle oder dienstliche Teil eigentlich erledigt, nachdem Rudi ein Protokoll und seine Aussage aus der Nacht unterschrieben hatte, aber Schneider war noch nach Plaudern zumute: „Natürlich kenne ich mittlerweile zumindest in Umrissen den Fall. Sie scheinen ja eine wirklich wichtige Kronzeugin spazieren zu fahren. Ich denke, der Mörder Lucanos sitzt bereit.“
„Tut er, aber wenn man den zweiten Firmeninhaber wegen Anstiftung zum Mord für Jahre hinter Gitter schicken kann, hat man eine große OK-Firma lahmgelegt.“
„Schön. Aber für wie lange? Da stehen doch bestimmt schon Utom-Konkurrenten bereit, den Laden zu übernehmen.“
„Wahrscheinlich ... aber das kümmert mich wenig, ich bin kein Ermittler. Für mich ist der Auftrag erledigt, sobald der Vorsitzende die Zeugin Isa Vandenburg aus dem Zeugenstand entlässt“, log Rudi betont gleichmütig. Schneider griente etwas ungläubig, verfolgte das Thema aber nicht weiter: „Ich fürchte, dann geht für Sie die Arbeit erst richtig los.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ihre Kollegen werden Ihre Zeugin durch die Mühle drehen, um möglichst viel über die Geschäfte der Utom zu erfahren, die Hintermänner und Verbindungen. Wo stecken mögliche Akten und Unterlagen?“
Rudi wollte nicht zugeben, dass er daran auch schon voller Sorge gedacht hatte. Und Schneider legte den Finger gleich in die nächste Wunde: „Ohne überzeugende Akten und Dokumente muss sie dann mindestens noch einmal in den Zeugenstand – lebend und aussagefähig.“
*
Hauptkommissar Schneider irrte nur in einem Punkt. Mehtar Ben Ali stand nicht, sondern saß entspannt in Liechtenstein auf einem bequemen Armsessel im luxuriösen Besprechungszimmer seines Anwaltes Terzani. Seit Ben Ali zum ersten Mal von Spannungen zwischen Tomasio Lucano und Ullrich Schiefer wegen der „Ausweitung des Geschäftsfeldes“, an der Ben Ali ein großes finanzielles und politische Interesse besaß, gerüchteweise gehört hatte, war er fest entschlossen, notfalls Utom selbst zu übernehmen, als dieses wichtige, ja unverzichtbare Element in ihren Plänen untergehen zu lassen. Nun konnte man ein OK-Unternehmen nicht einfach kaufen oder mit einer unfreundlichen Übernahme an der Börse an sich bringen. Seit Monaten kümmerte sich Terzani um einen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen, die ein Auge auf Utom geworfen hatten. Es ging voran, langsam zwar, aber immerhin, es ging voran.
„Hat du jetzt eine Ahnung, wo die Akten stecken?“
„Nein, nicht wirklich“, räumte Ben Ali ein. „Aber wir schalten von Tag zu Tag mehr Möglichkeiten aus. Es geht voran.“
„Viel Erfolg“, wünschte Terzani. „Ich kümmere mich dann mal um Bellini.“
„Muss das sein?“
„Die Familie besteht darauf und hat – nicht vergessen – nur unter dieser Bedingung dem Verkauf zugestimmt.“
Ben Ali nickte stumm. Er verstand vieles nicht, was diese Christen Moral, Ehre oder Anstand nannten. Aber sich aufzuregen, wenn ein gestandener Mann wie Ben Ali mit einer vierten Ehefrau liebäugelte, die von sich behauptete, echt blond und noch Jungfrau zu sein.
*
Sie trafen sich in der Wohnung und beschlossen, nichts mehr zu unternehmen. Doch Isa und Rudi war keine Ruhe vergönnt. Eine Viertelstunde später lärmte Isas Handy, sie drückte die Taste und wurde nach einigen Sekunden weiß wie die Wand. „Das ist nicht dein Ernst ... das kannst du nicht machen, Julia. Ich bitte dich, das ist kein Mann wert ... Ja, ich komme sofort.“
Sie wandte sich an Rudi. „Wie lange fahren wir nach Essen?“
„Was ist los?“
„Später. Wie lange?“
„Eine gute Stunde.“
„Hast du gehört. In einer guten Stunde bin ich bei dir, dann reden wir über alles. Bis gleich.“
„Timo hat sich von Julia getrennt, weil sie ihm kein Geld leihen kann. Timo hat Spielschulden und ist wohl ziemlich verprügelt worden, weil er heute seinen letzten Termin für die Rückzahlung nicht eingehalten hat. Jetzt geht ihm der Arsch auf Grundeis, und Julia soll ihm helfen. Wenn nicht, dann sei sofort und für immer Schluss mit der großen Liebe.“
„Okay, wir fahren. Zieh dich schon schon mal an, vergiss deine Beretta nicht, ich rufe nur mal schnell meinen Bekannten Dorberg an.“
Alexander Dorberg war nicht erstaunt, als er von dem Drama hörte.
„Und du willst jetzt von mir mal so eben wissen, wer hinter dieser Pokerbande steckt?“
„Das wäre wunderbar.“
„Das wiederholst du nicht, wenn du hörst, was ich heute herausgefunden habe. Die Laube gehört dem Bruder des Grafen von Stahl.“
„Wie bitte?“
„Essen hat einer Bordellstraße, heißt die Stahlstraße, und der mächtigste Mann dort wird der Graf von Stahl genannt.“
„Da hat eine Prostituierte den letzten Rest von literarischer Bildung und Humor zusammengekratzt.“
„Schon möglich. Bürgerlich heißt der Kerl Leo Woslowski und wohnt in Haarzopf. Natürlich habe ich seine Adresse. Wir treffen uns in der Ahornstraße.“
Der Leihwagen lief so gut, dass Rudi ernsthaft überlegte, seine alte sandfarbene Möhre endlich abzustoßen und sich einen neuen Karren zu leisten. Auf seinem Konto hatte er genug Geld angesammelt. Sie rasten, was die vier Zylinder, gefüttert mit Super plus, hergaben. Dorberg wartete schon vor dem Haus und winkte ab, als Isa sich bei ihm bedanken wollte.
„Ich habe zwei Töchter durch die romantische Phase der großen Lieben gebracht“, sagte er trocken. Beide haben ihre Examina geschafft, sind verheiratet, haben Kinder und ich muss jetzt Enkelinnen durch Liebeskummer und -leiden schubsen. Ich lege ehrlich keinen Wert darauf, Urgroßvater zu werden.“
Isa klingelte Sturm, und Rudi meinte: „Versuche sie zu trösten und zur Vernunft zu bringen. Wir kommen zurück, sobald wir die Schuldscheine, sofern vorhanden, eingesammelt haben.“
Dorberg und Rudi nahmen den Leihwagen mit Bonner Kennzeichen. Leos Haus war zu groß und zu pompös für die Umgebung, die meisten Fenster waren erleuchtet. Bevor Dorberg klingelte, machten sie ihre Waffen schussbereit. In der Diele ging auch ein Licht an und sie hörten, dass hinter der Eingangstür ein Hund hechelte und knurrte.
Dorberg schien den Grafen von der Stahlstraße zu kennen und begrüßte den großen Mann, der die Haustür öffnete, fröhlich mit: „Na Leo, du alte Drecksau und Kinderschänder, wir wollen nur ein paar Schuldscheine einlösen.“
Ob der Hund auf das Wort Drecksau dressiert war, blieb unklar. Jedenfalls machte er Anstalt, Dorberg an die Kehle zu springen, was Rudi nicht duldete. Es wurde ein prächtiger Kopfschuss, der Rottweiler legte sich flach auf die Dielenfliesen, und als Leo Woslowski in die Tasche griff und seine Hand mit einem Schnappmesser wieder hervorkam, schoss Dorberg dem unvorsichtigen Leo in den Oberschenkel; Woslowski legte sich neben seinen toten Hund, das Messer rutschte über die Fliesen bis an die Wand.
„Seid ihr Arschlöcher verrückt geworden?“, kreischte eine mangelhaft bekleidete Frau los, die in die Diele gestürzt kam. Dorberg schien sie zu kennen und grüsste unverändert freundlich: „Hallo, Rita, du stählerne Königin der Schwanzlutscherinnen. Lässt dich Leo wieder ran an sein kleines Stück? Es lebe Viagra – oder?“
Читать дальше