Mitten in seinen Gedanken klingelte sein Telefon und Andy meinte, wenn er nicht gleich käme, würde er eine kalte Suppe bekommen.
»Es passt nun«, sagte Peter. »Der letzte Patient ist gerade gegangen. Eine wirklich schwierige Sache. Ich bin auf dem Weg. Bis gleich. Bestell mir bitte schon mal etwas. Egal was, ich habe einen Bärenhunger. Außer einem Brötchen und einer Tasse Kaffee habe ich noch nichts gehabt.«
Er steckte das Handy in die Brusttasche seines Kittels und ging zum Fahrstuhl. Bea kam gerade von der Mittagspause zurück. Peter wechselte noch ein paar Worte mit ihr und sagte, dass er gegen 15 Uhr wieder da sei. Dann wäre er im Besprechungsraum.
Er bestieg den Fahrstuhl und ging in die Mensa, die nur für das Personal zugänglich war. Andy war nicht zu sehen. Peter ging zur Essenstheke und sah seinen Freund mit einem Tablett auf ihn zukommen, auf dem beide Menüs Platz hatten.
»Hast du es auf meine Karte setzen lassen?«, fragte er.
Andy lächelte ihn schelmisch an und meinte: »Ich muss mich mit meinem Vermieter gut stellen. Geht auf mich.«
Peter nahm ihm das Tablett aus den Händen und meinte, dass er es dann doch wenigstens tragen würde.
Die Mensa war um kurz vor zwei bereits ziemlich leer. Nachdem sie sich einen schönen Fensterplatz gesucht hatten, erzählte Peter seinem Freund von dem Stress, der heute da war und erfuhr, dass es in der Orthopädie nicht viel anders war.
»Was macht denn mein Schützling? Ich werde heute Abend zeitig Schluss machen und dann noch zu ihr gehen. Sie wartet sicherlich schon auf die Schlafanzüge.«
Andy nickte.
»Ich habe gleich meine Sprechstunde, und Frau Braune ist mit dabei. Ich denke, es sieht gut aus. Sie übt schon tüchtig, aber klappen will es noch nicht so recht mit den Stöcken. Sie lief heute mit dem Gehwagen, sagte mir der Therapeut. Damit soll es besser gehen. Ich schau mir das gleich mal an, ob der Wagen für sie was ist.«
Die beiden hingen nun jeder seinen Gedanken nach und aßen ruhig weiter.
12.
Als Tina am Nachmittag in ihrem grünen Jogginganzug den Aufzug betrat, kam eine Schwester dazu, die einen kleinen Jungen im Rollstuhl fuhr. Die beiden schienen viel Spaß zu haben, denn sie lachten, bis die Tränen kamen. Dabei passte die Krankenschwester wohl nicht auf, so dass der Rollstuhl gegen Tinas Gehwagen stieß, und sie ins Wanken kam. Im letzten Moment konnte sie sich noch halten. Der Junge hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund, und auch die Krankenschwester war sichtlich erschrocken.
»Verpetzt du uns?«, fragte der Knirps und sah sie mit großen Augen an. Tina hatte sich zwar auch erschrocken, aber es war ja nichts passiert.
»Nee, aber das kostet was. Du gehst nachher mit mir ein Eis essen. Ich bezahle, okay? Wie heißt du denn?«
»Nils. Ich heiße Nils, und wie heißt du?«
»Ich bin Tina. Musst du auch zu Dr. Bergheim?« Nils nickte.
»Ja. Und danach gehen wir Eis essen. Muss ich ja wohl, oder?« Er zog ein Gesicht, als ob es für ihn eine große Strafe wäre.
»Ja«, sagte Tina, »das hast du dir selber eingebrockt. Aber wenn ich es so richtig bedenke, ist ja Schwester Marianne Schuld. Sie muss mit mir zum Eis essen. Du konntest ja nichts dafür.« Da stützte er sich auf die Lehne des Rollstuhls und wurde hektisch.
»Nein, nein, das kommt nicht in Frage. Ich gehe mit. Das ist nun abgemacht. Marianne mag gar kein Eis, glaub ich. Ist doch so, oder Marianne?«
Die Schwester lächelte und meinte: »Das hast du richtig erkannt. Für ein Eis ist es viel zu kalt für mich. Geh du ruhig mit.«
Der kleine Junge bekam rote Wangen und freute sich.
Er schaute Tina an und sagte: »Ich mag so gerne Eis. Haben die hier sowas? Auch mit Schokolade?« Tina nickte.
Der Fahrstuhl hielt, die drei stiegen aus und gingen zum Behandlungszimmer von Dr. Bergheim.
Schwester Anna nahm Nils schon in Empfang und meinte zu ihrer Kollegin: »Danke Marianne. Ich übernehme ihn. Ich rufe dich an, wenn er fertig ist. Bis nachher.«
Sie wollte mit Nils in das Zimmer gehen, aber er rief: »Halt! Tina, gehst du wirklich nicht weg? Bitte bleib hier. Ich bin gleich fertig. Versprochen ist versprochen.« Und dann erzählte er Anna, dass er gleich ein Eis bekäme.
Tina versprach, dazubleiben. Sie konnte ja gar nicht fort, sagte sie, weil sie doch auch noch untersucht werden müsse.
Das sah er ein und meinte zu Anna: »Dann fahr jetzt los. Tina wartet auf mich. Wir müssen uns beeilen.«
Und es dauerte auch wirklich nicht lange, als er mit Dr. Bergheim im Schlepptau in der Tür erschien.
»So, Frau Braune, dann kommen Sie mal. Nils wartet hier. Klar, Sportsfreund?«
»Klar Boss.«
Und zu Tina meinte Andy: »Da sind Sie wohl zur rechten Zeit am rechten Ort. Der Kleine hat schon eine Menge mitgemacht und soll am Freitag noch mal unters Messer. Aber er ist sehr tapfer. Und wie ist es nun mit Ihnen? Mit dem Wagen klappt das Laufen etwas besser, oder?«
»So richtig gut geht es auch nicht, aber ich übe. Ich soll am Wochenende entlassen werden und bin ja alleine. Also muss es bis dahin gehen mit dem Gehen.«
Andy nahm ihr die Schiene ab und meinte, dass die Wunde gut heilen würde. Er zog die Drainage, und Tina war dankbar dafür. Immer mit diesem Beutel gehen, das ging ihr total gegen den Strich. Die Schiene wurde wieder angelegt, und ihr orange-roter Fuß wurde wieder umwickelt.
Mühselig stand sie auf und bedankte sich. Andy half ihr und Tina zuckte bei seiner Berührung zusammen. Er merkte es und fragte sie, ob es weh täte. Nein, der Fuß tat nicht weh. Sie wurde ganz verlegen.
Tina spürte, dass mit dem Arzt etwas nicht stimmte. Er war gestern noch so fröhlich.
Was hat er bloß, dachte sie. Hab ich was Falsches gesagt? Sie war sich keiner Schuld bewusst. Er hielt ihr die Tür auf und mit ein paar knappen Worten verabschiedete er sich. Als Nils sie sah, beschwerte er sich.
»Du bist ganz schön lange da drin geblieben. Ich dachte schon, dass du den Hinterausgang genommen hast. Das wäre echt fies gewesen.« Tina lachte.
»Nils, wenn ich sage, dass ich mit dir Eis essen gehe, dann tu ich es auch. Ich glaube, du schaust zu viel Fernsehen. Warte, ich hole eine Schwester, die dich da hinfährt.«
»Brauchst du nicht, ich kann das alleine«, meinte er und sauste schon los.
»Nils, warte, ich kann doch nicht so schnell, und außerdem ist das der falsche Weg. Nun komm schon zurück, wir müssen auch noch kurz in mein Zimmer. Ich muss noch Geld holen.« Nils machte ein langes Gesicht.
»Ach nein, das auch noch! Ich hab da schon so lange gewartet. Nun mach schon. Kannst du nicht ein bisschen schneller laufen?«
»Nein, das kann ich nicht. Noch nicht. Nun maule nicht rum und komm mit.«
Als Tina ihre Station betrat, fiel ihr ein, dass die Leute auf der Kinderstation wissen müssen, wo der Kleine abgeblieben ist.
Sie ging zur Stationsschwester und erzählte ihr, dass sie nun zur Cafeteria ginge mit Nils und ob sie wohl bitte auf seiner Station Bescheid geben würde, damit man ihn nicht suchen würde. Die Schwester versprach, es sofort zu tun.
Tina holte das Geld und nun endlich würde der kleine Zappelphilipp sein lang ersehntes Eis bekommen.
Die Cafeteria war ziemlich besetzt, aber Nils hatte schnell einen freien Tisch entdeckt und fuhr keck in dessen Richtung. Bevor Tina etwas sagen konnte, war er schon da und hielt mit dem Rollstuhl vor einem Stuhl, damit niemand ihn wegnehmen konnte.
Tina setzte sich und streckte das kaputte Bein lang unter den Tisch. Nils schob einen Stuhl zur Seite, damit er mit dem Rollstuhl Tina gegenüber sitzen konnte.
Als ein junges Mädchen kam und fragte, was sie möchten, sagte er wie aus der Pistole geschossen: »Zwei Eis. Mit Schokosoße und Schokostreusel. Zwei Kugeln für jeden.« Die junge Frau mit weißer Schürze lächelte.
Читать дальше