Der Marshal stieg bereits bei seinem Haus ab und führte das Pferd in den Hof.
Jay ritt zum Store weiter, saß neben dem Planwagen ab, führte den Braunen zur Zügelstange und band ihn daran fest. Als er den Drugstore betrat, sah er zwei Männer hinter den deckenhohen, vollgestapelten Regalen an einem kurzen Tresen. Auch hinter der Tafel erhoben sich noch einmal Regale über die gesamte Breite des Hauses. Nur die Tür war ausgespart. Wie durch einen Tunnel ging es in den Flur dahinter.
Die beiden Männer blickten dem Eintretenden entgegen.
»Guten Tag«, sagte Jay, lief an den Regalen vorbei und blieb an der Ecke des Tresens neben einem aufgebockten Rumfass stehen. Eine kleine Waschschüssel und ein paar Gläser auf einem Lappen verrieten, dass der Krämer auch Gäste bewirtete.
»Und?«, fragte der Mann hinter dem Tresen unwirsch. Er war ein großer Mann wie ein Hüne und hatte Schultern von der Breite eines mittleren Kleiderschrankes. Dazu einen kantigen Schädel auf einem dicken Hals, der in einem Stiernacken auslief, schwarzes Haar, finstere Brauen und bernsteinfarbene Augen. Wie ein Spieler trug er ein weißes Rüschenhemd, gestreifte Röhrenhosen und eine doppelreihige schwarze Jacke. Eigentlich sah er nicht wie ein Händler aus, allerdings verriet Jay bereits vor dem Laden ein Schild, dass er auch Fuhrunternehmer war. Im Hof neben dem Haus standen auch ein paar abgestellte Frachtwagen. Das lange Gebäude dahinter schien der Stall zu sein.
»Der Barbier schickt mich. Sie hätten ein schmerzlinderndes Mittel.«
»Laudanum, Mister. Es senkt das Fieber, ist gut gegen Zahnschmerzen und sonstige Wehwehchen.« Der Mann grinste, sah deswegen aber nicht freundlicher aus.
»Sicher meint er das.«
»Ich hab gar nichts anderes.« Der Mann griff unter den Tresen und legte eine kleine Tüte darauf. »Jedes mal eine Messerspitze, wenn der Patient brüllt. Und vor allem muss man ihn darauf aufmerksam machen, dass er was gegen den Schmerz bekommt. Die moralische Wirkung ist ungeheuerlich. «
Der andere Mann grinste nun ebenfalls von einem Ohr bis zum anderen. Er zählte mindestens fünfundsechzig Jahre, war mittelgroß und gedrungen, grauhaarig und stoppelbärtig. Falten und Runen zeichneten sein Gesicht und ließen ihn älter wirken. Er trug ein graues, derbes Hemd ohne Kragen, ausgebeulte, zerschlissene Hosen, ’ Schaftstiefel, eine fadenscheinige Jacke und einen schweißdurchtränkten Schlapphut.
»McClure, junger Freund.« Der Mann tippte an seinen Hut. »Hab schon gehört, was Ihnen widerfuhr. Werde mal vorbeischauen, ob Sie noch etwas brauchen.«
»Ich glaube nicht, dass wir etwas brauchen.« .Jay blickte den anderen Händler an. »Was kostet es?«
»Vierzig Cent. Kaum der Rede wert.«
Jay atmete auf und bezahlte. Der Händler stellte ihm ein Glas voll Whisky hin und gab dann das restliche Geld heraus.
»Der Whisky ist inbegriffen. Immer, wenn man bei mir was kauft.«
»Danke.« Jay steckte das Kleingeld wieder ein. Er war so ziemlich blank und hoffte, dass das Pulver ausreichte, bis sie daran denken könnten, Jeff weiter zu transportieren. Dabei überlegte er aber schon, ob er nicht Rio bei dem Verletzten allein zurücklassen und zur Ranch reiten sollte, um den Boss zu verständigen und einen Wagen zu holen.
Das war sicher besser. Sie würden dann früher aufbrechen können.
»Also, ich kriege dann zweitausendfünfhundert Bucks«, erinnerte McClure. »Und den obligaten Whisky hab ich auch noch nicht.«
Der Mann hinter dem Tresen schenkte ein zweites Glas voll und stellte es dem fahrenden Händler hin. Dann öffnete er die Kasse und brachte ein Bündel Banknoten zum Vorschein.
McClure hustete scharf und stellte sich gerade. Mit funkelnden Augen starrte er den anderen böse an.
»Ist was, McClure?«
»Steck das Teufelszeug wieder ein, verdammt! Seit fünfzig Jahren nehme ich nur Hartgeld und gebe auch nichts anderes aus. Ich will Silberdollars!«
»Ich würde mich langsam mal umstellen.« Der schrankbreite Stadthändler steckte das Geld wieder weg.
»Denke gar nicht daran. Auf die komischen Zettel kann jeder drauf drucken, was er lustig ist. Und wenn man mal Pech hat, verbrennt der Plunder!«
»Man muss mit der Zeit gehen.«
»Ich nicht!«, schimpfte der fahrende Händler.
Hiram Savage entnahm seiner Kasse Silberdollars und zählte sie in Reihen auf den Tresen.
Jay trank den Whisky und ließ das leere Glas ins Spülwasser fallen. »Herzlichen Dank, Mister.«
»Sonst keine Wünsche?« Savage hielt inne und blickte auf.
»Nein, danke.« Jay wandte sich ab.
»Ich schaue mal bei euch vorbei!«, rief McClure ihm nach.
»Das wird nicht nötig sein.« Durango verließ den Store.
Savage zählte weitere Reihen Silberdollars auf den Tresen. »Den Umweg kannst du dir schenken. Der pfeift auf dem letzten Loch.«
»Kann man nie wissen.«
»Tramps sind das, McClure. Die leben von der Hand in den Mund und sind dabei meistens verdammt hungrig.«
Draußen band Jay sein Pferd los und zog den Sattelgurt nach.
Die Menschen der kleinen Stadt beobachteten ihn. Er spürte es, obwohl er sie nicht alle sehen konnte.
Vor dem Planwagen scharrten die Maultiere im Sand.
Jay stieg auf und ritt die Straße hinunter. Er spürte die Blicke im Nacken noch, als er schon jenseits der Häuser der Straße nach Norden folgte.
»Schneller!«, rief er dem Braunen zu und gab ihm die Sporen.
Das Pferd streckte sich. Rechts und links der ausgefahrenen Straße wurde das vorbeifliegende Buschwerk dichter. Staub wehte hinter den Hufen in die Höhe.
*
Jay Durango erreichte die halbverfallene Hütte am Nachmittag. Rio Shayne trat ihm entgegen. Jay zügelte den Hengst und sprang ab.
»Wie geht es Jeff?«
»Unverändert, würde ich sagen. Der Verband ist durchblutet. Hast du das Zeug?«
Jay nickte. »Aber wenn ihm das hilft, glaube ich an die Wunder, von denen mir erzähl wurde, als ich noch Kind war.«
Sie betraten die Hütte. Jay blickte auf das spitze Gesicht Logans. Die bleichen Lippen des Partners bewegten sich, seine Augen waren geschlossen. Die schwarzen Ränder darum hatten Jeffs Aussehen stark verändert. Er ähnelte sich kaum noch.
»Ich reite nach Rancho Bravo«, sagte Durango. »Der Boss muss wissen, was passiert ist. Einen Wagen brauchen wir auch. Und mein Geld ist praktisch alle.«
»Hast du ihnen gesagt, dass wir zu dieser Ranch gehören?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Jay wandte sich um. »Warum sollte ich?« Auf dem Tisch öffnete er die kleine Tüte, zog das Messer, reinigte es an der Hose und nahm die Spitze voll von dem weißen Pulver. »Wasser!«
Sie flößten Jeff das Pulver und Wasser ein. Der Verletzte hustete und spuckte die Hälfte wieder aus.
»Du wirst mindestens vier Tage unterwegs sein«, maulte Rio.
Jay schob das Messer hinter den Gürtel. »Aber dann bin ich zurück und habe einen Wagen und Leute dabei. Ist das nicht besser, als wenn wir in vier Tagen immer noch allein hier herumsitzen?«
Rio fluchte verdrossen, weil es ihm nicht behagte, dass er so lange allein bei dem Verletzten bleiben sollte, dem er überdies nicht zu helfen wusste. »Und wenn er mir unter den Händen stirbt?«
»Dann würde es auch nichts ändern, wenn wir beide hier sitzen.«
»Warte wenigstens bis morgen.«
Jay hob den Kopf. »Warum denn das?«
»Vielleicht ist es gar nicht ....« Rio brach ab und biss sich in die Unterlippe.
»Ach so.« Jay schaute auf das spitze Gesicht Logans. Vielleicht erlebte der Cowboy den nächsten Tag wirklich nicht mehr und der ganze Aufwand erübrigte sich.
»Es wird sowieso bald Nacht«, setzte Rio hinzu. »Es dürfte auf ein paar Stunden auch nicht ankommen. Außerdem wird deinem Gaul die Pause gut tun. Seit wir vom Nueces weg sind, bist du beinahe ununterbrochen geritten.«
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