Eine volle Minute herrschte völliges Schweigen zwischen ihnen. Dann hob Fee den Colt höher, so dass Jay undeutlich die Mündung sehen konnte.
»Ihr wollt mich ausbooten!«, schrie sie heiser. »Du hast versprochen, dass ich die Hälfte von der Beute kriege!«
»Ich habe eigentlich nur bestätigt, was du sagtest, aber es nie selbst ausgesprochen, Fee«, erwiderte Jay. »Und ich gebe zu, dass es nicht die feinste Art war, dich in dem Glauben zu lassen, wir wären Mörder und Straßenräuber. Aber uns glaubt niemand. Du auch nicht. Und wir brauchen dringend Hilfe.«
»Da nahmen wir, was sich anbot«, setzte Rio hinzu.
»Ihr verdammtes Lumpenpack lügt mir die Hucke voll!«, rief Fee grollend. Sie trat zurück.
Jay und Rio schwiegen und schauten sie an. Dem Mädchen brach der Schweiß aus.
»Ehrlich, das war nicht sehr fair von uns«, sagte Jay schleppend. »Aber was du vorhattest, finden die Leute in Montrose bestimmt auch nicht sehr nett.«
»Ihr wollt mich austricksen. Nicht mit mir, Freundchen. Wir reiten jetzt dahin, wo die Bucks versteckt sind. Und ich kriege meinen Anteil und verschwinde!«
Sie ließen ihre Worte wieder in der Nacht verhallen.
»Wir sind nichts weiter als Cowboys einer Ranch im Osten hinter den Bergen«, erklärte Jay schließlich. »Wie wir es dem Marshal sagten. Und wir waren am Nueces River auf der Jagd. Um den Speiseplan der Ranch anzureichem.«
»Und ich hab McClure eine angesetzt, dass ihm die Zähne aus dem Mund fielen.« Rio kicherte. »Nichts weiter.«
Fee trat wieder näher. Ihr durchbohrender Blick schien erforschen zu wollen, was die Wahrheit sein könnte, ob das, was sie hörte, oder das, was sie dachte.
Rio grinste sie freundlich an. »War ehrlich verdammt nett von dir, dich so für uns ins Zeug zu legen. Das vergesse ich dir auch nie, Fee. Mein Wort darauf!«
Das Saloonmädchen ließ den Colt langsam sinken.
»Trotzdem ist es wohl besser, wenn du dich in dem Nest nicht wieder sehen lässt, Fee.« Jay ging auf sie zu, nahm ihr den Colt aus der Hand und steckte ihn in die Satteltasche ihres Pferdes. »Wir können dir leider auch gar nichts mitgeben, was deinen nächsten Start erleichtern würde. Du siehst ja, wir stehen selbst mit leeren Händen da und sehen ziemlich alt aus.«
»Alle sind Narren«, murmelte Fee. »Und ich muss genauso blind wie die Männer gewesen sein.«
»Zu unserem Glück«, entgegnete Rio freundlich grinsend. »Die hätten uns glatt aufgeknüpft.«
Fee griff nach dem Steigbügel.
»Aber sie werden euch weiterjagen. Und mich noch dazu!«
»Du solltest weit wegreiten«, sagte Jay. »Das Pferd gehört dir. Es ist nicht gestohlen.«
»Wer weiß, ob sie anderen gegenüber davon reden, dass sie von einem Mädchen in die Pfanne gehauen wurden«, sagte Rio. »Würde ich doch stark anzweifeln.«
»Ich auch«, stimmte Jay zu. Er hob Fee auf und setzte sie in den Sattel. »Viel Glück. Du hast uns vielleicht das Leben gerettet. Sollten wir uns noch mal begegnen, kannst du auf uns rechnen, wenn es an etwas fehlt.«
»Halunken«, sagte Fee. Aber sie lächelte dabei, wenn auch recht unglücklich.
Jay schlug dem Pferd auf die Hinterhand. Das Tier trug das weißblonde Mädchen durch das raschelnde Buschwerk und tauchte in der Nachtschwärze unter.
»Die hat es doch noch schneller begriffen, als ich dachte.«
»Und gar nicht sehr tragisch genommen, Rio. Sie ist an Unglück gewöhnt.«
Eine Weile konnten sie den sich nach Süden entfernenden Hufschlag noch hören, dann wurde es wieder still.
»Und nun?« Rio zog den Sattelgurt nach.
»Wenn wir uns beeilen, müssten wir es vor Tagesanbruch noch zu den Farmern schaffen. Es kann sonst niemand gewesen sein.«
»Du vergisst den anderen Strohkopf. Diesen Wolter, der den Toten gefunden haben will.«
»Nein, Rio. Der wusste doch nichts von uns. Die Tasche wurde hinter der Hütte im Gestrüpp abgelegt, um uns in den Verdacht zu bringen, die Straßenräuber zu sein. Das konnte nur jemand tun, der genau Bescheid wusste. Im übrigen bin ich sicher, dass der Ort des Überfalls gründlich ausgewählt wurde. Wir sollten die Schüsse nicht mehr hören können. Wohl aber dieser Farmer.« Jay saß auf. »Versuchen wir es!«
Rio schwang sich ebenfalls in den Sattel, gab dem Pferd die Sporen und sprengte an Jay vorbei.
Sie galoppierten durch das Buschland, mussten die Pferde jedoch immer wieder zügeln, Ausschau halten und auf Geräusche achten, um nicht unversehens in eine Falle der suchenden Posse zu geraten.
Als sie drei der vier Meilen zur Zattig-Farm zürückgelegt hatten, kündigte ein grauer Streifen im Osten die Dämmerung eines neuen Tages an.
Jay zügelte seinen Braunen. »Zu spät. Wir müssen einen Bogen schlagen.«
»Und dann?«
»Durch das Maisfeld könnten wir uns anschleichen. Selbstverständlich ohne die Pferde.«
»Ziemlich riskant, was?«
»Allerdings.« Jay lenkte sein Pferd nach Westen.
*
Dort, wo die Spuren den Hang hinunterführten und im ausgetrockneten Creek weiter nach Westen verliefen, zügelte Stadt-Marshal Cobb seinen Grauen und wartete auf das Aufgebot.
»Die können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben«, knurrte der Schmied.
»Hier waren sie nicht«, gab Cobb zurück. »Wir hätten neue Spuren finden müssen.«
»Dann sind sie offenbar direkt dahin, wo das Geld versteckt liegt«, vermutete Barbier Keach. »Die wollen keine Zeit verlieren, Marshal. Kann man sich ja auch denken.«
Cobb ritt weiter. Im Morgengrauen verloren sich die Spuren bald auf dem Gestein der trockenen Rinne. Der Stadt-Marshal hielt sich nicht damit auf, alles in der Runde abzusuchen, weil er sicher war, damit nur die kostbare Zeit zu vergeuden.
Im Galopp ließ er den Grauen durch das Bachbett laufen. Das Aufgebot galoppierte hinter ihm her.
Noch vor dem ersten Hügel lenkte der Marshal den Grauhengst aus der Rinne und zügelte ihn.
Nebelfetzen hingen zwischen den flachen Erhebungen und hüllten das Dickicht ein.
»Ja, hier irgendwo müsste es sein«, murmelte der Barbier, der sich nachdenklich über das stopplige Kinn rieb. »Sie mussten schließlich nach Süden zurück, um schneller als wir bei der Hütte sein zu können.«
»Wir sollten eine Kette bilden, nach Süden reiten und alles absuchen«, schlug der schrankbreite Schmied vor. »Mehr können wir ohnehin nicht mehr tun.«
Cobb nickte, verteilte die Leute und ritt dann ungefähr in der Mitte zwischen ihnen südwärts. Alle zwanzig Yard suchte ein anderer Mann das Gestrüpp ab.
Die Sonne ging auf und warf strahlenden Glanz über die Wildnis. Die Nebelschwaden lösten sich auf.
Eine Stunde ritten die Männer suchend in breiter Kette nach Süden, dann gaben die ersten auf und kehrten zu dem Marshal zurück. Die anderen ließen sich nicht nötigen und folgten ihnen. Sie sahen lustlos aus.
»Ich möchte wissen, für wen wir das alles tun«, maulte der Barbier, der die Stimmung übersah und schon immer gesagt hatte, was er wirklich dachte.
»Das frage ich mich allerdings auch«, stimmte Hiram Savage, der Drugstorebesitzer zu. »Obwohl McClure mir eigentlich recht nützlich war. Er transportierte manches für mich von Pueblo heran, was meine Wagen nun selbst holen müssen, was allemal teurer wird.«
Cobb blickte über das Gestrüpp hinweg. Dunst senkte sich über das Land. Ein Flimmern stand vor den Hügeln und den Waldgebieten im Westen vor dem Colorado River.
»Von hier aus ist es nicht mehr weit zu den Zattigs«, wandte ein Mann ein. »Wir sollten sie fragen, ob sie was hörten.«
Cobb nickte. Da er selbst keine bessere Idee hatte, ritt er weiter nach Süden hinunter.
*
Jay und Rio ließen ihre Pferde zwischen Sagebüschen und Cottonwoods zurück. Sie befanden sich noch rund eine halbe Meile von der Farm entfernt und konnten nur die Dächer der beiden Hütten in der flimmernden Luftspiegelung erkennen. Jay glaubte fest, dass sie unbemerkt bis hierher gelangten.
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