Der Mann erhob sich, ließ die linke Hand sinken und öffnete die Schublade. Er zog den Schlüssel heraus, trat mit einer erhobenen Hand ans Gitter und schloss die Tür darin auf.
Jay und Rio erhoben sich.
»Was für ein abgekartetes Spiel!«, jammerte der Nacht-Marshal, dem Cobb vergessen hatte, einen Stern an die fadenscheinige Cordjacke zu stecken.
»Umdrehen!«, befahl Jay. »Rio, ein paar Stricke und einen Knebel für Mister Cohler.«
Shayne verließ die Zelle. »Großartig, Fee, du bist ein Schatz!«.
»Ich fühle mich elend wie noch nie«, bekannte das Saloonmädchen.
Rio fand im Spind neben dem Gewehrständer ein paar Stricke und einen einigermaßen sauberen Lappen. Damit fesselten sie den Mann an Händen und Füßen und knebelten ihn.
Als sie die Zelle verließen, lag Cohler auf einer der Pritschen, unfähig, um Hilfe zu rufen.
Fee trat zurück und bedrohte sie mit dem Colt. »Die Waffe behalte ich. Wie verabredet.«
Rio blickte auf den vollen Gewehrständer.
»Lass das!« Jay schob den Partner vor sich hinaus.
Fee folgte ihnen und schloss die Tür. Die Lampe über dem Schreibtisch flackerte.
Auf der Straße war niemand. Auch hinter den Fenstern konnten sie nirgendwo Lichtschein sehen, nicht einmal im Saloon.
»Wie spät ist es?« Jay schaute über die Schulter.
»Drei. In zwei Stunden wird es hell. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Eure Pferde stehen im Mietstall. Ich nehme das eures Freundes, der keins mehr braucht. Dann können sie mir nicht noch anhängen, einen Gaul gestohlen zu haben.«
»Gut, er soll dir gehören«, stimmte Jay zu. Er übernahm die Führung. Sie huschten an den Wänden entlang und duckten sich unter den Fenstern. Das Tor zum Mietstallgelände stand offen. An das barackenähnliche Gebäude war eine kleine Hütte angebaut. Dahinter schloss Buschwerk das Anwesen ab.
»Der Stallmann schläft.«
Jay erreichte die Tür des Stalles. Ein Balken lag quer davor in Eisenkrampen. Er hob ihn aus und legte ihn an die Wand.
Rio öffnete und drang ins Dunkel ein. Leise schnaubten die Pferde.
»Hoffentlich schläft er fest genug«, sagte das Mädchen. »Beeilt euch ein bisschen!«
Sie suchten nach ihren Pferden, befreiten sie von den klirrenden Ketten, drängten sie in den Gang und suchten in der Schwärze nach ihren Sätteln. Rio nahm den erstbesten, der ihm in die Hände fiel, nachdem er merkte, dass er seinen so doch nicht fand.
»Macht doch ein bisschen schneller!«, drängte das Saloonmädchen nervös. »Das dauert ja Stunden!«
»Dreh nicht durch, Schatz, wir sind so gut wie weg!« Rio schob das Pferd gegen die Wand. »Los, mach schon Platz.«
Fee blickte hinaus. Den Colt hielt sie immer noch in der Hand. »Das muss doch etwas schneller gehen.«
Jay führte das erste Pferd hinaus. »Da nimm.«
Fee zielte auf ihn. »Versuch nicht, mir den Revolver abzunehmen. Mir kann etwas passieren, was ich wirklich nicht will.«
»Ist doch schon gut.« Jay kehrte in den Stall zurück, brachte sein Pferd und schwang sich in den Sattel.
Fees Tier schnaubte.
Rio tauchte auf. Sein Pferd stieß mit dem das Mädchens zusammen. Das andere Pferd keilte aus. Rios Hengst wieherte und wollte auf die Hinterhand steigen.
»Los, weg!«, brüllte Shayne.
Da öffnete sich die Hüttentür hinter dem Stall. »Was soll denn der Lärm mitten in der Nacht? He, wer ist denn das?«
»Vorwärts!«, befahl Jay.
Sie ritten alle drei zugleich los, trieben die Pferde noch im Hof zum Galopp an und zwangen die Tiere zum Sprung über das Buschwerk.
Der Stallmann lief in die Hütte, holte sein Gewehr und feuerte hinter den Reitern her. Die Kugel pfiff durchs Dickicht und fetzte Zweige von den Sagebüschen.
Fluchend repetierte der Mann sein Gewehr, hastete durch die sich ausbreitende Pulverdampfwolke und schoss abermals.
Doch die Reiter sah er schon nicht mehr. Die Nacht hatte sie aufgenommen. Nur das Dröhnen der Hufe erreichte noch den Hof.
»Alarm!«, brüllte der kleine Mann, hastete zur sSraße, repetierte das Gewehr erneut und schoss in die Luft, obwohl die Männer bereits von allen Seiten gelaufen kamen.
»Die Banditen!«, brüllte der Stallmann. »Und das Flittchen aus der Kneipe! Bedankt euch bei Doug Egger, der das Mädchen unbedingt behalten musste, obwohl wir so was hier nicht brauchen!«
Der Marshal lief im flatternden Nachthemd wie ein Geist als erster in den Stall. Er brannte die Lampe an, schaute in jede Box und ging hinaus.
»Drei Pferde haben sie mir gestohlen!«, jammerte der Stallmann. »So ein Gesindel!«
»Dir fehlt kein einziges Pferd«, stellte der Stadtmarshal richtig. »Es sind die drei Gäule, die ihnen gehörten.«
»Die ich durchfüttern musste.«
Marsahl Cobb ging nicht weiter darauf ein. »Beeilen wir uns! Vielleicht holen wir sie noch ein.«
»Die müssen die Bucks ausgraben, bevor sie sich absetzen können«, verkündete der Schmied.
*
Sie standen im dichten Buschwerk, hielten den Pferden die Nüstern zu und lauschten auf den trommelnden Hufschlag, der durch die Nacht hallte.
Jay ließ seinen Hengst los. »Vorbei.«
Da verklang das Trommeln, und das Echo verlor sich im unübersichtlichen Buschland.
»Jetzt suchen sie nach Spuren«, flüsterte Rio.
»Der Stallmann hat uns alles verpatzt!«, schimpfte Fee.
»Zu spät«, sagte Jay gelassen. »Spuren hätten sie gleich hinter dem Stallgelände suchen müssen. Jetzt finden sie nichts mehr von unseren Pferden.«
Fee trat etwas zurück. Den schweren Revolver hielt sie ständig in der Hand. Das Misstrauen den vermeintlichen Raubmördern gegenüber erfüllte sie immer noch.
Jay tat, als würde er es übersehen.
»Warum reiten Sie denn nicht weiter?« Fees Nervosität ließ sich nicht übersehen. Und vielleicht wäre es leicht möglich gewesen, ihr die Waffe abzunehmen, noch dazu, dass Durango davon ausging, dass sie nicht die Nerven besaß, wirklich zu schießen.
Da ritten die Männer weiter und entfernten sich.
»Sie mussten nur beraten, was sie tun sollen.«
Die Geräusche entfernten sich nach Norden.
»Was haben die vor, Jay?«, wollte Rio wissen.
»Ich nehme an, sie reiten erst mal dahin, wo der Überfall geschah und versuchen, noch einmal die Spuren aufzunehmen, die sie am Morgen fanden.«
»In der Hoffnung, uns dabei zu erwischen, wie wir die Bucks ausgraben, was?«
»Ja.« Rio lachte, blickte dabei auf das Saloonmädchen und wurde jäh ernst.
»Was hat er denn?«, fragte Fee.
Jay lehnte sich gegen den Sattel. Er ging davon aus, dass sie hier keine Gefahr mehr befürchten mussten, weil die Leute der Stadt sie schon viel weiter weg von Montrose wähnten.
»Warum sagst du denn nichts?«, stieß das Mädchen hervor. »Warum lachte er so blöd?«
»Er amüsiert sich über die Männer, Fee.«
»Und warum?«
»Weil die so gewaltig auf dem Holzweg sind«, sagte Rio und lachte abermals.
Die Verwirrung des Mädchens nahm zu. »Ist es nicht logisch, dass sie annehmen, wir würden das Geld holen?«
»Für das, was sie denken, schon«, gab Jay zu. »Nur ist das völlig falsch.«
Fee trat näher und zielte mit dem Colt auf den Vormann. »Was wollt ihr mir denn jetzt vorgaukeln?«
»Nichts, Fee. Die Männer irren sich. Das ist alles.«
»Ihr wollt das versteckte Geld nicht holen?«
»Nein.«
Fee spannte den Hammer des schweren Revolvers. »Jetzt wollt ihr mich verschaukeln, was?«
Jay schüttelte den Kopf. »Wir haben kein Geld versteckt.«
»Kein Geld … versteckt?«
»Nein.«
»Aber ...« Fee wusste nicht, was sie dazu sagen sollte.
»Wir haben den fliegenden Händler auch nicht überfallen und umgebracht. Er kam zu der Hütte, wollte uns unbedingt etwas verkaufen und bekam von Rio zwei Zähne ausgeschlagen. Das ist alles richtig. Aber dann fuhr er weg. Und wir sahen ihn nie wieder. Als man uns in die Stadt brachte, müssen sie ihn schon beerdigt gehabt haben.«
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