Auch Ploeger galt also das Sprechen nicht als Königsweg zur therapeutischen Veränderung. Wie Moreno zog er diesem das Handeln vor, fokussierte dabei allerdings auf die sich aus Letzterem bei den Betroffenen spontan ergebende Einsicht. Jene ist der erste Schritt zur Besserung, so sagt es schon ein Sprichwort. Doch welche Besserung wird durch solch ein Aha-Erlebnis erwirkt? Wie Ploeger erklärt, befähige die Handlungseinsicht der TfPT den Klienten dazu, überholte, weil aus infantilen Mustern stammende Erlebens- und Verhaltensweisen abzulegen und neue realitätsgerechtere Verhaltensweisen zu gewinnen (vgl. Ploeger 1983, S. 132 f.). Erst damit ist dann das therapeutische Ziel der TfPT erreicht.
Für den Teilnehmer aus dem eben angeführten Beispiel würde dies bedeuten, dass er künftig auf Gruppenmitglieder, die ihn vormals unbewusst an seinen Vater erinnerten, nicht mehr wie auf diesen reagiert, sondern deutlich angemessener. In diesen alten, unpassenden Film einsteigen zu müssen, hört nun auf. Fragten wir Moreno, hätte dieser Teilnehmer ein gesundes Tele gewonnen, was für ihn, so die Psychodramatikerin Grete Leutz, bedeutete, realitätsbezogene zwischenmenschliche Beziehungen eingehen zu können, die, im Unterschied zur Übertragung, weder zu falschen Erwartungen noch zu ungerechtfertigten Ängsten Anlass gäben (vgl. Leutz 1974, S. 20). Dorthin wollte auch Moreno die Menschen bringen – allerdings auf einem etwas anderen Weg als Ploeger. Denn die Surplus Reality seines Psychodramas lässt im Gegensatz zur TfPT Raum für entlastende Abreaktion und eine Katharsis der Integration, bei der Menschen nicht nur Heilung, sondern geradezu Vergöttlichung erfahren können. Auch der Charakter des Spiels ist hier ein anderer. Während Moreno mit seinem Psychodrama das Lachen in die Psychiatrie brachte – dies hatte er übrigens noch zu Lebzeiten als Inschrift für seinen Grabstein verfügt (vgl. Moreno et al. 2000, S. 24; vgl. Hutter u. Schwehm 2012, S. 70) –, bleibt das Spiel in der TfPT geprägt vom Ernst des Lebens. Was selbstverständlich einschließt, dass dort mitunter herzhaft gelacht werden kann, wie es ja auch in der Alltagsrealität geschieht, um manche Beschwernis erträglicher zu machen.
Moreno und Ploeger mögen verschiedene Wege gegangen sein und da bei unterschiedliche Wirkprinzipien verfolgt haben. Nichtsdestotrotz galt für beide: Handeln ist heilsamer als Reden – sehr viel heilsamer.
Kann das überhaupt noch getoppt werden? Durchaus. Denn vor anderen zu handeln, fällt doch oft schwer. Wer vermag dabei schon seine Hemmungen fallen zu lassen und auszublenden, dass andere das eigene Tun beobachten? Noch dazu, wenn es darum gehen soll, Intimes, gar Peinliches in Szene zu setzen? Wem fiele es beispielsweise leicht, auf der Bühne darzustellen, wie er als Schulkind nachts noch einnässt? Und wer kann einfach so aus seiner Haut in eine andere Rolle schlüpfen? Einen anderen Menschen verkörpern, der man selbst nie gewesen ist? Sind wir denn alle oscarverdächtige Schauspieler? Wohl kaum. Bleibt das Psychodrama also ein Therapieverfahren für die gottgegebenen Mimen unter uns? Glücklicherweise nicht. Denn es gibt eine Technik, die dabei helfen kann, sich in Szenen hineinzuzoomen, ganz in Filme einzusteigen und alles andere um sie herum für eine Weile zu vergessen – die Hypnose. Sie lässt sich leicht mit dem Psychodrama kombinieren, wie Moreno knapp 20 Jahre nach seinen ersten therapeutischen Gehversuchen auf der Bühne des Stegreiftheaters herausfand. Damit war das Hypnodrama geboren. Moreno ist übrigens nicht ihr einziger Geburtshelfer …
1.3Das Hypnodrama als gewinnbringende Synthese
James M. Enneis (vgl. Enneis 1950, p. 15; Krojanker 1977a, p. 221; Supple 1977, p. 225) hatte als Psychologe im Zweiten Weltkrieg Sanitätsdienst geleistet. Damals war er an der Behandlung zahlreicher Soldaten beteiligt, die unter Traumata und Kriegsneurosen litten. Bei ihnen ließen sich, wie Enneis zu seinem Erstaunen feststellte, mittels einer besonderen Kurzzeittherapie, die Militärpsychiater eingeführt hatten, beachtliche Erfolge erzielen, sodass diese schnell wieder in ihren Dienst zurückkehren konnten. Worin bestand diese Methode? Die traumatischen Ereignisse sollten von den Soldaten wiedererlebt werden. Um ihnen dies zu erleichtern, wurden sie dazu angeregt, in Hypnose zu gehen. In diesem Zustand war es für die Soldaten einfacher, ihre Abwehr aufzug eben, die sie von einer neuerlichen Bewusstwerdung ihrer traumatischen Erfahrungen abzuhalten suchte. Jetzt konnten sie ihre Gefühle bzw. Gedanken, die die traumatischen Ereignisse begleitet hatten, wiedererleben und bearbeiten. Mitten in seinem Doktorandenprogramm, das Enneis nach dem Zweiten Weltkrieg an der Duke University, North Carolina, begonnen hatte, erfuhr er erstmals vom Psychodrama. Nur kurze Zeit später brach er sein Doktorandenprogramm ab, um sich von Moreno ausbilden zu lassen. Angesichts seiner früheren Behandlungserfolge bei traumatisierten Soldaten wurde Enneis schnell klar, wie vorteilhaft es sein könnte, das Psychodrama mit der Hypnose zu kombinieren. 1948 kam er auf Moreno zu und präsentierte ihm seine Idee. Wie verdutzt wird er wohl gewesen sein, als er feststellen musste, dass dieser es bereits praktizierte. Denn Moreno soll seinen Geistesblitz ganz lässig mit den Worten kommentiert haben: »Oh ja, in der letzten Woche habe ich das gerade erst gemacht!« 19
Bereits 1939 sei er, wie Moreno später berichtet (vgl. Moreno 1950, p. 6), durch Zufall auf diese Möglichkeit gestoßen. Damals habe er eine junge Frau behandelt, die unter sexuellen Wahnvorstellungen und Albträum en litt. Jede Nacht sei sie vom Teufel aufgesucht worden, der mit ihr geschlafen habe. Sie sei zunächst nicht imstande gewesen, in psychodramatischen Kontakt mit dem Vorfall zu kommen. Nachdem Moreno zunächst auf sanfte Art versucht habe, sie dorthin zu bringen, sei er sehr befehlend – » directive « – geworden. Dies habe die Patientin unerwartet in hypnotische Trance versetzt. Trotzdem sei das Psychodrama von ihm fortgesetzt worden. Dabei habe die Hypnose offenbar wie ein Starter gewirkt. Denn nun sei es der Patientin möglich gewesen, zwei Zusammentreffen mit dem Teufel darzustellen: das der vergangenen Nacht und eines, wie sie es für die folgende Nacht erwartete. Moreno gab dieser eher zufällig von ihm entdeckten Synthese aus Psychodrama und Hypnose den Namen Hypnodrama (vgl. Moreno 1950, pp. 6, 8; vgl. Enneis 1950, p. 11). Unabhängig von ihm kam knapp ein Jahrzehnt später sein Schüler Enneis auf dieselbe Idee. Sowohl gemeinsam als auch jeder für sich wendeten beide nachfolgend das Hypnodrama viele Male an (vgl. Greenberg 1977a, p. 233). Zwei Jahre später veröffentlichtens ie ihre Erfahrungen in einem kleinen, 56 Seiten starken Band, der 1950 unter dem Titel Hypnodrama and Psychodrama erschien.
1.3.1Psychodrama in Hypnose – geht das überhaupt?
Aber muss man in einem Hypnodrama nicht in gewisser Weise wach und aktiv sein? Wäre es nicht auch wichtig, dabei die Augen offen zu halten? Denn blindlings auf der Bühne herumzustolpern, kann doch gewiss nicht Sinn und Zweck der Übung sein. Das stimmt. Und genauso verhält es sich auch. Die Teilnehmer des Hypnodramas agieren – trotz ihres hypnotischen Zustands – ebenso wie sonst im Psychodrama. So werden sie von Moreno beschrieben (vgl. Moreno 1950, p. 7). Das Gleiche berichtet auch Enneis. Im Hypnodrama könne der Patient frei agieren (vgl. Enneis 1950, p. 11) – allein und im Zusammenspiel mit den anderen (vgl. Enneis 1950, p. 15; vgl. Krojanker 1977a, p. 221; vgl. Supple 1977, p. 225).
Also verhalten sich die Teilnehmer im Hypnodrama irgendwie ganz normal und sollen trotzdem in Hypnose sein? Widerspricht das nicht all dem, was wir unter Hypnose verstehen? Halten Hypnotisierte die Augen nicht geschlossen? Wirken sie von außen nicht beinahe regungslos, als würden sie schlafen? Und wenn sie sprechen, tun sie dies nicht eher schleppend und zögerlich, als geschehe es fast wie gegen einen Widerstand?
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