Und genau hier setzt die TfPT an. Durch die Einbeziehung der psychoanalytischen Sichtweise war Ploeger nämlich klar geworden, wie wicht ig es für die Veränderung unbewusster Muster ist, diese zunächst einmal als solche erkannt zu haben. Im Gegensatz zu Moreno spielte für sein Psychodrama nachfolgend der Faktor Einsicht eine zentrale Rolle. Von nun an zielten seine psychodramatischen Intervention en auf die zufriedene Sicherheit ab, die sich, so Ploeger, einstelle, wenn es einem Menschen gelungen sei, Einblick in seine eigenen, ihm vorher verschlossenen Beweggründe zu gewinnen, die ihn zeitlebens ohne sein Wissen motiviert hätten (vgl. Ploeger 1983, S. 34 f., S. 244; 1990, S. 95 f.).
Wie kommt es aber in der TfPT zur Einsicht? In der Psychoanalyse wird sie dem Klienten durch die Deutung des Therapeuten vermittelt. Dabei handelt es sich um eine verbale Intervention, mit deren Hilfe ihm seine bislang unbewussten Muster bewusst gemacht werden sollen. Als im Laufe der Entwicklung der TfPT die psychoanalytische Tiefendimension von Ploeger mehr und mehr in die Psychodrama -Therapie einbezogen wurde, hätte das dazu führen können, dass die Teilnehmer künftig auch dort ihre Einsicht in die eigenen unbewussten Muster über die verbale Deutung des Therapeuten gewinnen. Ploeger entschied sich jedoch für einen anderen – einen »psychodramatischeren« Weg. Nicht die verbale Deutung, sondern das Handeln selbst sollte hier die Einsicht vermitteln. Bei der Entwicklung dieses besonderen therapeutischen Schrittes habe, so Ploeger, das Konzept der derivativen Einsicht (derivative insight) von Samuel Richard Slavson – einem Pionier der analytischen Gruppentherapie – Pate gestanden (vgl. Ploeger 1983, S. 183). Dieses sei von ihm in seiner Aktivitätsgruppentherapie für Jugendliche entwickelt worden (vgl. Ploeger 1983, S. 184). Er habe darunter die Erkenntnis des Patienten verstanden, dass sein Verhalten in der Gruppe von Widersprüchen gelenkt werde, die der Patient als die ihm eigene innere Fehlsteuerung akzeptieren könne (vgl. Ploeger 1983, S. 183 f.). Dies gelinge ihm, so Slavson, nicht so sehr aus den Interpretationen anderer Gruppenmitglieder oder des Therapeuten, sondern aufgrund seines eigenen Wachstums (vgl. Slavson 1966, S. 79). Einsicht und Interpretation kämen eigenhändig vom Patienten 18, aus dessen Selbsterkenntnis, wie er an anderer Stelle ergänzt (vgl. Slavson 1951, p. 213). Ähnlich wie bei Slavson sollte es auch in der TfPT ohne verbale Deutung, allein aus dem Handeln heraus, zur Einsicht kommen. Deshalb habe es hier, so Ploeger, darum gehen müssen, die Handlungsabläufe – respektive die Interaktionen in der Gruppe – derart zu gestalten, dass die Patienten selbst darauf aufmerksam würden, dass bei ihrem Verhalten der Realität, dem Hier und Jetzt widersprechende, weil aus unbewussten Determinanten entstandene Motive am Werk seien (vgl. Ploeger 1983, S. 25, S. 184). In der TfPT geschieht tatsächlich genau das: Ausgangspunkt ist stets die Interaktionsdynamik, die sich innerhalb der Gruppe einstellt (vgl. Ploeger 1983, S. 16). Einzelne Teilnehmer reagieren dabei immer wieder unangemessen, weil ihr Erleben und Verhalten dann auf unbewussten Mustern beruht, die nicht der aktuellen Situation in der Gruppe, sondern Erlebniskonstellation en in ihrem Damals und Dort entsprechen. Die Psychoanalyse nennt das Übertragung. Wenn es dazu komme, dann entsprächen, wie Ploeger erklärt, unsere Erlebens- und Verhaltensweisen nicht der gegenwärtigen zwischenmenschlichen Realität, sondern einer subjektiven Erfahrung, die in der Kindheit konserviert worden wäre und im Erwachsenenleben zu einem immer wieder in gleicher Weise schablonenhaft auftretenden Erleben und Verhalten führe (vgl. Ploeger 1983, S. 23).
Der Begriff der Übertragung war übrigens auch Moreno bekannt. Er nannte sie pathologisches Tele (Moreno 1988, S. 58; 1946a, p. 231), meinte damit aber im Prinzip das Gleiche, nämlich einen zwischenmenschlichen Beziehungsmodus, so die Psychodramatikerin Grete Leutz, der sich nicht voll an der Realität orientiere, sondern daraus resultiere, dass ein Mensch unbewusst an frühe Bezugspersonen – meist sogar aus früher Kindheit – fixiert geblieben sei (vgl. Leutz 1974, S. 18). Dass er sich so verhält, ist ihm allerdings zunächst nicht klar. Denn durch die Brille seiner unbewussten Muster betrachtet, erscheint dem Betreffenden durchaus adäquat, was er gerade tut. Nur zeigen die übrigen Gruppenmitglieder, die in dieser Situationen keine derart verzerrende Brille tragen und deshalb auf die aktuellen Gegebenheiten so reagieren können, wie sie sich gerade tatsächlich darstellen, ein ganz anderes Erleben und Ver halten (vgl. Ploeger 1983, S. 22). Der Moment, in dem ihm diese Diskrepanz bewusst wird, ist seine Chance zur Erkenntnis (Ploeger 1983, S. 31). Deshalb zielen die therapeutischen Intervention en der TfPT darauf ab, dem Betreffenden die Widersprüchlichkeit zwischen seinem eigenen Übertragungsverhalten und dem realen Verhalten der anderen Gruppenmitglieder besonders deutlich vor Augen zu führen (vgl. Ploeger 1983, S. 31), sodass dieser in einem Akt spontaner Erkenntnis und plötzlicher Betroffenheit (vgl. Ploeger 1983, S. 76) einzusehen vermag, dass sein Verhalten nicht den aktuellen Gegebenheiten, sondern ihm bis dato unbewussten Motiv en entsprach (vgl. Ploeger 1983, S. 25). Damit hat er aus der Sicht der TfPT Handlungseinsicht ge wonnen. Sie werde nicht durch verbale Deutung vermittelt (vgl. Ploeger 1983, S. 76), sondern sei, so Ploeger, ein Aha-Erlebnis, das aus dem Handlungsvollzug heraus auf dem Hintergrund der eigenen emotionalen Betroffenheit in der Reflexion aufleuchte (vgl. Ploeger 1983, S. 133). Dabei könne ein Teilnehmer beispielsweise erkennen, dass er fälschlicherweise angenommen habe, sein soeben erfolgter Angriff auf ein anderes Gruppenmitglied sei in der gegenwärtigen Situation notwendig und angemessen gewesen. Hingegen stelle er nun betroffen den eigentlichen Beweggrund für sein aggressives Verhalten fest: Das andere Gruppenmitglied hätte ihn unbewusst an seinen Vater erinnert (vgl. Ploeger 1990, S. 93).
1.2.1Die TfPT bleibt in der Alltagsrealität
Morenos Psychodrama ereignet sich in einer besonderen Realität – der Surplus Reality. Hier kann prinzipiell alles auf die Bühne gebracht werden, selbst jene Dimensionen, Rollen, Szenen und Interaktionen, die das Leben weder zulassen konnte noch kann und die es vermutlich auch in Zukunft nicht gestatten wird (vgl. Moreno 1979, S. 33; vgl. Moreno et al. 2000, p. 5). Die Teilnehmer handeln frei, wie es ihnen in den Sinn kommt, ohne dafür ernsthafte Folgen befürchten zu müssen. Eine solche Realität würde es enorm erschweren, Hand-lungseinsicht im Sinne der TfPT zu gewinnen. Denn diese erfordert, dass sich bei den jeweiligen Teilnehmern ein Moment der emotionalen Betroffenheit einstellt. Dafür aber muss das Spiel ernst werden. Deshalb gibt die TfPT dem Handelnden – wie die Wirklichkeit des Lebens draußen – niemals nur freien Raum für die Antriebe (vgl. Ploeger 1983, S. 33). Im Gegensatz zu Morenos Psychodrama findet sie konsequent – von A bis Z – in einer Welt statt, die der äußeren Wirklichkeit entspricht. Hier kommen durchgehend nur Dimensionen, Rollen, Szenen und Interaktionen zur Darstellung, wie sie sich so auch in der Alltagsrealität ereignen könnten. Damit steht von Anfang an – und nicht erst durch eine nachträgliche Realitätsprobe – fest, dass alle Einsicht en und Erfahrungen, die in der TfPT gewonnen werden, grundsätzlich in die Wirklichkeit des Lebens draußen zu implementieren sind.
1.2.2Einsicht allein reicht nicht
Einsicht, wie sie die Psychoanalyse durch verbale Deutung vermittelt, reicht nicht (vgl. Alexander a. French 1946, p. 67; vgl. Ginot 2015, pp. xli, 76, 82). Das hatte sich in der Entwicklungsphase der TfPT herauskristallisiert. Erst wenn sie sich für die Teilnehmer direkt aus dem Handeln ergibt, zeigt sie therapeutische Wirkung. Denn auf diese Weise komme, wie Ploeger vermutet, der Nachdruck hinzu, der durch die Brisanz eines unmittelbaren Betroffenseins hervorgerufen werde (vgl. Ploeger 1983, S. 25). Sie mache die Handlungseinsicht der TfPT überzeugender und nachhaltiger als die verbale Vermittlung der Einsicht, wie sie in der Psychoanalyse erfolge (Ploeger 1983, S. 184). Denn dort habe eigentlich der Therapeut den Erkenntnisgewinn gehabt, den er seinem Klienten hernach nur mit Worten nahezubringen versuche (vgl. Ploeger 1983, S. 184).
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