Die Reichsbeteiligung bei der Dresdner betrug 91 %, bei der Commerzbank 70 % und bei der Deutschen Bank 35 %. Insgesamt hatte die Regierung Brüning den Banken 1,25 Mrd. zur Verfügung gestellt, ohne das verantwortliche Personal auszuwechseln. Zugleich hielt die Regierung aber am rigorosen Sparkurs gegenüber den Arbeitslosen fest, was im Februar 1932 zu einer Rekordmarke von 6,1 Mio. führte. Ergebnis: Die NSDAP erhielt eine wunderbare Agitationsbasis. Bei den Landtagswahlen im April 1932 wurde sie – außer in Bayern – überall im Reich stärkste Partei.
Die Abläufe hatten allerdings ein Gutes: Es wurde nur zu deutlich, wo die Verantwortung für die Krise lag: „ Das privat-wirtschaftliche System ist nur zu halten, wenn es gegen jene Kapitalisten geschützt wird, die nur Gewinn machen, Verluste aber dem Staat aufbürden wollen “, erklärte Wirtschafts-Staatssekretär Trendelenburg im Februar 1932 im Kabinett. Doch kaum waren die Worte verhallt, kam es zu einem Vorgang, der kaum rational erklärlich ist. Der Industrielle Friedrich Flick hatte sich verspekuliert und wurde ein Opfer der Kreditkrise. Daher wandte er sich an die Reichsregierung um Hilfe – und wunderlicherweise griff das Reich, das kein Geld für die Arbeitslosen hatte, Flick unter den Arm. Das Reich kaufte dem reichen Stahlindustriellen für 96 Mio. heimlich ein Paket Gelsenberg-Aktien ab, das nach Börsenkurs höchstens 30 Mio. wert war. Das war nicht geheim zu halten und umso empörender, als sich Flick gerade ein dreistöckiges Schloss an der Ruhr bauen ließ. „ Flick beruhigte die Parteien nach Art des Hauses mit Spenden. “ Damit wurde aber auch – wieder einmal – ein Aktientausch möglich:
Flick verschaffte sich – auf Kredit – RheinBraun-Aktien im Nennwert von 21 Mio., was eine Sperrminorität war. Silverberg nahm das gelassen zur Kenntnis, wunderte sich aber, weil Flick eigentlich nicht Braun-, sondern Steinkohle für seine Hüttenwerke brauchte. Silverberg hatte aber ein Aktienpaket der Harpener Bergbau, das eingetauscht werden konnte. Die Wertdifferenz war allerdings hoch: Flick besaß 21 Mio. RheinBraun, Silverberg 36 Mio. Harpener. Silverberg lehnte das Angebot ab.
Jetzt kam das RWE ins Spiel: Flick bot RWE die RheinBraun-Aktien an und verpflichtete sich, ihm nach der Übernahme von RheinBraun die von Silverberg gehorteten Aktien der Harpener Bergbau zu geben. Allerdings fehlte noch ein Rhein-Braun-Paket, das der fanatische Nazi Fritz Thyssen geerbt hatte. Es galt eigentlich als unverkäuflich. Aber das RWE bekam es, weil Fritz Thyssen Silverberg schaden wollte: „ Auch Silverberg selbst hat später angedeutet, dass der Intervention Thyssens gegen die Rheinische Braunkohle primär politische Motive zugrunde gelegen haben. “ Thyssen finanzierte nämlich die Nazis zusammen mit dem Kohlensyndikat-Gründer Emil Kirdorf schon seit 1923. So kam es zur RheinBraun-Mehrheit in den Händen des RWE. Dann händigte RWE Flick das Aktienpaket an der Harpener Bergbau aus. Bei der Abwicklung gab es allerdings Schwierigkeiten, in denen auch Konrad Adenauer, Kölner Oberbürgermeister, eine Rolle spielte. Silverberg konnte nämlich in der Aufsichtsratssitzung vom 14.1.1933 einen Vertrag präsentieren, in dem Flick sich verpflichtet hatte, nur einvernehmlich mit der RheinBraun-Leitung (also Silverberg) zu handeln. Dabei wurde er von Adenauer unterstützt, der Führer der kommunalen Minderheits-Aktionäre des RWE war. Nach der Machtübernahme wurde von dem Kölner Bankier Kurt von Schröder „ der Pöbel “ gegen Silverberg mobilisiert. Am 13. März wurde Konrad Adenauer aus dem Amt gejagt. Damit brach der Widerstand der Aktionäre gegen die Übernahme ihres Unternehmens zusammen. Silverberg trat als Aufsichtsratsvorsitzender von RheinBraun, als Präsident der Industrie- und Handelskammer und als stellvertretender Vorsitzender des Reichsverbands der Deutschen Industrie zurück.
Kirdorf gingen erst jetzt die Augen auf. Für ihn, den unangefochtenen Sprecher der Kohlenbarone, war dies der Augenblick der Wahrheit. Das sagte er nicht nur, sondern schrieb daraufhin einen offenen Brief an die Rhein-Westfälische Zeitung in Essen, wo es u.a. hieß: „ Als ein Verbrechen erachte ich das unmenschliche Ausmaß der fortgesetzten antisemitischen Hetze ... Der Dolchstoß, den man diesem wertvollen Menschen versetzt, hat auch mich getroffen. “
Die Transaktion wurde dann abgewickelt wie vereinbart: „Nachdem die RWE-Verwaltung, dank der Majorität, zu der ihr Flick verholfen hatte, über RheinBraun verfügen konnte, löste sie das Wort ein, das sie Flick gegeben hatte: Sie übereignete ihm – nachträglich, nota bene – das Harpener-Paket der RheinBraun. Ein gutes Geschäft für die beiden Partner, deren einer mit geliehenem Geld und deren anderer ohne überhaupt Geld einzusetzen zu einem überaus wertvollen Besitz gekommen war. Im Ergebnis führte dieses Geschäft dazu, dass das RWE bis heute den billigsten deutschen Strom erzeugen kann.
10. Kapitel
Die NSDAP übernimmt die Macht – aber die Energiekonzerne haben das Sagen
Das vom Weimarer Parlament beschlossene „Gesetz betreffend die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft“ vom 31.12.1919 war nicht umgesetzt worden. Daher war die Versorgung Dritter mit Elektrizität weiterhin dem uneingeschränkten Wettbewerb überlassen. Es kam zu heftigen und nicht immer fair geführten Ausdehnungskämpfen.7 Diese riefen das Reichswirtschaftsministerium (RWM) auf den Plan. Es beauftragte den Ingenieur Oskar von Miller mit der Erstellung eines Gutachtens über die Situation der Elektrizitätswirtschaft. Von Miller arbeitete von 1926 bis 1930 an dem Gutachten und befürwortete die künftige Koordinierung der Errichtung von Neuanlagen und der Erweiterung vorhandener Bauten nach einem einheitlichen Generalplan. Das Reich sollte in 13 Versorgungsbezirke aufgeteilt werden. Die Frage der Umsetzung stellte das Gutachten zur Diskussion der beteiligten Kreise.
Die Konzerne bauten vor. 1928 schlossen sich acht große Versorgungsunternehmen zu einer Interessenvertretung, der „Aktiengesellschaft zur Förderung der deutschen Elektrizitätswirtschaft“, unter besonderer Betonung der Förderung der Verbundwirtschaft, zusammen. Die Botschaft war klar: Die Energiewirtschaft sei durchaus in der Lage, sich selbst und ohne gesetzlichen Eingriff seitens des Reiches zu organisieren. Tatsächlich erklärte das Preußische Handelsministerium anlässlich der Jahresversammlung des Verbandes deutscher Elektrotechniker im Juli 1929 den alten Plan zur Schaffung eines Reichselektrogesetzes für erledigt.
Unter dem Einfluss der Wirtschaftskrise ging der absolute Strom- und Gasverbrauch drastisch zurück. Der Leistungsüberhang in der Stromwirtschaft betrug 69 %. Das Reich mischte sich immer mehr in die Unternehmenspolitik ein: Verordnet wurden Zinssenkungen, Devisenkontrolle, die Überwachung der Energiepreise und der ihnen zugrunde liegenden Kosten sowie die schematische Absenkung der Tarifpreise.8 Eine stärkere staatliche Regulierung stand vor der Tür.
Sie kam mit der Machtergreifung Hitlers am 30.1.1933. Im „ neuen Deutschland “ sollte „ wieder der Mensch und sein Wohlergehen das Endziel allen Schaffens (werden), dem sich alle Wirtschaftsfaktoren unterzuordnen haben “. Tatsächlich waren schon kurz nach der Machtübernahme Indiskretionen aus dem Braunen Haus, der Parteizentrale der NSDAP, in die Industriekanäle gesickert, die das Schlimmste befürchten ließen: Man sprach von Plänen für eine zentralistische Neuorganisation aller EVU, von einem Baustopp für Fernleitungen und von staatlich festgelegten Mini-Dividenden bei radikaler Senkung der Stromtarife. Im Herbst erstattete die „Abteilung Elektrizität der Unterkommission III b der politischen Zentralkommission der NSDAP“ ihren mit größter Nervosität erwarteten „Bericht über Aufgaben in der Elektrowirtschaft“ – für die Konzerne ein wahrer Schock. An oberster Stelle des Maßnahmenkataloges stand die Arbeitsbeschaffung. Trotz der Überkapazität von 69 % sollte die Stilllegung von Kraftwerken in den nächsten vier Jahren verboten und mit dem Bau von arbeitsplatzintensiven Wasserkraftwerken begonnen werden. Für Investitionen auf dem Arbeitsmarkt sei eine Zwangsabgabe von mindestens 16 % der Bruttoeinnahmen auf ein staatlich überwachtes Sonderkonto zu zahlen.
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