Der eigentliche Grund lag aber darin, dass in den USA – anders als in Deutschland – schon früh Kartellverbote erlassen wurden. Anlass war das Entstehen von Monopolen, z.B. der Standard Oil Company, der Carnegie Steel Company, der Accessory Transit Company, verbunden mit Namen wie John D. Rockefeller und Cornelius Vanderbilt, die mit ihren „großen Konstruktionen“ Monopole schufen, die die Abgeordneten auf den Plan riefen. Der Sherman Antitrust Act von 1890 brachte ein Monopolisierungsverbot, das auch horizontale und vertikale Absprachen grundsätzlich verbot. Das Gesetz sah sogar die Möglichkeit der Entflechtung vor; Unternehmen mit Monopolstellung konnten unter bestimmten Voraussetzungen aufgeteilt werden. Bei Erlass des Gesetzes war eine Strafe von bis zu 5.000 US-Dollar oder eine Gefängnisstrafe von einem Jahr möglich. Der Rahmen für Geldstrafen war natürlich viel zu gering. Im Jahr 2005 waren die Strafen schon auf bis zu 10 Mio. US-Dollar für Unternehmen bzw. 1 Million US-Dollar für natürliche Personen gestiegen. Allerdings dauerte es einige Jahre, bis das Gesetz auch wirklich angewandt wurde. American Tobacco wurde 1911 auf Grundlage des Sherman Antitrust Acts entflochten, Standard Oil am 8.11.1906 von der Regierung der USA angeklagt und am 5.5.1911 entflochten. DuPont wurde im Jahr 1912 wegen eines Monopols auf Sprengstoffe in mehrere Teile zerschlagen.6 Aber General Electric hielt das nicht vom Bau des Welt-Glühlampenkartells ab. Die Zusammenarbeit wurde vielmehr durch finanzielle Verflechtungen nur noch enger. In der Boom-Zeit von 1924 bis 1929 legte das RWE vier Anleihen in Höhe von 65 Mio. Dollar für den US-Markt auf, zu denen 157 Mio. Auslandsanleihen der RWE-Töchter traten. Siemens ließ sich durch ein New Yorker Bankhaus bis 1929 Anleihen in Höhe von 29 Mio. Dollar besorgen. Die AEG überließ den alten transatlantischen Geschäftsfreunden von General Electric gegen Dollar eine 25 %ige Beteiligung an ihrem Aktienkapital von 200 Mio. Mark. Aber den Amerikanern ging es dabei nicht um das Geldverdienen, sondern um Vorbeugung: Wenn sich auf den Heimatmärkten Probleme ergaben, könnten die Konzerne möglicherweise auf die Idee kommen, sich auf Exportmärkten zu engagieren. Um hier regulierend einzugreifen, wollten die Chefs von General Electric und Westinghouse ein Weltkartell der großen Anlagenbauer konstruieren, das jedem hungrigen europäischen Konzern so viel zu beißen gab, dass er nicht auf die Idee kam, in die USA zu expandieren. Am 13.12.1930 war es soweit. Zwar rieten die US-Rechtsberater dringend von einer Unterzeichnung des Weltkartellvertrags ab, weil die Vereinbarung gegen die Antitrustgesetze verstieß. Aber die Amerikaner setzten sich über die Bedenken hinweg und unterschrieben das International Notification and Compensation Agreement, das Internationale Benachrichtigungs- und Kompensationsabkommen. Später wurde das Kartell in International Electric Association umgetauft: Internationale Elektrizitätsvereinigung – absolut nichtssagend. Die Konzerne versprachen sich Heimatschutz: Auf ihren Märkten war die Festlegung von Preisen allein ihre Sache. Als Heimatgebiete galten alle europäischen Länder, die USA, Kanada und Japan einschließlich ihrer Kolonien. In den restlichen Ländern der Welt wurden Verkauf und Lieferung von Kraftwerken und Aggregaten durch die Kartellbestimmungen geregelt. Jedes Mitglied, das auch nur von einer Ausschreibung hörte, war verpflichtet, dies auf einer vorgedruckten Karte dem Sekretär des Kartells mitzuteilen. Antworten durften nur die Mitglieder, die vom Sekretär dazu aufgefordert wurden. In der Benachrichtigung waren auch die Mitbewerber aufgeführt. Diese Firmen einigten sich dann untereinander, wem der Auftrag zu welchem Preis zufallen sollte. Erst viele Jahre später deckten die US-Kartellbehörden die Kartellabsprachen auf, die praktisch alle Produkte der Anlagenbauer einbezogen hatten.
Man sieht: Selbst die scharfe US-Kartellgesetzgebung schaffte es nicht, die Kartelle an die Kandare zu legen. Kartellbehörden sind regelmäßig gezwungen, „ex post“ – im Nachhinein – einzugreifen, wenn sie gezielt oder durch Zufall Informationen über Kartelle erhalten. Generelle oder differenzierte Kartellverbote sind das eine; Meldepflichten und „investigations“, effiziente Untersuchungs- und Eingriffsverfahren, das andere. Eine funktionierende Wettbewerbsaufsicht setzt daher nicht nur den unbedingten Willen zum Eingriff, sondern auch gesetzliche Ermächtigungen und personell gut ausgestattete Behörden voraus.
6Quelle: Wikipedia. Basis: Sherman Antitrust Act. Folge: Gründung der Hercules Powder und Atlas Chemical Industries.
9. Kapitel
Weltwirtschaftskrise: Die Konzerne bleiben ungeschoren
Das Kartell war, wenn man den Konzernherren glaubt, ein Kind der Not. Aber Not litten andere. Nur kurz nach dem Vertragsabschluss in Paris erreichte die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland den neuen Höchststand von 5 Mio. Erst in diesen Wintermonaten brach die Weltwirtschaftskrise in Deutschland voll aus. Die Industrie nutzte sie zu einem Großangriff auf die sozialen Errungenschaften seit der November-Revolution. Der rheinische Braunkohlenkönig Paul Silverberg erklärte als Präsidiumsmitglied des Reichsverbands der Deutschen Industrie (RDI): „ Eine private, individualistische, kapitalistische Wirtschaft kann nicht erfolgreich sein, wenn der Staat gleichzeitig eine kollektivistische und sozialistische Wirtschaftspolitik verfolgt, speziell auf den Feldern der Sozial-, Steuer- und Fiskalpolitik .“ Was darunter zu verstehen war, sagten die Ruhrindustriellen vom RDI: „ Alle kollektivistischen und Zwangsmaßnahmen wie Schlichtung, hohe Löhne, Arbeitszeitgesetzgebung, Sozialversicherung, öffentlicher Wohnungsbau etc. müssen mit hohem Tempo beseitigt werden .“ Die Strategie: „ Die Gewerkschaften sind noch zu stark für Verhandlungen. Zuerst müssen wir im ganzen Land eine harte Konfrontationsstrategie in allen Fragen verfolgen. Wir müssen eine Situation schaffen, in der die Arbeiter sich enttäuscht von ihren politischen und gewerkschaftlichen Führern abwenden .“
Deswegen kam es bei diesem Klassenkampf von oben schon zu Beginn der Krise zu Massenentlassungen, bei denen der Siemens-Konzern vorne mit dabei war: Siemens hatte, wie er in einem Brief an Reichskanzler Heinrich Brüning Ende Juli 1930 zugeben musste, in wenigen Monaten von den 51.300 Arbeitern in seiner Berliner Werken 17.450 – also 34 % – gekündigt. Im gleichen Jahr sank der Umsatz nur um 6 %. Der als Siemens & Halske firmierende Konzern zahlte noch 7 % Dividende. Das Ergebnis dieser Konfrontationspolitik war eine sich immer schneller steigernde Radikalisierung der Massen. Sie wurde durch eine Währungskrise verschärft: Das Problem der Auslandsleihen der Industrie und des Reichs war, dass sie in Dollar zurückzuzahlen waren. Aber Dollars wurden wegen der Wirtschaftskrise nicht verdient. Die Lage gleicht der heutiger Entwicklungs- oder Schwellenländer: Sie müssen ihre Schulden in Dollar bezahlen, haben aber keine Möglichkeit, Dollar zu verdienen. Das Ergebnis war eine Währungskrise, der der Zusammenbruch des deutschen Bankensystems folgte. Die Banken konnten nur durch massiven Einsatz von Steuergeldern gerettet werden, was den „gestürzten Halbgöttern“ aus den Vorstandsetagen äußerst peinlich war.
Der Bankenkrach war Resultat einer krassen Missachtung der Grundregel des Geldgeschäfts, wonach man kurzfristige Kredite nicht langfristig anlegen darf. Diesen Fehler hatten fast alle Großbanken gemacht. Eine Ausnahme war die Berliner Handels-Gesellschaft unter ihrem Chef Fürstenberg. Anfang Juli 1931 hatten die Großbanken kurzfristig rückzahlbare Devisenschulden in Höhe von 5,5 Mrd. Mark. Die Gold- und Devisenreserven der Reichsbank waren auf 1,7 Mrd. zusammengeschmolzen. Die Regierung wurde darüber nicht informiert. Das führte zum „ Schwarzen Samstag des Deutschen Bankgewerbes “. Die DANAT-Bank (Darmstädter und Nationalbank) teilte dem Finanzminister am 11.7.1931 die Zahlungsunfähigkeit mit. Der liberale Minister Dietrich warnte seine Kollegen: „ Der Sturz der DANAT-Bank wäre eine ernste Gefahr für den Kapitalismus! “ Die Regierung sprang als Nothelfer der Großbanken ein: Der freie Zahlungsverkehr wurde eingestellt und erst nach drei Wochen wieder zugelassen. Die Großbanken erhielten enorme Geldinfusionen; mit dem Ergebnis der praktischen Verstaatlichung:
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