Dann aber gab es keinen Grund mehr, Zeit zu verschwenden. Auch Ben Brighton begrüßte den Spanier per Handschlag, und zu dritt begaben sie sich zur Heckgalerie. Don Juan warf einen kurzen Blick zur „Le Vengeur“ und zur „Tortuga“.
„Ich bin froh, daß Sie bereits auf Gegenkurs gegangen sind“, sagte er, „aber seit ich Sie gesichtet habe, wundere ich mich, wo die anderen Schiffe geblieben sind. Wollen Sie etwa riskieren, mit nur drei Galeonen auf den spanischen Verband zu stoßen?“
„Wir haben das Gefühl, daß höchste Eile geboten ist“, entgegnete der Seewolf, „deshalb haben wir jeden verfügbaren Fetzen Tuch gesetzt. Unsere Formation mußte sich dabei zwangsläufig auflösen.“ Mit knappen Worten berichtete er darüber, warum sie sich zur Umkehr entschlossen hatten. Und lächelnd fügte er hinzu: „Im übrigen sollten wir das ‚Sie‘ weglassen. Im Bund der Korsaren gibt es solche Förmlichkeit nicht.“
Don Juan nickte.
„Einverstanden, Hasard. Es tut gut, keine Vorbehalte zu spüren. Obwohl ich es dir nicht einmal verdenken könnte.“
Der Seewolf schüttelte den Kopf.
„Ich meine, wir kennen uns lange genug.“
„Allerdings.“ Don Juan gab sich einen Ruck. „Dann halten wir uns mit diesem Teil der Vergangenheit nicht länger auf. Es gibt im Augenblick Dinge von größerer Wichtigkeit.“ Kurz und bündig, wie es auch die Art des Seewolfs war, berichtete er über die Ereignisse im Zuge der Verfolgung des Kampfverbandes.
Während Don Juan sprach, wurde dem Seewolf und seinem Ersten Offizier einiges klar, was ihnen in den zurückliegenden Stunden und Tagen noch Rätsel aufgegeben hatte. Wenn sie davon erfuhr, würde auch Siri-Tong wissen, daß ihre Berechnungen im Grunde richtig gewesen waren. Normalerweise hätte man dem spanischen Kampfverband schon viel früher begegnen müssen.
Hasard und Ben mußten grinsen, als sie davon hörten, daß der Verbandsführer Cubera gezwungen gewesen war, vor Cardenas zu ankern, damit der sehr ehrenwerte Gouverneur nicht länger auf sein gewohntes Bad verzichten mußte. Die Schilderung der nächtlichen Störangriffe veranlaßte die Männer indessen zu einem anerkennenden Nicken.
Don Juan berichtete auch von José Buarcos und Jorge Matteo, den beiden Überlebenden jener Karavelle, die die Black Queen in den Korallenriffs der Cay-Sal-Bank versenkt hatte.
„Beide sind Landsleute von mir“, sagte Don Juan, „Buarcos war Sargento, Matteo einfacher Decksmann. Aber sie standen im Dienst der Admiralität, und ich hätte es ihnen nicht verdenken können, wenn sie auf die Rettung durch uns verzichtet hätten – oder darauf bestanden hätten, im nächsten Hafen abgesetzt zu werden.“
„Sind sie Mitläufer?“ fragte Hasard. „Oder hast du sie von euren Zielen überzeugt?“
Don Juan schüttelte den Kopf.
„Weder das eine noch das andere. Die beiden sind anständige Burschen, die auch genügend Grips haben, um sich ihre eigene Meinung zu bilden. Ich habe nicht etwa auf sie eingeredet. Ich habe ihnen lediglich erklärt, wer ich bin und was dazu geführt hat, daß ich mich dem Bund der Korsaren anschloß. Das genügte. Buarcos und Matteo waren sofort bereit, sich meinem Kommando zu unterstellen.“
Hasard wechselte einen Blick mit Ben Brighton. Es war frappierend, mit welcher Offenheit und Ehrlichkeit Don Juan seine Absichten verfolgte. Aus seinen neugewonnenen Erkenntnissen machte er keinen Hehl. Und wenn andere hörten, auf welche Weise er sich zu besserem Wissen durchgerungen hatte, dann verfehlte das seine Wirkung nicht. Das Beispiel Buarcos und Matteo bewies es.
„Und die Black Queen?“ fragte Ben Brighton gespannt. „Ist sie von den Schaluppen des Verbandes noch aufgespürt worden?“
„Nicht von den Schaluppen“, entgegnete Don Juan mit hintergründigem Lächeln, „sondern von uns.“ Er schilderte den Überraschungsangriff in der Dunkelheit, den er und seine Männer mit der Schebecke gefahren hatten. Noch vor Anker liegend, war der Zweimaster in seinem Versteck in einer Inselbucht der Cay-Sal-Bank versenkt worden.
Hasard und Ben konnten ihn sekundenlang nur ungläubig ansehen.
„Hat es Überlebende gegeben?“ fragte der Seewolf schließlich.
Don Juan zog die Schultern hoch.
„Es sah nicht danach aus. Ich kann es aber nicht mit Bestimmtheit sagen. Wir haben uns nicht vergewissert. Wichtig waren für uns vor allem die nächsten Störangriffe auf den Kampfverband. Ein paar Überlebende von einem versenkten Zweimaster können der Schlangen-Insel wohl nicht so gefährlich werden wie ein vollständiger spanischer Flottenverband.“
„Allerdings“, sagte Hasard. „Auf jeden Fall ist die Black Queen erst einmal außer Gefecht gesetzt, und dafür sind wir dir zu großem Dank verpflichtet. Genauso wie für die übrigen Aktivitäten gegen den Verband des Gouverneurs.“
Don Juan grinste.
„Ich meine, auf Dankesfloskeln kann man im Bund der Korsaren auch verzichten, wie?“
Der Seewolf mußte zustimmen. Ihm erging es nicht anders als Ben Brighton: Trotz der gefährlichen Lage, in der sie sich alle befanden, erfüllte sie der Bericht ihres neuen Gefährten mit einer Stimmung von fast beschwingter Heiterkeit. Sicherlich lag es an dem wohltuenden Gefühl, mitzuerleben, wie sehr dieser aufrechte Mann ihre eigenen Idealvorstellungen zu schätzen gelernt hatte.
„Und anschließend hat auch euch der Nebel einen Strich durch die Rechnung gemacht“, sagte Ben Brighton nachdenklich. „War es nicht so?“
Don Juan nickte.
„Erst dieser Wolkenbruch in den Nachtstunden und dann der Nebel. Es war zum Verrücktwerden.“ Kurz und bündig schilderte er das Geschehen, das schließlich zu seinem Entschluß geführt hatte, auf Gegenkurs zu gehen.
Zur augenblicklichen Situation brauchten die Männer nicht viele Worte zu verlieren. Die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ mußten jetzt alles daran setzen, den Kampfverband zu erreichen und in Gefechte zu verwickeln. Aufgabe der „Tortuga“ würde es zunächst sein, zurückzufallen und die Verbindung zu den langsameren Schiffen des Bundes der Korsaren aufrechtzuerhalten.
„Es ist die einzig denkbare Taktik“, sagte Don Juan zustimmend. „Wenn ihr einverstanden seid, werde ich meinen bisherigen Kurs wieder aufnehmen und eure nachfolgenden Schiffe verständigen.“
„Sehr gut“, sagte Hasard und nickte, „für Siri-Tong, Thorfin und die anderen ist es ebenfalls wichtig, auf dem laufenden zu sein. Das gilt vor allem für die neue Zusammensetzung des Kampfverbandes. Von den sechs Schaluppen hätten wir natürlich nichts geahnt.“
„Laß dir von unserem Nordmann keinen Schreck einjagen“, sagte Ben Brighton lächelnd. „Thorfin sieht schlimmer aus, als er ist. Und wenn er herumbrüllt, ist das nur die rauhe Schale über dem weichen Kern.“
„Ich werde es mir merken“, versprach Don Juan. „Sobald alle Kapitäne informiert sind, gehen wir mit der Schebecke wieder auf Gegenkurs und versuchen, so schnell wie möglich aufzuschließen, damit wir aktiv eingreifen können.“
„Bei den guten Segeleigenschaften eures Dreimasters dürftet ihr das spielend schaffen“, sagte Hasard.
Don Juan winkte ab. „Deine ‚Isabella‘ und die beiden Schwesterschiffe sind auch nicht zu verachten.“
Sie verloren keine weiteren Worte. Don Juan verabschiedete sich, setzte wieder über und jagte kurz darauf mit der Schebecke weiter nach Nordwesten. Hasard übernahm es, Jean Ribault anzupreien und ihn über die Neuigkeiten zu informieren.
Mit nur zwei Schiffen würden sie gegen neun ebenbürtige Gegner zu kämpfen haben. Allen Männern auf der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ war klar, was ihnen damit bevorstand.
Es entsprach ihrem eisernen Willen, die Schlangen-Insel zu verteidigen, daß sie dem Augenblick der Konfrontation um so mehr entgegenfieberten.
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