„Überlegen Sie sich noch mal, wie es wäre, wenn wir Jörgen und Sie an Land setzen würden“, sagte Don Juan zu Arne.
„Ich habe mir Ihren Vorschlag auch schon durch den Kopf gehen lassen.“
„Und zu welcher Ansicht sind Sie gelangt?“
„Daß Sie recht haben.“
„Es freut mich wirklich, daß Sie das einsehen.“
„Ich darf den Posten in Havanna um keinen Preis aufgeben“, sagte Arne. „Für die Freunde auf der Schlangen-Insel ist er geradezu lebenswichtig und notwendig.“
„Warum reden wir noch lange herum?“ fragte Jörgen. „Treffen wir eine Entscheidung.“
„Du bist also auch meiner Meinung – oder besser, unserer Meinung?“ Arne sah ihn erwartungsvoll an.
„Natürlich. Es soll aber nicht so aussehen, als wollten wir vor weiteren Kampfaktionen kneifen“, entgegnete Jörgen.
„So seht ihr auch gerade aus“, sagte Vigil. „Nein, ich glaube, das denkt keiner von uns.“
Don Juan sagte: „Wir sind bereit, euch noch heute nacht an der Küste an Land zu setzen.“
„Einverstanden“, sagte Arne. „Aber wo?“
Vigil brachte eine Karte, deren Eintragungen und Zeichnungen jedoch nur schwach zu erkennen waren. Licht durften sie nicht entfachen, um dem Gegner ihre Position nicht zu verraten. Also beugten sie sich einer nach dem anderen über die Karte und versuchten, im bleichen Schimmer des Mondes soviel wie möglich zu sehen.
Arne tippte schließlich auf La Isabela. Unwillkürlich mußte er wegen des Namens lächeln. La Isabela war ein Hafenort nördlich von Sagua la Grande.
„Der erscheint mir gerade wegen der Lage zu unserer momentanen Position günstig“, sagte er. „Außerdem dürften dort hauptsächlich Fischer wohnen, die zumeist wortkarg sind und nicht viel fragen.“
„Ja, auch ich glaube, daß Sie Ihre Wahl gut getroffen haben, Arne“, sagte Don Juan. „Ich bin einverstanden.“ Er wandte sich an seine Mannschaft. „Setzt die Segel. Wir runden den Verband und gehen auf Kurs Süden. Wir laufen die Küste von Kuba an, unser Ziel ist La Isabela.“
„Und der Verband?“ fragte einer der Männer.
„Der bleibt uns sicher“, erwiderte Vigil grinsend. „So schnell bricht er noch nicht wieder auf. Aber unsere lieben Landsleute werden denken, daß wir auch weiterhin im Dunkeln auf der Lauer liegen. Ja, diese Art der Kriegführung ist wirklich nicht schlecht.“
Wenig später glitt die Schebecke davon, umsegelte den Verband und legte sich auf südlichen Kurs. Kein Mann an Bord der Kriegsschiffe registrierte ihr Ablaufen, auch die Jollenbesatzungen sahen es nicht. So blieben die Ungewißheit und die Spannung, und die Nervosität wuchs, wie Arne das vorhergesagt hatte. Mit Hast wurde an Bord der beschädigten Karavelle gearbeitet, keinem ging das Instandsetzen der Ruderanlage schnell genug.
Nur ein Mann betete darum, daß der Verband ewig vor Treibanker liegen möge: Don Antonio de Quintanilla. Der Geschmack an der Rolle des Eroberers war ihm gründlich vergangen. Er wußte jetzt, daß der Kampf nicht ohne Blutvergießen abgehen würde. Solange es das Blut der anderen war, kümmerte es ihn nicht. Doch auch sein Blut würde fließen – und allein die Vorstellung bereitete ihm Grauen.
Unterdessen steuerte die Schebecke Don Juans die Küste von Kuba an. Die Fahrt verlief ruhig. Es wurde kaum ein Wort gesprochen, aber immer wieder hielten die Männer aufmerksam Umschau.
Im Morgengrauen des 21. Juli erreichten sie die Küste in unmittelbarer Nähe von La Isabela. Nebliggraue Schleier krochen über die See zum Land, durchsetzt von rötlichem Zwielicht, dennoch fiel den Männern die Orientierung nicht schwer. Sie steuerten zwischen den Inseln hindurch, die der Küste vorgelagert waren, wichen jedem Riff und jeder Untiefe aus und segelten schließlich auf die Palmen und Mangroven zu, die sich mattgrün hinter den aufsteigenden Brandungswellen erhoben.
„Beidrehen!“ befahl Don Juan. „Geit auf die Segel! Fiert ab das Boot!“
„Das wäre dann also die Stunde des Abschieds“, sagte Arne. „Schade – aber nicht zu ändern.“ Er streckte Don Juan die Hand entgegen. „Adios – oder soll ich lieber sagen: Hasta la vista?“
„Das klingt besser“, entgegnete Don Juan. „Auf Wiedersehen und nicht ade. In Havanna treffen wir uns wieder.“
„Daran führt kein Weg vorbei.“ Jörgen mußte lachen. „Und die Fronten sind jetzt geklärt. Jeder weiß vom anderen, wer er wirklich ist. Geheimnisse gibt es nicht mehr.“
„Und unser Pakt, unsere Freundschaft?“ fragte Arne. „Wann werden wir die endlich gebührend feiern?“
„Die Gelegenheit kommt noch“, erwiderte Don Juan. „Nach dem Gefecht um die Schlangen-Insel. Ich schätze aber, daß wir bis dahin noch einiges auf uns nehmen müssen. Ganz reibungslos wird auch unsere Aktion letztlich nicht verlaufen.“
„Ich denke auch an Don Antonio“, sagte Arne. „Wir haben immer Ärger mit ihm gehabt, und er wird es uns auch in Zukunft nicht daran mangeln lassen.“
„Irgendwie habe ich aber doch das Gefühl, daß Don Garcia Cubera ihn früher oder später durchschaut“, sagte Don Juan. „Daraus ergeben sich Konsequenzen. Wenn ich doch mit diesem Cubera hätte sprechen können, wie ich es in Havanna vorgehabt hatte.“
„Aber Sie sehen doch ein, daß es glatter Selbstmord gewesen wäre, nicht wahr?“ fragte Arne. Schließlich war er es gewesen, der ihn davon abgehalten hatte.
„Selbstverständlich. Ehe ich wieder offiziell etwas unternehmen kann, muß ich von der Anklage des Mordes freigesprochen sein und meine Sondervollmachten wieder in meinen Besitz gebracht haben.“ Seine Züge verhärteten sich. „Aber Don Antonio wird für das, was er sich geleistet hat, noch teuer bezahlen. Die Stunde der Abrechnung kommt – und dann gnade ihm Gott.“ Er drückte Arnes Hand kurz und fest, dann sagte er noch: „Grüßen Sie Jussuf von mir – und den alten Amando, wenn Sie ihn sehen. Meines Wissens sind, sie derzeit die einzigen beiden Männer in Havanna, die wirklich etwas taugen.“
Auch Jörgen schüttelte Don Juan die Hand. Arne und er verabschiedeten sich ebenso von den anderen, dann kletterten sie in das Boot, das inzwischen ausgeschwenkt und abgefiert worden war.
José Buarcos und Jorge Matteo pullten sie an Land. Die Brandung hob das kleine Boot hoch und ließ es auf den Strand zuschießen, als solle es dort zerschmettert werden. Dann aber, einer unsichtbaren, unerklärlichen Macht folgend, verlangsamte sich die Geschwindigkeit wieder, und fast sanft schob sich das Boot mit seinem Bug auf den weichen, weißen Sand.
Arne und Jörgen stiegen aus und nahmen ihre Waffen und ihr weniges Gepäck an sich. Arne gab durch eine Gebärde zur Schebecke hin zu verstehen, daß alles in Ordnung sei. Jörgen schob das Boot ins Wasser zurück. Arne half ihm dabei.
„Señores“, sagte Matteo. „Wir wünschen euch alles Gute. Gott sei mit euch!“
„Danke, das wünschen wir euch auch!“ rief Arne ihm und Buarcos zu. „Und grüßt den Seewolf von uns, wenn ihr ihn seht!“
Die beiden Spanier lachten und pullten zur Schebecke zurück. Arne und Jörgen verfolgten vom Ufer aus, wie das Boot längsseits ging und binnenbords gehievt wurde. Dann nahm Don Juans kleine Crew die Segel aus dem Gei, und das Schiff ging wieder in See.
Arne und Jörgen winkten den Freunden kurz nach, dann beobachteten sie, wie die Schebecke verschwand. Verschwimmende Schleier im blassen Morgenlicht waren das letzte, was sie von ihr sahen.
„Also dann, mein Bester“, sagte Arne. „Packen wir’s. Erst mal sehen wir uns dieses La Isabela an, dann entscheiden wir, ob wir bis nach Havanna zurück marschieren oder ob jemand so gnädig ist, uns mitzunehmen.“
„Das hängt ganz von den Angeboten ab“, sagte Jörgen und grinste.
Don Juan indes hatte nicht den geringsten Zweifel, daß es seinem Freund Arne von Manteuffel in Kürze gelingen würde, ein Fahrzeug zu finden und nach Havanna zurückzukehren. Es war nur eine Frage der Zeit, relativ kurzer Zeit obendrein.
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