Der Pfeil sauste fast senkrecht von oben zwischen Vormast und Großmast nach unten, durchschlug ein Stück gewachstes Segeltuch, mit der die Mittschiffsluke abgedeckt war, und explodierte im mittleren Laderaum. Campos selbst und ein paar andere Kerle hatten lediglich etwas Huschendes gesehen, und bevor sie begriffen, um was es sich handelte, war die Hölle los.
Die Detonation ließ die Schaluppe erzittern, ein Feuerblitz schoß aus der Luke hoch, und eine fette Qualmwolke stieg auf. Die Männer brüllten und fluchten durcheinander, rempelten sich gegenseitig an und stolperten über ihre eigenen Füße. Ein dicker Kerl, der auf den Namen El Gordo hörte, wurde glatt umgerissen und landete mit hörbarem Krachen und Poltern auf den Planken.
„Dämonen!“ schrie einer von ihnen. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu!“
„Ja, hier spukt’s!“ brüllte ein anderer.
Die entsetzte Überraschung war im Explodieren der Pulverladung vollkommen. Die Kerle glaubten tatsächlich an ein Werk des Teufels, und für kurze Zeit war die Wuhling total. Verblüfft blickten auch die Männer der zweiten Schaluppe zu Campos’ Zweimaster, und fragende Rufe wehten zum Admiral und dessen Meute hinüber.
„Was ist los?“
„Was ist passiert? Was hat das zu bedeuten?“
Campos, El Gordo und die anderen waren inzwischen wie gelähmt und richteten ihre starren, entgeisterten Blicke auf die noch qualmende Luke.
„Das ist die Rache der Wasserdämonen“, murmelte einer von ihnen.
„Hör mit diesem dämlichen Quatsch auf!“ fuhr der Admiral ihn an. „Wer glaubt denn an so was? Wir …“
Weiter gelangte er nicht, denn genau in diesem Moment huschte das Unheil erneut heran. Ein zweiter Pfeil raste zischend und qualmend auf den Zweimaster nieder und verschwand im Laderaum.
„Nein!“ brüllte der Admiral. „Aufhören!“
Dann explodierte auch dieser Pfeil, und wieder herrschte Zustand. Die Kerle stießen die übelsten Verwünschungen aus, und El Gordo rammte den ihm am nächsten Stehenden die Ellenbogen in den Leib, so daß es dieses Mal sie waren, nicht er, die zu Boden gingen.
Inzwischen war es Luis Campos, der als erster begriff, was sich abspielte. Er ballte die Hände zu Fäusten und zerdrückte einen Fluch auf den Lippen. Ja, jetzt sah er es: Mit einem Blick voraus zur „Caribian Queen“ erkannte er, daß sie ihr aufgesegelt waren. Gleichzeitig gewahrte er auch, daß an ihrem Heck etwas in die Luft aufstieg – ein Pfeil, der in einer Kurve in den Himmel raste, seinen Scheitelpunkt erreichte und sich dann wieder senkte.
„Hölle!“ Mit diesem Aufschrei und einem einzigen Satz war Campos bei seinem Rudergänger, stieß ihn zur Seite, legte Ruder und fiel mit der Schaluppe ab. Sehr schnell gehorchte sie dem Manöver und drehte den Bug nach Südwesten. Fast glaubte Campos, aufatmen zu dürfen. Und doch gab es keinen Grund dafür.
Denn der dritte Pulverpfeil, der von Big Old Shane und Batuti abgefeuert worden war, war dieses Mal für die andere Schaluppe bestimmt, auf der man die beiden Explosionen an Bord der Admiralsschaluppe zwar gehört hatte, sie aber nach wie vor nicht zu deuten wußte. Während diese Kerle noch zu ihrem Anführer und dessen Mannschaft blickten, zischte der Pfeil in die Back ihrer Schaluppe und flog dort mit einem heftigen Knall auseinander.
„Nein!“ Einer der beiden Kerle, die sich vorher miteinander gestritten hatten, schrie es und stürzte nach achtern. Sein Kumpan folgte ihm. Aber der Ausguck hüpfte brüllend herum, weil ihm etwas glühend Heißes ans Bein geflogen war.
„Abfallen!“ brüllte Campos zu seiner Schaluppe Nummer zwei hinüber. „Raus aus der Schußrichtung, ihr Idioten! Das sind Pfeile!“
Pfeile? Erst jetzt begriff der Schaluppenführer, was los war. Er wollte das Ruder packen und das Manöver nachvollziehen, das der Admiral gerade durchführte, aber er hatte nicht die geringste Chance, dadurch Pfeil vier zu entgehen.
Der nämlich surrte gerade von der Sehne des Eibenbogens. Dieses Mal handelte es sich um einen Brandpfeil. Er näherte sich mit hoher Geschwindigkeit und traf mit geradezu unheimlicher Präzision sein Ziel. Er schlug in den Großmast der Schaluppe zwei, blieb stecken und brachte das Holz zum Schwelen und Kokeln.
„Es brennt!“ schrie einer der Streithähne.
„Hilfe, ich bin verwundet!“ brüllte der Ausguck, der immer noch Schwierigkeiten mit seinem Bein hatte.
Aber jetzt raste schon wieder ein Pulverpfeil vom Heck der „Caribian Queen“ auf die Schaluppe zwei zu. Er stieß auf ihren achteren Bereich hinunter und explodierte genau neben dem Rudergänger.
Ein gellender Schrei wehte über die See. Die Explosion hieb den Kerl um. Augenblicklich lief die Schaluppe aus dem Ruder und schoß in den Wind. Ja, sie drehte nach Luv hoch, statt abzufallen, und das Geschrei und das Fluchen an Bord wollte nicht mehr aufhören.
„Ihr blöden Hunde!“ brüllte Campos zu ihnen hinüber. „Bringt euch in Sicherheit!“
Campos hatte beim Abfallen unterdessen halsen lassen und gab Fersengeld nach Osten. So entfernte er sich rasch wieder aus der gefährlichen Nähe des Zweideckers, die Pfeile konnten ihn nicht mehr erreichen.
„Pützen her!“ schrie er. „Wasser schöpfen! Schüttet es in den Laderaum! Beeilung! Wird’s bald?“
Allmählich kehrte die Disziplin an Bord zurück, und die Kerle führten seine Befehle aus. Es zischte im Laderaum, als das Wasser in das entstandene Feuer klatschte. Ein scharfer, beißender Geruch breitete sich aus.
Auf der Schaluppe zwei herrschte unterdessen nach wie vor schlimmster Zustand. Keiner wußte, was er tun sollte. Das Schicksal, das den Rudergänger getroffen hatte, setzte den anderen zu, so hartgesotten sie auch waren. Er war schwer verletzt und wälzte sich in seinem Blut. Seine Schreie waren furchtbar. Der Schaluppenführer versuchte, etwas für ihn zu tun, aber er sah, daß jede Hilfe zu spät kam.
Der Ausguck war im Bug zusammengesunken und hielt sich das schmerzende Bein.
„Santa Madre de Dios“, murmelte er. „Heilige Mutter Gottes – jetzt kommen sie.“ Er blickte zur „Caribian Queen“, und seine Augen weiteren sich in namenlosem Entsetzen.
Hasard stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Achterdeck der „Caribian Queen“, nicht weit von Shane und Batuti entfernt. Dieses Mal sparte er nicht mit lobenden Worten, denn die beiden Teufelskerle stellten wirklich unter Beweis, daß sie ihr Metier verstanden. Keiner konnte mit diesem Bogen besser umgehen als sie, und keiner vermochte so viele Treffer zu erzielen. Alle Pfeile saßen im Ziel – eine erstaunliche Leistung.
Sofort erfaßte Hasard die Situation, als die eine Schaluppe abfiel und die andere in den Wind schoß. Er fuhr herum, mit dem Blick suchte er Siri-Tong. Sie stand am Steuerbordschanzkleid und sah zu ihm.
„Achtung!“ rief er ihr zu. „Die Lage solltest du jetzt nutzen!“
Auch sie hatte begriffen. „Anluven!“ rief sie. „Barba! Ruder legen, wir drehen nach Norden hoch!“
„Aye, Sir!“ stieß Barba grimmig hervor. „Sofort, Madam!“
Dann drehte sich der Bugspriet der „Caribian Queen“ nach Norden, und mit einem raschen, behenden Überstag-Manöver ging sie durch den Wind und segelte hart am Wind über Steuerbordbug an die Schaluppe Nummer zwei heran, auf der immer noch alles drunter und drüber ging.
„Klar zum Gefecht!“ rief Siri-Tong.
Längst waren die Geschütze wieder ausgerannt, und die Männer standen an den Kupferbecken mit den Luntenstöcken in den Händen bereit. Sie entfachten die Enden der Zündschnüre, blickten zu Siri-Tong und warteten ihren Befehl ab.
Der ertönte jetzt, denn der Zweidecker war nahe genug an die Schaluppe herangesegelt.
„Feuer frei!“ schrie Siri-Tong – und schon senkten sich die glimmenden Lunten auf die Bodenstücke der Kanonen.
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