„Moment!“ sagte El Gordo hinter seinem Rücken. „Ganz so ein blöder Hund ist der Ire nun auch wieder nicht. Das mit den Pfeilen ging nicht mit rechten Dingen zu. Die Chinesenhure hat einen Hexenmeister an Bord. Wie sonst könnte ein Pfeil derart weit fliegen und auch noch explodieren? Brandpfeile explodieren nicht.“
„Das stimmt“, sagte der Kreole. „Die brennen nur.“
„Vielleicht waren die Schäfte der Pfeile mit Pulver gefüllt“, sagte einer, den sie nur Cimarron nannten. „Das heißt, sie mußten vorher ausgehöhlt werden. Ja, so könnte es gewesen sein.“
Aber auf ihn hörte niemand. Die Kerle waren mehr oder weniger davon überzeugt, daß „was Übersinnliches“ und ein „Teufelsspuk“ mit im Spiel gewesen wären.
Auch Campos war die Reichweite des Bogenschusses nicht geheuer, denn die hätte er nie und nimmer für möglich gehalten. Dennoch stand für ihn fest, daß der Ire geschlafen hatte. Er trat mit dem Fuß nach ihm und schwang das Messer drohend in der Luft.
„Nein!“ schrie der Ire.
„Laß ihn in Ruhe, Admiral“, sagte El Gordo. „Alles hat er verdient, nur das nicht.“
Campos fuhr zu ihm herum. „Halt du dich raus, verstanden?“
„Warum sollte ich?“ fragte El Gordo.
Der Kreole fragte: „Wieso kann unsereins hier nicht mal seine Meinung sagen?“
„Der ganze Dreck wäre auch passiert, wenn der Ire aufmerksamer gewesen wäre“, sagte einer der Kerle.
Der Ire witterte eine Chance. Er richtete sich jetzt doch wieder auf, hielt sich am Vormast fest und atmete ein paarmal tief durch. Nein, er gab sich noch nicht geschlagen! Diesem aufgeblasenen Hurensohn Campos mußte einmal gründlich der Marsch geblasen werden.
„Warum muß es denn immer an uns liegen?“ stieß er hervor. „He? Sollen wir immer die Schuld haben? Nur wir? Du nicht?“
Campos drehte sich langsam wieder zu ihm um. „Sprichst du mit mir?“
„Ja.“
„Weißt du, was du bist? Ein renitentes Schwein. Was du hier anzettelst, ist Meuterei“, sagte Campos. „Dafür hänge ich dich auf.“
„Kritik kannst du wohl nicht vertragen“, sagte El Gordo.
„Willst du neben ihm baumeln?“ fragte Campos, ohne den Kopf zu wenden und den Blick von dem Iren zu nehmen.
El Gordo lachte glucksend. „Das dürfte schwierig werden. Ich bin zu schwer. Ich fall’ überall runter, von Rahen, Gaffeln und Baumästen.“
Die anderen lachten ebenfalls. Der Ire, durch die unerwartete Rückendeckung seiner Kumpane wieder mutig geworden, schrie Campos entgegen: „Die Chinesenhure und ihre Bande sind zu stark! Die sind ein paar Nummern zu groß für uns! Das sind ganz ausgekochte Kämpfer, denen man besser aus dem Wege geht!“
„Hast du die Hosen voll?“ brüllte Campos. „Wie voll? Bis zum Gürtel? Ja, das merke ich. Du stinkst! Vor Angst!“
„Dann stinken wir alle“, sagte El Gordo. „Denn keiner von uns hat vor, sich noch mal mit dem Weib anzulegen.“
„Lieber hauen wir ab“, sagte der Kreole.
„Bevor wir alle krepieren“, fügte Cimarron hinzu.
Luis Campos ruckte bei diesen Worten zusammen. Was er bereits geahnt hatte, trat jetzt ein. Sie waren sich einig und lehnten sich gegen ihn auf. Das war tatsächlich Meuterei, die er im Keim ersticken mußte. Er mußte um jeden Preis seine Autorität wahren, sonst war er verloren. Sie würden ihn über Bord werfen und selbst das Kommando übernehmen.
Campos wich einen Schritt zurück, drehte halb den Kopf und richtete den Zeigefinger seiner freien Hand auf El Gordo.
„Vorsicht“, warnte er ihn. „Du spielst mit deinem Leben. Ihr anderen auch. Seid ihr denn alle des Teufels, euch so aufzuführen?“
„Nein“, erwiderte El Gordo. „Wir haben bloß die Schnauze voll, nicht nur die Hosen.“
„Sieh mal an“, sagte der Admiral höhnisch. „Aber zu Anfang, als alles noch so leicht aussah, wart ihr mit Feuer und Flamme dabei.“
„Ja, stimmt“, sagte der Kreole. „Aber jetzt nicht mehr.“
„Und doch werden wir wieder angreifen“, sagte Campos. „So schnell gebe ich eine Beute nicht auf.“
„Ohne uns!“ schrie der Ire.
„Zur Hölle mit der Chinesenhure“, sagte El Gordo.
Den Kerlen waren inzwischen auch klar geworden, daß ihr Admiral nicht nur auf den Zweidecker, sondern insbesondere auf das teuflische Weib mit den schwarzen Haaren scharf war. Zwar würde er das Weib dann auch ihnen – dessen waren sie ziemlich sicher – zum Zeitvertreib überlassen, wenn er erst einmal mit ihr fertig war und es tüchtig mit ihr getrieben hatte. Doch bei der Alternative Zeitvertreib oder sehr schneller Tod zogen sie es doch vor, einem recht langen Leben den Vorrang zu geben.
„Der Preis ist zu hoch“, sagte Cimarron. „Wir können auf das Weib verzichten.“
„Ich nicht“, sagte Campos. Er wunderte sich selbst darüber, wie ruhig er in diesem Moment war. „Ich will sie haben. Sie gehört mir.“
„Das ist doch Quatsch“, sagte El Gordo.
„Ich höre jedes Wort, das du sagst“, erwiderte der Admiral. „Und ich merke mir alles, verlaß dich drauf.“
„Ohne uns!“ schrie der Ire noch einmal. „Wir segeln nach Tortuga zurück!“
„Kein Zeitvertreib mit einem noch so rassigen Weib ist es wert, dafür Kopf und Kragen zu riskieren“, sagte der Kreole. „Das ist hier die allgemeine Ansicht, Admiral, will dir das nicht in den Kopf?“
„Gib es auf!“ brüllte der Ire. „Wir sind in der Mehrheit!“
In diesem Augenblick reagierte Campos. Er duckte sich nur etwas, seine rechte Hand bewegte sich blitzschnell, und das Messer flirrte durch die Luft. Der Ire hatte es erwartet, glaubte aber, darauf vorbereitet zu sein. Er versuchte, noch rechtzeitig genug auszuweichen. Aber die Klinge war schneller. Sie traf ihn in die Brust, und er sank mit einem ungläubigen Ausdruck im Gesicht auf den Planken in sich zusammen.
„Zieht ihm das Messer raus“, sagte der Kreole. „Schnell!“
Campos griff nach seinem Säbel, riß ihn heraus und fuhr zu der Crew herum.
„Zu spät!“ schrie er. „Der ist bereits in der Hölle!“
Erst jetzt sahen die Kerle, daß der Ire tot war. Seine gebrochenen Augen waren blicklos in den Himmel gerichtet.
Der Admiral ließ den Säbel durch die Luft pfeifen.
„Nun los doch!“ sagte er. „Gordo als erster. Du hast doch so ein großes Maul, nicht wahr?“
El Gordo schluckte, sein Blick war wie hypnotisiert auf den toten Iren gerichtet. Daß Luis Campos soweit gehen würde – damit hatte er nicht gerechnet.
„Ich habe dir was befohlen!“ sagte Campos scharf.
El Gordo bewegte abwehrend die Hände. „Schon gut, Admiral. Das eben – war nicht so gemeint.“
„Nicht? Sondern wie?“
„Wir sind nur ein bißchen erschrocken“, sagte der dicke Mann.
„Ach? Und ihr wollt nach Tortuga zurücksegeln?“
„Warum geben wir’s ihm nicht?“ stieß der Kreole hervor. „Gemeinsam sind wir eine Macht, er kann nichts gegen uns ausrichten.“
Der Admiral stand unvermittelt neben El Gordo, und die Säbelklinge zischte durch die Luft. Der Kreole hatte plötzlich einen blutigen Strich auf der nackten Brust.
„Willst du es mit mir aufnehmen?“ fragte Campos. „Dann los! Wir können anfangen!“
Der Kreole wich zurück. „Ich – ich habe das nur spaßig gemeint.“
„Eine merkwürdige Art von Humor hast du“, höhnte der Admiral. Er wußte bereits, daß er wieder Herr der Situation war. „Du nimmst also alles zurück und behauptest das Gegenteil. Wolltest du das sagen?“
„J-ja.“
„Und du, Gordo?“
„Ich auch“, erwiderte El Gordo hastig.
Cimarron und die anderen riefen: „Wir ebenfalls!“
„Um so besser“, sagte der Admiral im Tonfall größter Genugtuung. „Dann sind wir uns ja wieder mal einig. Ich hatte keinen Zweifel, daß es so sein würde. Los jetzt, auf eure Posten! Wir haben schon genug Zeit verloren. Wir gehen wieder auf Gegenkurs!“
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