Zu spät, viel zu spät reagierten die Kerle an Bord des Zweimasters. Sie schrien noch auf, gestikulierten und stürzten an die Waffen, aber der Beschuß war vernichtend.
Als erstes gerieten sie in das Drehbassenfeuer der Backbordseite des Zweideckers. Die Kugeln rasten über die Piraten hinweg, zerhackten das Rigg und rissen das Großsegel mitsamt der Gaffel nach unten. Da war es vorbei mit der Wendigkeit und Schnelligkeit der Schaluppe, sie konnte ihrem Gegner nicht mehr entwischen.
Mit den schweren Stücken der „Caribian Queen“, die jetzt dröhnend ihre Ladungen entließen, war das Schicksal der Schaluppe und ihrer Besatzung endgültig besiegelt. Es krachte und donnerte, knackte und splitterte, und Trümmerteile wirbelten durch die Luft. Ein einziger gellender Schrei ertönte noch.
Pater David blickte zu den Gestalten, die wie Puppen durch die Luft flogen und im Wasser landeten. Er bekreuzigte sich und sagte: „Gott sei ihren armen Seelen gnädig. Herr, vergib ihnen, denn sie wußten nicht, was sie taten.“
Das Grollen des Donners verebbte, Stille trat ein. Zerschossen ging die Schaluppe auf Tiefe. Nur wenige Atemzüge dauerte es, dann war sie verschwunden.
„Nun sinkt sie in Gottes tiefen Keller“, sagte Pater David. „Und dort finden diese Männer endlich ihre Ruhe.“
Mulligan stand neben ihm. „Ob das wohl jemals aufhören wird, Pater? Daß man sich gegenseitig an die Gurgel geht, meine ich.“
„Es liegt in der Natur des Menschen.“ Der Gottesmann war ein nüchterner und klarer Denker, der den Tatsachen ins Auge sah und die Realitäten nahm, wie sie waren.
„Auge um Auge, Zahn um Zahn, so steht es in der Bibel, nicht wahr?“ sagte Mulligan. „Aber man soll auch dem, der einen schlägt, die andere Wange hinhalten. Wie paßt das zusammen? Nein, das geht doch nicht. Das wird nie funktionieren.“ Er blickte zu der Schaluppe des Admirals, die inzwischen nur noch ein Punkt an der östlichen Kimm war. „Lieber wäre mir gewesen, wir hätten die andere Schaluppe erwischt. Auf der befindet sich nämlich dieser Kerl, dieser Hund von einem Admiral. Der verheizt seine Männer, und es ist ihm völlig egal. Aber wie lange sie noch mitmachen, weiß ich nicht.“
„Du glaubst, seine Crew könnte gegen ihn meutern?“ fragte Baxter.
„Ja.“
„Das würde unser kleines Problem ganz von allein lösen“, meinte Pater David.
Inzwischen hatten die Männer der drei Crews aufgeatmet, und auch die Rote Korsarin und Araua zeigten erleichterte Mienen. Die Bedrohung durch die Zweimastschaluppen hatte sich zu einer permanenten Gefahr auszuweiten gedroht, aber jetzt schien sie vorläufig gebannt zu sein. Der Admiral hatte zwei von seinen ursprünglich drei Schiffen verloren – wenn er jetzt noch einmal einen Angriff wagte, mußte er wirklich den Verstand verloren haben.
„Eins steht fest“, sagte der Seewolf lächelnd, als sich Shane und der Gambia-Mann zu ihm umwandten. „Deine Idee hat eine glänzende Feuerprobe bestanden, Shane.“
„Danke. Na ja, so toll war’s nun auch wieder nicht. Vielleicht kann man an der Methode auch noch einiges verbessern“, sagte der graubärtige Riese bescheiden und auch ein bißchen verlegen.
„Jetzt hat auch der Admiral die Hosen voll“, sagte Batuti. „Und wir sind ihn los.“
„Nicht zu früh triumphieren“, warnte Hasard. „Es sind immer noch alle Möglichkeiten offen, vergeßt das nicht, und man darf nie etwas ausschließen.“
„Ja, sollte uns denn eine einzige Schaluppe noch Kopfzerbrechen bereiten?“ rief Juan.
„Möglich wäre es“, erwiderte Siri-Tong. „Aber das lassen wir auf uns zukommen. Im übrigen sollten wir uns die Sache mit dem Bogen für künftige Fälle merken. Es ist wirklich gut, daß dir das eingefallen ist, Shane.“
„Ja, ja“, sagte der und wurde noch etwas verlegener. „Aber es hätte nicht so gut geklappt, wenn Al nicht auf die Sache mit der Bleibeschwerung hingewiesen hätte.“
„Natürlich, ein Lob steht auch unserem Al zu“, sagte Hasard. „Die Pfeile waren vorn ballistisch hervorragend getrimmt, das habe auch ich gesehen.“
„Es war mein Einfall, aber Shane hat das Blei drauf genagelt“, sagte Al.
„Mann, ihr seid alle ganz schön bescheiden“, sagte Dan O’Flynn, der inzwischen längst wieder an Deck war. „Aber wie ist das, wollen wir unseren Sieg nicht gebührend feiern? Hab’ ich vorhin nicht was von einer Extraration Rum gehört? Oder täusche ich mich?“
„Her mit dem Rum!“ rief die Rote Korsarin – und vorn, in der Kombüse, waren Gerumpel und ein paar saftige Flüche zu vernehmen. Schließlich stolperte Cookie ins Freie und sagte: „Verdammt noch mal, Mac hat mir schon wieder auf die Füße getreten.“ Die Flasche Rum und einige Mucks hatte er aber dabei.
„Mit Absicht?“ fragte Jeff Bowie grinsend.
„Nein, mit voller Wucht.“
„Die Kombüse ist zu voll“, sagte Carberry. „Das habe ich vorhin schon festgestellt. Aber auf mich hört ja keiner.“
„Fangt jetzt nicht wieder damit an!“ rief die Rote Korsarin. „Ich will von der Kombüse nichts mehr hören, verstanden?“
„Aye, aye“, brummelten die Männer – und dann wurde der Rum ausgeteilt, und sie stießen lachend miteinander an.
„Eins kommt bei der Geschichte mit dem Langbogen noch hinzu“, sagte Jean Ribault auf dem Achterdeck. „Bei Pfeil und Bogen ist die Schußfolge natürlich erheblich schneller als bei den Feuerwaffen. Das hat sich deutlich ausgewirkt.“
„Ja“, pflichtete Hasard ihm bei. „Bei unseren Kanonen und Musketen haben wir das umständliche Auswischen und Nachladen, das viel zuviel Zeit erfordert. Es gibt zwar Waffen wie den Radschloß-Drehling und den Schnapphahn-Revolverstutzen, aber die sind auch noch nicht der Weisheit letzter Schluß.“
„Am besten sind da noch die Drehbassen“, sagte Al Conroy. „Weil sie hinten geöffnet werden, ist man mit dem Nachladen etwas schneller fertig.“
„Aber auch das Will gelernt sein“, sagte Siri-Tong. „Eine ungeschickte Ladenummer kann da sehr viel verpatzen.“
„Ob das Problem eines Tages wohl noch mal gelöst wird?“ fragte Karl von Hutten, der gerade zu ihnen getreten war.
„Mit Sicherheit“, erwiderte Ribault. „Aber das wird wohl noch ein paar Jahrzehnte dauern.“
„Jahrhunderte“, sagte Hasard. Er hatte seine Muck geleert und warf wieder einen prüfenden Blick zur östlichen Kimm. „Aber darüber sollten wir uns jetzt keine Gedanken machen. Der Admiral ist verschwunden. Wir können unsere Reise fortsetzen.“
„Sollte der Narr wirklich noch mal auftauchen, kriegt er einen Pfeil in den Achtersteven“, sagte Shane. „Sollte er wirklich so dumm sein, kommt er nicht mehr mit heiler Haut davon.“
„Laßt uns in Ruhe abwarten, was weiter geschieht“, sagte die Rote Korsarin.
Jean Ribault mußte unwillkürlich grinsen. „Ich sage, daß er doch ein hartnäckiger Verehrer ist, dieser Admiral. Er ist vernarrt in dich.“
„Ich bin entzückt!“
„Ich meine, er steigt vielleicht doch noch an Bord und versucht, dich zu verführen“, fuhr Ribault unbeirrt fort. „Was tust du dann?“
„Ja, was tue ich dann wohl?“
„Nimm mal an, er bedroht dich mit einer Pistole oder so.“
„Das heizt mal wieder deine schmutzige Phantasie an, was?“ stieß sie aufgebracht hervor. „Aber das sieht dir ähnlich. Hör bloß auf, mich damit anzuöden. Ich finde das kaum noch lustig.“
„Aber, Madam!“ rief Barba mit seiner dröhnenden Baßstimme. „Wir würden dich doch verteidigen – alle Mann!“
„Zur Hölle mit dem Admiral“, sagte Siri-Tong und übersah Hasards Lächeln. „An die Arbeit jetzt! Alle Mann auf ihre Posten! Wir gehen wieder auf Kurs Südsüdwest!“
Kurze Zeit darauf lag die „Caribian Queen“ wieder auf ihrem alten Kurs und pflügte bei anhaltendem Wind aus Nordosten die See. Die Männer verrichteten ihren normalen Decksdienst und stellten dabei die unterschiedlichsten Überlegungen an.
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