Die Haare wuchsen ihm nicht nur auf dem Schädel und am Kinn, sie sprossen ihm auch aus den Ohren und aus der Nase. Seine grauenhaften Finger waren ebenfalls von schwarzen Haaren übersät, so daß man das Gefühl hatte, eine Vogelspinne krieche auf einen zu, wenn er sich bewegte.
Aus allen diesen Gründen schlief Muddi stets allein, irgendwo an Deck. Das war auch damals, zu den Zeiten des „Roter Drache“, schon so gewesen. Weiterhin hatte die Crew der Roten Korsarin einen alten Brauch bewahrt, der von Zeit zu Zeit wie ein Ritual wiederholt wurde: Dann griff man sich diesen Dreckspatz Muddi und warf ihn unter allgemeinem Johlen und Pfeifen ins Wasser, und zwar in die See. Er durfte am Tau zappeln, und alles Fluchen und Flehen nutzte ihm nichts – er wurde gewaschen. Man zerrte ihn wieder an Deck und schrubbte ihn kräftig ab, bis er sauber war und nicht mehr stank.
Aber das hielt immer nur kurze Zeit vor. Muddi fühlte sich nur im Dreck wohl, die Körperpflege war nichts für ihn, und er hielt es mit den Leuten des Mittelalters. Seinerzeit, so hatte er vernommen, war das Waschen und Baden verboten gewesen – wegen der Wasservergeudung. Das, so fand er, war ein sehr vernünftiges Gesetz gewesen.
So stand Muddi also nun im Hauptmars und verschonte die Mannschaften vor seinen unangenehmen Düften. Mal kratzte er sich geschäftig, mal bohrte er in der Nase oder in den Ohren, aber nie vergaß er, durchs Spektiv zu blicken und die Kimm zu beobachten.
Er hatte fast immer schlechte Laune, klaute gelegentlich schon mal, soff gern und hatte es auf der Lunge. Aber die Gründe, warum Siri-Tong ihn in ihrer Crew behielt, waren eben doch mannigfach. Er war ein ausgezeichneter, erfahrener Seemann, der immer seinen Dienst versah, wie es sich gehörte. Zudem war er ein harter und mutiger Kämpfer und – trotz all seiner Fehler – ein Kerl, mit dem man durch dick und dünn gehen konnte.
Am späten Nachmittag unterbrach Muddi seine Kratz- und Bohrtätigkeit, weil er etwas entdeckte, was seine Aufmerksamkeit erregte.
„Hoppla“, brummelte er. „Da sind ja Mastspitzen. Soll der Teufel mich holen – das sieht mir ganz nach diesem Admiral aus.“ Er kniff das Auge, mit dem er durch das Rohr spähte, noch ein bißchen zusammen, dann war er sich seiner Sache sicher.
Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und beugte sich über die Umrandung des Marses.
„Deck!“ brüllte er. „Mastspitzen achteraus! Es ist die letzte der drei verdammten Schaluppen!“
„Gut, Muddi!“ rief die Rote Korsarin. „Behalte ihn auch weiterhin im Auge!“
„Aye, Madam!“
„Also, das ist ja wohl der dickste Hund, den es je gab“, sagte Big Old Shane. „Ist der Bastard schon wieder da?“
Sie blickten mit dem Kieker nach achtern, und Jean Ribault konnte seinen Mund wieder einmal nicht halten.
„Da haben wir ihn ja, deinen liebestollen Admiral“, sagte er zu Siri-Tong. „Findest du das nicht rührend? Daß er so anhänglich ist, meine ich?“
Sie ließ das Spektiv sinken und sah ihn aus zornfunkelnden Augen an. „Fängst du schon wieder damit an?“
„Stell dir mal vor, er hätte dich bei dem Bad beobachtet, das du in dem Lagunensee der Insel von Grand Cay genommen hast“, sagte Ribault. „Ich glaube, da wäre er völlig übergeschnappt.“ Er spielte auf die List an, mit der es ihr gelungen war, die wilden Kerle der „Lady Anne“ anzulocken und zu überwältigen. Diese Begebenheit lag jetzt schon über einen Monat zurück, aber sie alle mußten immer wieder daran denken – nicht nur wegen Siri-Tongs Nacktbad.
„Mister Ribault“, sagte sie scharf. „Jetzt ist aber Schluß! Ich dulde keine Respektlosigkeiten auf meinem Schiff. Hör endlich auf, oder es gibt wirklich Ärger.“
„Aua“, sagte er. „Da bin ich wohl doch zu vorlaut gewesen. Ich bitte um Verzeihung.“
„Schon gut.“ Sie spähte wieder zu der Zweimastschaluppe, die inzwischen bereits mit dem bloßen Auge gut zu erkennen war.
„Dieser Affenarsch von Admiral!“ wetterte auf dem Hauptdeck Carberry. Er stand am Schanzkleid und sah wütend achteraus. „Hat der denn immer noch nicht die Schnauze voll?“
„Offenbar nicht“, sagte Dan O’Flynn. „Sonst hätte er kapituliert. Das sagt einem doch der logische Verstand, nicht wahr, Ed?“
„Fang du jetzt nicht mit deinen schlauen Sprüchen an.“
„Er hat einen weg“, sagte Matt Davies.
„Wer? Ich?“ Der Profos drehte sich um und fixierte ihn drohend. „Paß bloß auf, was du sagst, Mister Davies, sonst stopfe ich dir dein Maul mit ein paar Belegnägeln.“
„Ich meine den Admiral“, sagte Matt seelenruhig. „Ihm muß doch aufgegangen sein, daß sich seine Chancen, uns zu entern, noch mehr vermindert haben, seit die andere Schaluppe versenkt worden ist. Ist der lebensmüde?“
„Ein Verrückter, der gefährlich ist“, sagte der Seewolf, der bisher die Zweimastschaluppe nur schweigend, durch den Kieker betrachtet hatte. Mehr äußerte er nicht, aber auch ihm war klar, daß dieser Luis Campos, der sich selbst den Admiralsrang verliehen hatte, es tatsächlich auf Siri-Tong abgesehen hatte.
Jean Ribault, von dem ihm die Szene in der „Schildkröte“ auf Tortuga erzählt worden war, hatte verächtlich gemeint, der Admiral wäre weiter nichts als ein Weiberheld, der sich einbildete, ein großer Verführer zu sein und alle Frauenherzen zum Schmelzen zu bringen. Das mochte stimmen, aber dann gehörte er nach Hasards Meinung zu jenen Typen unter den Weiberhelden, die tückisch wurden, wenn sie eine Abfuhr erhielten – tückisch und gewalttätig.
Für sich allein waren solche Kerle schon übel genug, aber wenn sie dann auch noch einen Haufen von Schnapphähnen um sich versammelt hatten, war noch mehr Vorsicht geboten, zumal sie auch rücksichtslos genug waren, zur Erreichung ihres Zieles ihre Kumpane zu verheizen. Das zeichnete sich hier deutlich ab. Der Admiral handelte wie ein blindwütiger Fanatiker und trieb seine Kerle in den Tod.
Fragt sich nur, dachte Hasard, wieweit diese letzten Kerle mit ihrem Admiral mitziehen und bei der Stange bleiben.
„An sich müßten sie doch abgeschreckt sein“, sagte Siri-Tong. „Ich meine die Kerle. Schön, dieser Admiral hat sich in seine Idee verrannt und will sich an uns rächen, aber warum machen seine Kerle nach so vielen Verlusten noch mit?“
„Das spricht auch für sich“, erwiderte der Seewolf. „Daß sie wieder achteraus herumhängen, deutet ganz klar darauf hin, daß der Admiral sie fest im Griff hat.“
„Hast du einen Vorschlag?“ fragte sie erbittert.
„Es gibt drei Möglichkeiten“, entgegnete er. „Die erste: Wir halten es wie in der vergangenen Nacht, verlassen uns auf unsere guten Ausgucks und eröffnen das Feuer, sobald wir die Schaluppe entdecken, wenn sie zum Entern aufschließt.“
„Und die zweite? Eine List, oder?“
„Ja. Wir tun so, als hätten wir sie nicht entdeckt.“
„Und dann lassen wir sie längsseits gehen“, murmelte die Rote Korsarin.
„Wir fallen erst über sie her, wenn sie an Bord entern“, fuhr Hasard fort. „Blindwütig, wie er ist, geht der Admiral mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit in diese Falle. Eine dritte und letzte Möglichkeit wäre, ihn auf andere Weise zu täuschen.“
„Wir ändern unseren Kurs, das meinst du doch, nicht wahr?“
„Ja“, erwiderte Hasard. Die anderen hatten sich um sie versammelt und hörten aufmerksam zu, während sie sprachen. „Wir gehen sofort bei Dunkelheit etwa auf Nordkurs, wenn sie also noch nicht weit genug aufgeschlossen haben. Wir schlagen einen Bogen über Osten und setzen uns dann in ihr Kielwasser.“
Sie lächelte plötzlich hart. „Sehr gut. Dann haben wir sie vor uns und befinden uns somit in der Luvposition.“
„Aus der heraus wir zuschlagen können“, sagte Jean Ribault. „Sobald wir sie wieder sichten.“
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