„Nun übertreibe mal nicht“, sagte Ben Brighton. „So edel sind wir nun auch wieder nicht, und vor allem nicht hochwohlgeboren.“
„Gott bewahre uns davor“, sagte der Franzose. Und so dachten auch die anderen, denn gerade mit den „Durchlauchten“ und „Hochwohlgeborenen“ hatten sie auch zuletzt wieder die übelsten Erfahrungen gemacht.
„Aber der Vergleich trifft in gewissem Sinne schon zu“, sagte der Seewolf. „Wobei das Ärgerliche für uns darin besteht, daß wir keine Initiative ergreifen können. Wenn wir auf unsere Verfolger zudrehen, weichen die uns fast lässig aus.“
„Leider“, sagte die Rote Korsarin. „Aber daran muß sich was ändern. So kann das nicht weitergehen.“
Die Lage zehrte erheblich an ihren Nerven, denn hier war die Situation einmal völlig umgekehrt. Sonst waren es die Schiffe des Bundes der Korsaren, die wie Kletten an Geleitzügen oder Einzelfahrern hingen, bereit, irgendwann in einem günstigen Moment zuzupacken und zu entern. Jetzt aber waren sie das Wild, das von zwei im Grunde völlig lächerlichen Schaluppen gejagt und verfolgt wurde.
Da waren auch die Männer der Crews aufgebracht, vor allem deshalb, weil ihnen die Hände gebunden waren. Wütend blickten sie zu den beiden Zweimastern und stießen Flüche aus.
„Dreck“, sagte der Profos. „Das gefällt mir gar nicht.“
„Mir vielleicht?“ sagte Blacky. „Wir können nichts, aber auch gar nichts gegen so einen Verfolger unternehmen, der schnell und wendig genug ist, auszukneifen, sobald wir versuchen, den Spieß umzudrehen.“
„Schöne Scheiße“, sagte Big Old Shane. „Wie lange wollen die uns noch zum Narren halten?“
Hasard trat zu ihm an die Schmuckbalustrade. Er blieb vorläufig noch gelassen und spöttelte: „Da seht ihr mal, wie das ist, wenn einem jemand auf der Pelle sitzt. Ist das nicht eine lehrreiche Erfahrung für uns, die besagt, nicht nervös zu werden und herumzuzappeln? Übt euch gefälligst in Geduld.“
„Das ist ein schöner Spruch“, sagte Shane grimmig. „Aber es liegt mir nicht, einfach rumzustehen und abzuwarten, was geschieht.“
„Dann laßt euch doch was einfallen, wie wir, den Kerlen die Suppe versalzen können“, sagte der Seewolf.
Carberry blickte zu ihm auf. „Fällt dir nichts ein, Sir?“ fragte er mißgelaunt.
„Warum immer ich?“ fragte Hasard zurück und grinste.
Die Stimmung sank allmählich auf den Nullpunkt. Das Frühstück, von den vier „Rattenköchen“, wie Carberry sie jetzt nannte, in aller Eile gezaubert, war vergessen, und auch die Mittagsmahlzeit konnte daran nichts mehr ändern. Alle dachten darüber nach, wie man den Admiral und dessen Meute von Kerlen am besten packen konnte. Es mußte doch einen Weg geben. Aber welchen?
Big Old Shane trat an das Backbordschanzkleid des Achterdecks, drehte sich um, lehnte sich dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ja, zum Donnerwetter noch mal“, sagte er grollend. „Das ist aber auch wirklich zu schade.“
„Was denn?“ fragte Ferris.
„Daß du deine Höllenflaschenabschußkanone nicht mit dabei hast.“
„Ach so.“ Der rothaarige Riese kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Ja, da hast du recht. Die Schleudermaschine hätten wir jetzt gut brauchen können. Aber ich kann sie mir ja schließlich auch schlecht unter den Arm klemmen, nicht?“
Wieder warf Shane einen Blick nach achtern. „Sehr witzig. Beim Wassermann und allen Teufeln der Hölle – warum gibt es keine Möglichkeit, mit diesen Hurensöhnen aufzuräumen?“
„Wie wär’s, wenn wir beidrehen und eine Jolle abfieren?“ fragte Roger Brighton.
„Und was willst du damit unternehmen?“ Sein Bruder sah ihn forschend an. „Die Kerle angreifen? Eine Jolle gegen zwei Schaluppen? Unsinn, das ist so ähnlich wie Selbstmord.“
„Und wenn Höllenflaschen an Bord der Jolle wären?“ fragte Roger hartnäckig. „Wäre das auch Unsinn?“
„Bestimmt nicht, aber ich muß die Dinger erst basteln“, sagte Ferris. „Das dauert ein bißchen.“
„Ich hab’ das Warten satt!“ rief Carberry vom Hauptdeck.
„Und ich das Nasebohren“, sagte Matt Davies.
„Ruhe!“ fuhr der Profos ihn an. „Hast du denn überhaupt keinen Benimm, du Prielwurm?“
„Mehr als du.“
Der Profos wollte ihm an den Kragen gehen, aber in diesem Moment trat Big Old Shane an den Niedergang, stemmte die Fäuste in die Seiten und rief: „Na schön! Wenn’s mit Höllenflaschen nicht geht, dann eben anders! Ich möchte ein anderes Experiment versuchen, Leute, wenn’s recht ist!“
„Was denn?“ rief Carberry, der Matt sofort wieder vergaß. „Und womit?“
„Mit meinem Bogen“, antwortete der graubärtige Riese schlicht.
„Donner“, sagte Carberry. „Das haut mal wieder dem Faß den Boden aus. Nichts gegen deinen Bogen und deine Pfeile, aber die Schaluppen sind viel zu weit entfernt, da kannst du nicht rüberlangen, und Batuti schafft das auch nicht.“
„Stimmt, Sir“, sagte der Gambia-Mann breit grinsend. Irgendwie fühlte er sich schon wieder wohler, denn er sah, wie sehr es Shane in den Fingern juckte. „Aber Shane hat was Sonderbares vor, schätze ich.“
„Was Besonderes“, korrigierte Gary Andrews.
„Hab’ ich doch gesagt“, brummte Batuti.
„Hört mal her“, sagte Shane. „Der Langbogen ist aus guter, solider englischer Eibe, wie ihr alle wißt. Die ist besonders biegsam.“
„Aber sie kann auch mal brechen“, meinte Hasard.
„Laß das meine Sorge sein“, sagte Shane. „Also, wenn wir den Bogen fixieren und justieren und ihn dann mit zwei Mann spannen, dann müßten wir weiter als sonst schießen. Ich bin fest davon überzeugt, daß es klappt.“
„Dann los!“ brüllte Carberry. „Nichts wie ran, du altes Walroß!“
„Batuti und ich schaffen normalerweise an die fünfhundert, fünfhundertzwanzig Yards“, erklärte Shane. „Das ist schon eine ganze Menge. Ich will uns nicht selber loben, aber es gehört Kraft dazu, so einen Pfeil so weit zu schießen.“
„Es hat schon zu Zeiten der ‚Golden Hind‘ Kerle gegeben, die fünfhundertsechzig Yards weit geschossen haben“, sagte der Seewolf seelenruhig. „Das ist sogar in den Chroniken festgehalten. Also, mein Alter, du brauchst dich gar nicht so zu brüsten.“
Shanes Augen verengten sich etwas. Er fixierte Hasard. „Sag mal, hast du vor, dich heute mit uns anzulegen?“
„Nein, ich bin nur neugierig, wie du die Schaluppen des Admirals treffen willst.“
„Aye, Sir. Wir schießen also mit zwei Mann, wie ich schon sagte. Außerdem sollten wir gleichzeitig unauffällig Schoten und Brassen schricken, dann verlangsamt sich die Fahrt unserer ‚Queen‘, und die Kerle segeln zunächst mal dichter auf, was den Abstand zwischen uns logischerweise für eine bestimmte Zeit verkürzt.“
„Bis sie’s merken“, sagte Ben trocken.
„Ja, stimmt“, sagte Jean Ribault. „Und genau in dieser Zeit müssen unsere Schützen feuern.“
„Eine feine Sache“, sagte der Seewolf. „Nur braucht ihr dazu längere Pfeile, wenn ich nicht irre.“
Jetzt war es an Shane, seinen Kapitän anzugrinsen. „Bevor ich längere Pfeile schnitze, kann ich auch die Sehne straffer spannen.“
„Ätsch“, sagte Barba und lachte. „Das war gut gebrüllt, Löwe.“
„Nur zu“, sagte Hasard. „Wir freuen uns über jede Initiative.“
„Damit wir diesen Bastard so schnell wie möglich wieder loswerden“, sagte die Rote Korsarin. „Er bringt uns noch von unserem eigentlichen Ziel ab.“
Es waren genug Worte gewechselt worden, die Männer schritten zur Tat. Ferris Tucker und Al Conroy übernahmen den Part, den zwei Yards langen Bogen an der Heckbalustrade zu verankern. Sie versahen ihr Werk rasch und konzentriert und justierten die Waffe senkrecht. Dabei fingen sie die Bogenmitte in einem Querholz der Balustrade mit starken Sehnen ab, aber der Bogen hatte seitwärts und der Höhe nach noch Spielraum, damit man ihn entsprechend richten konnte.
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