Aus diesem Grund hatten Siri-Tong, Hasard und Jean Ribault auch veranlaßt, daß von nun an verschärft Ausguck gegangen wurde, denn noch war wirklich ungewiß, ob sie die Verfolger abgeschüttelt hatten oder ob diese einen zweiten Angriff wagen würden.
Alle Mann an Deck und Schiff klar zum Gefecht – das verlangte von den Männern mehr Energie und Einsatz, denn vorläufig gab es keine Freiwache. Um halb vier Uhr morgens ließ die Rote Korsarin eine Extraration Rum austeilen, die die drei Crews sich wirklich verdient hatten, und zwei Stunden später gab es Frühstück.
Allerdings ließen der von allen sehnsüchtig erwartete heiße Rum-Wasser-Trank und der Schiffszwieback auf sich warten. Carberry senkte bereits den Schädel und warf zornige Blicke zum Vordecksschott.
„Was zur Hölle ist da los?“ sagte er. „Pennen die Kerle?“ Seine Stimme klang dumpf und grollend. „Beim Donner, jetzt sind sie zu viert und stehen sich gegenseitig im Weg, was, wie?“
Barba hatte es vernommen und lachte. Siri-Tong war ebenfalls sichtlich amüsiert. Hasard und Jean Ribault grinsten sich zu, und auch die anderen Männer stießen sich untereinander an. Araua hockte bei den Zwillingen und fragte: „Gibt es jetzt ein Donnerwetter?“
„Kann schon sein“, erwiderte Hasard junior und unterdrückte ein Gähnen.
„Aber das ist nichts Besonderes für uns“, sagte Philip junior gelassen, beinah gelangweilt.
„Ich finde es interessant“, sagte Araua. „Mal sehen, was passiert.“
„Na los, Ed“, sagte der Seewolf von der Schmuckbalustrade des Achterdecks aus. „Sieh doch mal nach, was unsere Köche so treiben.“
„Aye, Sir“, brummte der Profos und marschierte los – quer über die Kuhl auf das Vordecksschott zu, hinter dem sich immer noch nichts zu rühren schien.
Der junge Tag zog unterdessen mit rötlichgrauen Schleiern herauf. Dan O’Flynn, Barry Winston, Hilo und Jack Finnegan, die nach wie vor Ausguck hielten, spähten unausgesetzt zur Kimm, aber noch blieb achteraus alles leer. Allein segelte die „Caribian Queen“ nach Süden, weit und breit schien sich kein anderes Schiff zu befinden. Das aber, so sollte sich bald herausstellen, war ein Irrtum.
Carberry drückte das Vordecksschott auf und betrat mit polternden Schritten die Kombüse der „Caribian Queen“. Was er sah, ließ ihn verharren, und sein Unterkiefer klappte langsam herunter.
„Hab’ ich’s doch geahnt“, murmelte er fassungslos. „Vier Köche auf diesem Kahn sind entschieden zuviel, außerdem verderben sie den Brei, und zwar gründlich.“
Mac Pellew lag auf dem Boden der Kombüse und schien irgendwelche Schwierigkeiten zu haben, denn er stieß pausenlos die schlimmsten Flüche aus. Der Kutscher bearbeitete wie ein Besessener die Anrichte, und zwar mit einem Scheuerlappen. Eric Winlow, der Koch aus der Crew von Jean Ribault, hantierte mit grimmiger Miene an den Ketten der Kupferkessel herum – und das Feuer war noch nicht angeheizt.
Und Cookie, der Koch der „Caribian Queen“? Nun, von dem war zur Zeit nur eine Körperpartie zu sehen, und zwar die achtere, denn er lag auf den Knien und fummelte keuchend in der Vorratskammer herum, in der es stockdunkel war.
Carberry knallte das Schott zu, aber das schien die vier nicht im geringsten zu beeindrucken. Mehr noch: Sie bemerkten seine Anwesenheit nicht. Sie waren viel zu beschäftigt. Und das war fatal – für sie und für ihn.
Nachdem der Profos sein größtes Staunen und Entsetzen überwunden hatte, schloß sich sein Mund wieder, und er gab ein drohendes Grollen von sich, das aber auch nicht weiter beachtet wurde. Dann räusperte er sich – ebenfalls ohne Erfolg.
Er kratzte sich angelegentlich am Kinn, was in etwa so klang, als marschiere eine Kolonne von Kakerlaken über ein knochentrockenes Stück Pergament, doch auch dieses gräßliche Geräusch wurde von den vier Männern nicht registriert. Mac lag immer noch auf den Planken, Cookie schien die Absicht zu haben, ganz in die Vorratskammer zu kriechen und dort zu bleiben. Der Kutscher schien die Anrichte zerreiben zu wollen, bis nichts mehr von ihr übrig war, und Winlow kämpfte gegen die Tücke des Objekts, denn einer der Kessel drohte ihm auf die Füße zu fallen, was bei ihm wiederum zu einer Serie von Verwünschungen führte, die sich mit Macs Flüchen mischten.
Carberrys Stimme klang sanft und leise, als er nun zu sprechen begann, und das war besonders gefährlich und hätte zumindest den Kutscher und Mac warnen müssen, weil sie ihn am besten kannten. Aber wieder kümmerten sich die vier nicht um den Profos – was dessen nur mühsam unterdrückte Wut wiederum zum Schwelen brachte.
„Darf ich mal was fragen?“
Keine Antwort. Mac sagte nur etwas undeutlich, weil er den Kopf gerade unter eine Sitzbank gesteckt hatte: „Ja, Herrgott, was ist denn das für ein Schweinkram hier?“
„Blöder Scheißkessel“, sagte Winlow. „Scheißkette. Alles Scheiße hier.“
„Ja, das stinkt zum Himmel“, sagte der Kutscher.
„Ich kann nichts dafür“, sagte Cookie mit weinerlicher Stimme. „Ehrlich nicht. Wir haben den Kahn doch so übernommen.“
„Halt die Luft an, du Arsch“, sagte Mac. „Bleib mir bloß weg mit deinen faulen Ausreden. Mann, so ein Miststall!“
Carberry grinste so freundlich wie ein hungriger Hai und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Ich will euch ja nicht stören, aber …“
„Das haben diese Piraten doch alles so vollgesaut!“ jammerte Cookie. „Die Black-Queen-Bande! Die haben die Schuld!“
„Ihr könntet wenigstens versuchen, mich nicht zu unterbrechen“, sagte Carberry und tat vorsichtig einen weiteren Schritt zur Mitte des Raumes.
„Noch ein Wort, und ich dreh’ dir den Hals um!“ stieß Mac aufgebracht hervor.
„Und die Kette hier!“ rief Winlow. „Wenn das keiner gesehen hätte! So ein Bruch!“
„Wie wär’s, wenn ihr jetzt das Frühstück zubereiten würdet?“ sagte der Profos. „Wäre das nicht eine gute Idee? Die Männer warten nämlich darauf. Ich auch.“
„Jetzt versteh’ ich alles“, sagte Mac. „Bill the Deadhead hat mir erzählt, daß sie ihn schon öfter mit dem Arsch auf den heißen Herd gesetzt haben. Diese Ratte!“
„Ist doch gar nicht wahr!“ schrie Cookie.
„Das kann man hier kaum noch als Herd bezeichnen“, brummte der Kutscher.
„Aber früher, an Bord von ‚Roter Drache‘, haben sie ihn auf den Herd gesetzt“, sagte Mac unbeirrt.
„Ach, so ist das“, murmelte Winlow. „Na ja, klar. Geschieht ihm recht. Hölle, ich hätte auch Lust, ihn …“
„Ich hätte Lust, euch die Haut in Streifen abzuziehen“, sagte Carberry mit honigsüßer Stimme. „Wißt ihr auch, von welcher edlen Stelle eures krummen Körpers?“
„He, was sagst du da, Eric?“ fragte der Kutscher.
„Ich hab’ nichts gesagt“, entgegnete Winlow.
„Ich habe gesprochen“, sagte Carberry, dann war er beim Kutscher und beugte sich ein Stück zu ihm hinunter.
Der Kutscher hob nur flüchtig den Kopf. „Ach, hallo! Morgen, Ed. Wie geht’s denn so?“
„Besser, wenn ich euch Miesmuscheln unangespitzt ins Kielschwein gerammt habe“, sagte Carberry.
„Los, Beeilung“, sagte der Kutscher. „Wir kommen sonst mit dem Frühstück zu spät, Leute.“
„Das merkst du jetzt schon?“ Carberry schritt weiter bis zu Cookie, griff nach dessen Arme und zerrte ihn zu sich hoch. Dabei starrte er ihn an, als wolle er ihn mit Haut und Haaren verschlingen. „Guten Morgen!“ brüllte er ihm ins Gesicht, und Cookies wenige Haare, die ohnehin nur die eine Seite des Schädels bedeckten, sträubten sich.
„Morgen, Mister Carberry, Sir“, stammelte Cookie, aber er dachte dabei: O Heiliger Nepomuk, jetzt sterbe ich, das überleb’ ich nicht.
„Was ist hier los?“ brüllte Carberry.
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