Lange Feuerlanzen stachen durch die morgendliche Dämmerung und tauchten das Schiff sekundenlang in grelles Licht. Der Zweidecker krängte leicht über.
Eine zweite wilde Erschütterung durchlief das Schiff, als auch die andere Breitseite losdonnerte.
Der Pulverqualm wurde vom Wind verweht und trieb als langgezogene Wolke über das Wasser.
Die Kanoniere rissen die Arme hoch und brüllten.
„Treffer!“ schrien sie freudig.
Die Schaluppe, die an Backbord aufgesegelt war, hatte es erwischt. Zwar nicht schlimm, aber der vordere Mast war zersplittert und in einem Trümmerregen über das Deck verstreut. Auch Fetzen von Segeln hingen noch herum. Die Schaluppe fiel augenblicklich zurück und lief aus dem Kurs.
„Den sind wir vorerst los“, sagte Hasard. „Bis der aufgeriggt hat, vergeht eine Weile, falls wir ihn überhaupt noch wiedersehen. Aber die andere hat es leider nicht erwischt. Kein Treffer erzielt.“
Schuld an dieser Misere waren die herrschenden Lichtverhältnisse, die auf der Steuerbordseite ein genaues Zielen verhinderten. Das hatte sich auf die Richtschützen Siri-Tongs ungünstig ausgewirkt, und so war die Breitseite wirkungslos in die See gerauscht.
Die Kerle auf der Schaluppe nahmen die Fehlschüsse zum Anlaß, in wildes Freudengeheul auszubrechen. Sie standen da und rissen die Arme hoch. Ein paar riefen obszöne Worte hinüber.
„Sie sollten lieber nicht zu früh das Maul aufreißen“, sagte Jean Ribault. „Offenbar vergessen sie, daß auch die untere Batterie feuerbereit ist. Und da stehen die schwereren Stücke.“
„Dann noch einmal“, sagte Siri-Tong. „Sonst setzen sie gleich die Drehbassen ein. Feuer frei für untere Batterie.“
Die Schaluppe war dicht herangestaffelt. Die Kerle lauerten an den Drehbassen und wollten feuern.
Doch die Männer der „Caribian Queen“ waren etwas schneller.
Der Zweidecker spie erneut Rauch und Feuer und hüllte sich in dichten Pulverqualm. Ein wildes Aufbrüllen ging über die See, Feuerzungen stachen heraus wie bei einem feuerspeienden Drachen, ein schwerer Eisenhagel donnerte aus den Rohren.
Die Entfernung betrug höchstens noch neunzig Yards, und diesmal erwischten die Richtkanoniere den Zweimaster.
Im Aufblitzen, im Rauch und Feuer schlug es auf der Schaluppe krachend und mit lautem Getöse ein. Da blieb nichts mehr heil, denn mindestens vier oder fünf Kugeln hatten das Schiff getroffen.
Die Schaluppe barst auseinander. Ihre beiden Masten gingen über Bord, die Verschanzung flog in einem Splitterregen nach allen Seiten, und ein paar Kugeln zerfetzten den Rumpf.
Auch ein paar Schnapphähne hatte es erwischt. Die Auftreffwucht hatte sie über Bord gefegt und in die See gewischt. Etliche waren auf der Stelle tot. Die anderen rannten in Panik und unter wildem Gebrüll von vorn nach achtern.
„Jetzt können die Affenärsche schwimmen“, sagte Smoky, „das hat gesessen. Denen wird der Kahn gleich unter dem Hintern absaufen, und dann sind wir sie los.“
Die ersten Kerle sprangen entnervt über Bord, als die Schaluppe hart zur Seite krängte und Wasser zog. Sie war nur noch ein einziger Trümmerhaufen. Im Wasser paddelten Kerle zwischen Holzstücken und Segeltuch und schrien sich die Kehlen heiser.
Der achtere Teil der Schaluppe versank im Wasser, der andere Teil schwamm noch, und daran klammerten sich ein paar Kerle fest, denen das nackte Entsetzen in den Gesichtern stand.
Dann soff auch der Rest ab. Ein paar Fässer stiegen hoch, Holzstücke schwammen herum. Im Meer hingen immer noch die Kerle, festgekrallt an das, was sie gerade noch erwischt hatten.
Siri-Tong nickte anerkennend. Sie sah der anderen Schaluppe nach, die den Mast verloren hatte. Die hing weit achteraus und konnte nicht mehr gefährlich werden. Die Kerle hatten alle Hände voll zu tun, um ihr Schiff zu klarieren, von dem immer noch Segelfetzen und Holztrümmer über Bord hingen und mitgeschleift wurden.
„Nur noch einer“, sagte sie, „und das ist dieser aufgeblasene Admiral, der hat sich nicht herangetraut. Der wird auch nicht mehr viel unternehmen.“
„Er steuert die Untergangsstelle an“, sagte Ribault. „Offenbar will er zuerst seine Kumpane aus dem Wasser fischen, denn jetzt ist er auf jeden Mann angewiesen.“
Sie sahen, wie die Schaluppe des Admirals aus dem Kurs ging und die Stelle ansteuerte, wo die Kerle brüllend im Wasser paddelten. Der Schreck saß ihnen noch in den Knochen. Ein paar konnten wohl auch nicht schwimmen oder fürchteten sich vor Haien.
Siri-Tong kriegte ganz schmale Augen.
„Wir sollten ganze Arbeit leisten“, sagte sie, „jetzt ist die Gelegenheit günstig, um auch mit dem Admiral abzurechnen.“
Hasard gab keinen Kommentar. Aus schmalen Augen blickte er auf die Szene, die sich auf der Steuerbordseite abspielte.
„Wir luven an“, entschied die Rote Korsarin, „und gehen der anderen Schaluppe an den Kragen.“
Der Admiral hatte jetzt die Untergangsstelle der Schaluppe erreicht, um die ersten Schwimmer aus dem Bach zu fischen. Als er sah, daß der düstere Zweidecker anluvte, drehte er ein wenig ab, als wolle er die Flucht antreten.
Doch dann feuerten plötzlich seine Drehbassen los und schickten einen Blei- und Eisenhagel zur „Caribian Queen“ hinüber. Auf dem Zweimaster zuckten Blitze auf, es donnerte laut, und ein paar Yards vor der „Caribian Queen“ schossen kleine Wassersäulen hoch.
Noch konnten die Kanonen nicht eingesetzt werden, und diese Gelegenheit nutzte der Admiral noch einmal aus. Wieder überschüttete er die See mit grobem Schrot.
Die Kerle im Wasser schrien noch lauter, denn sie hatten Angst, von umherirrenden Bleibrocken getroffen zu werden.
„Es hat keinen Zweck“, sagte Hasard, „der Kerl zieht sich schon wieder zurück. Er läßt uns nicht näher heran, er weiß, was ihm sonst blüht.“
„Vielleicht erwischen wir ihn doch noch“, meinte die Rote Korsarin mit zusammengepreßten Lippen. „Ich bin es leid, daß dieser Kerl bei uns ständig im Kielwasser mitsegelt.“
„Wir werden es vorerst nicht ändern können. Er hat nun mal das schnellere Schiff und ist wendiger als wir.“
Der Admiral zog sich tatsächlich zurück. Schnell und geschickt tat er das, als er dem großen Zweidecker auswich. Etwas später befand er sich schon wieder außerhalb der Reichweite der Geschütze.
„Dann nicht“, sagte Siri-Tong ärgerlich. „Allein kann er nichts ausrichten, obwohl ich es gerade diesem Kerl zu gern gezeigt hätte. Wir gehen wieder auf den alten Kurs zurück“, befahl sie dann.
Später, als sie wieder auf Kurs lagen, näherte sich die Schaluppe erneut den Trümmern im Wasser, und der Admiral fischte die Kerle aus dem Meer.
Es hat keinen Zweck, diesem flinken Gegner hinterherzujagen, dachte Siri-Tong. Das führte zu nichts, sie würden die Schaluppe nie kriegen.
Sie wollte abwarten. Vielleicht versuchte es der Admiral doch noch einmal, denn er war ein ehrgeiziger Halunke, der sehr nachtragend war und nicht so schnell aufgab …
ENDE
Barry Winston aus der Crew der Roten Korsarin stammte aus England und war über vierzig Jahre alt. Gut die Hälfte seines Lebens hatte er nicht in seiner Heimat zugebracht, sondern auf See und in fernen, fremden Ländern, in denen er gelernt hatte, wie verschiedenartig und gegensätzlich die Menschen in ihren Gewohnheiten, in ihrem Glauben und ihren Sitten waren. Er hatte Unglaubliches erlebt, und daher gab es kaum noch etwas, das ihn erschüttern konnte.
Eine Glatze hatte dieser Barry Winston, außerdem fehlte ihm das linke Ohr, doch nie hatte jemand gewagt, ihn deswegen aufzuziehen. Er war ein starker Mann. Jahrelang hatte er sich in der Karibik als Pirat durchgeschlagen, bis er zu Siri-Tong gestoßen war.
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