Seine Waffe war das Messer, und er war ein ausgezeichneter Kämpfer, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Aber selbst wenn er in größte Wut versetzt wurde, blieb er in jeder Auseinandersetzung stets fair und ehrlich und bediente sich keiner üblen Tricks.
Und so waren sie alle, die Männer der „Caribian Queen“: Kerle, bei deren Anblick allein man das kalte Grausen bekam, aber eben doch keine Galgenstricke, die jedem die Gurgel durchschnitten. Sie gehörten zum Bund der Korsaren und hielten große Stücke auf die Rote Korsarin, Philip Hasard Killigrew, Arne von Manteuffel, Thorfin Njal, Jean Ribault und Jerry Reeves. Die ungeschriebenen Regeln einer sauberen Kampfesweise waren ihnen Gesetz, und sie hielten sich – ohne Ausnahme – strikt daran.
In dieser Nacht nun, der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 1594, hockte Barry Winston im Großmars der „Caribian Queen“ und grinste breit. Er hatte auch allen Grund dazu – denn erstens war das Unternehmen auf den Bahamas gegen Sir John Killigrew, Sir Andrew Clifford und Sir Henry, den Duke of Battingham, erfolgreich abgeschlossen worden, und, was am allerwichtigsten war, der Seewolf war nach dem Schuß in den Rücken, den Clifford ihm verpaßt hatte, am Leben geblieben und wieder genesen.
Zweitens hatte man, zur Schlangen-Insel zurückgekehrt, beschlossen, zu den Silberminen von Potosi aufzubrechen, und zum erstenmal waren drei Crews an Bord der „Caribian Queen“ bis zum Ende der Überfahrt vereint: Hasard und seine Männer, Jean Ribault und dessen Mannschaft sowie die reguläre Besatzung des Zweideckers unter dem Kommando von Siri-Tong, außerdem – und nicht zu vergessen – Araua, die Tochter von Arkana.
Der dritte Grund für Barrys Heiterkeit war die Tatsache, daß man dem aufgeblasenen Schnapphahn Luis Campos, genannt der Admiral, soeben eine empfindliche Schlappe beigebracht hatte. Dieser Kerl hatte sich auf Tortuga an Siri-Tong heranschleichen wollen, weil er offenbar von ihr fasziniert war. Sie hatte ihn kalt abfahren lassen und zum Teufel geschickt. Am Morgen des 4. Oktober verließ die „Caribian Queen“ Tortuga wieder und nahm Kurs durch die Windward-Passage – und schon geschah es: Drei Zweimastschaluppen hingen in ihrem Kielwasser, schnelle Schiffchen, die mit Drehbassen bestückt waren.
Den ganzen Tag über verfolgte der Admiral den Zweidecker, dann, in den nächtlichen Morgenstunden des neuen Tages war es soweit. Die „Caribian Queen“ stand zu diesem Zeitpunkt bei gutem Nordost am Ausgang der Windward-Passage und hielt auf die Südwestspitze von Haiti zu. Rechtzeitig genug konnte Dan O’Flynn, der Mann mit den scharfen Augen, warnen, daß die beiden Außenschaluppen heranstaffelten, während sich der Verfolger im Kielwasser mit dem Admiral an Bord zurückhielt.
Siri-Tong gab das Feuer frei, als die beiden Zweimaster in den Schußbereich der „Caribian Queen“ gerieten. Zunächst feuerten die Breitseiten der oberen Batterie, und der Schaluppe an Backbord wurde der vordere Mast abgetakelt, dann schoß die untere Batterie der Steuerbordseite auf den anderen Gegner und erzielte einen Volltreffer. Die Schaluppe flog regelrecht auseinander.
Die Schaluppe im Kielwasser steuerte die Stelle an, um Überlebende aus dem Wasser zu fischen, aber die Rote Korsarin ließ anluven, und dieses Mal ging es dem Admiral an den Kragen, der jedoch sofort mit den Drehbassen feuern ließ und sich dann zurückzog, sehr schnell und sehr wendig.
Mittlerweile lag die „Caribian Queen“ wieder auf dem alten Kurs. Es hatte keinen Zweck – darin waren sich Hasard, Siri-Tong und Jean Ribault einig –, diesem flinken Gegner hinterherzujagen. Lieber warteten sie ab, ob diese Kerle es noch einmal versuchten.
Barry grinste Dan O’Flynn an, der in diesem Moment zu ihm in den Hauptmars kletterte.
„Na, das ist mir eine Ehre“, sagte er. „Mister O’Flynn leistet mir Gesellschaft. Dann wird’s wenigstens nicht so langweilig.“ Er kniff die Augen ein bißchen zusammen und spähte nach vorn. „Und wer entert gerade zu Hilo in den Vormars auf?“
„Jack Finnegan“, erwiderte Dan.
„Na, großartig. Ausguckposten doppelt und dreifach, dann kann uns ja nicht mehr viel passieren.“
„Sag das nicht zu laut.“
„Glaubst du, daß dieser Admiral wirklich so verrückt ist, uns noch einmal anzugreifen?“
„Ja.“
„Das stimmt“, brummte Barry. „Er scheint total bescheuert zu sein. Und er hat nicht mehr alle Mucks im Schapp, das steht fest. Hat er tatsächlich gedacht, er könnte Siri-Tong nachsteigen? Bei dem ist das Oberdeck nicht mehr ganz dicht.“
Dan hielt aufmerksam nach allen Seiten Ausschau. Einmal hatte er Glück gehabt und die Schaluppen im richtigen Augenblick in der Dunkelheit erkannt. Würde es ein zweites Mal auch wieder klappen? In diesem Punkt war er ein wenig skeptisch. Seine Erfahrung sagte ihm, daß auch zwei Schaluppen, die flink und beweglich waren, immer noch einiges gegen ein Schiff wie die „Caribian Queen“ ausrichten konnten.
Die meisten Karibik-Freibeuter bedienten sich kleiner Ein- und Zweimaster, in der Mehrzahl Schaluppen oder Pinassen, um wie Wölfe im Rudel über die schwerfälligen, nicht sehr gut zu manövrierenden Galeonen der Spanier herzufallen.
Siri-Tongs Zweidecker – sie hatte ihn seinerzeit von der Black Queen erobert – war mit einer solchen Galeone zwar nicht zu vergleichen, weil er doch wendiger und außerdem besser armiert war, aber wenn man nicht scharf aufpaßte und ständig auf der Hut war, konnte dem Admiral doch noch ein Glücks- oder Zufallstreffer gelingen. Beispielsweise konnte er sich von achtern anpirschen und versuchen, mit seinen Drehbassen die Ruderanlage der „Caribian Queen“ zu zerschießen.
Das war ein Trick, dessen sich die Männer vom Bund der Korsaren auch des öfteren schon bedient hatten. Daran dachte Dan – und seine Bedenken waren nicht ganz unbegründet.
„Vorerst ist alles ruhig“, sagte er. „Warten wir mal ab, wie die Lage sich weiterentwickelt.“
„Lange dauert die Nacht nicht mehr“, sagte Barry. „Wenn der, Kerl was unternehmen will, muß er sich verdammt beeilen.“
„Ja. Es ist drei Uhr.“
„Und du meinst, diese Bastarde haben es immer noch auf uns abgesehen?“ sagte im Vormars Hilo, der hellhäutige Neger, zu Jack Finnegan.
„Ja, so schnell geben die nicht auf“, entgegnete Jack.
„Ganz schön riskant für sie. Jetzt haben sie noch ’ne Chance, aber in zwei bis drei Stunden wird’s hell, und dann landen sie bei uns keinen Treffer mehr.“
„Aber auf den Tag folgt wieder eine Nacht“, sagte Jack.
„Hör doch auf. Ich bin der Ansicht, daß sie sich längst verzogen haben.“
„Täusche dich da nicht.“
„Du willst wohl Streit, was?“ Hilos Augen weiteten sich, und er sog die Atemluft tief durch die bebenden Nasenflügel ein. Er war sehr leicht reizbar und nahm jedes Wort krumm, das ihm nicht gefiel. Wegen ihm gab es oft Streitereien an Bord. Er war Ende der Zwanzig, hatte dichte, buschige Augenbrauen mit einer steilen Falte über der Nase und kohlschwarze Augen, deren Blick durchdringend war. Thorfin Njal hatte ihn dereinst auf Tobago aufgelesen. Manchmal, wenn Hilo seinen Rappel hatte, wünschten seine Kameraden ihn genau dorthin zurück.
Aber Jack Finnegan war ein kluger und umsichtiger Mann, der sich auf Diskussionen unter Kameraden nicht gern einließ. Lachend hob er die Hand. „Wo denkst du hin? Mir geht es nur um eins: Daß wir diesen Törn so schnell wie möglich hinter uns bringen und den Isthmus von Panama erreichen. Nur das zählt, alles andere ist nebensächlich.“
Hilo grinste. „Klar, du hast recht. Was schert uns der Admiral, dieser Blödmann? Soll er doch meinetwegen noch mal aufkreuzen oder es bleiben lassen, mir ist es auch egal.“
Das Ziel war die Bucht von San Blas an der panamesischen Karibikseite westlich des Golfs von Darién. Kurs Südsüdwest lag an, bei dem frischen, anhaltenden Nordostwind lief die „Caribian Queen“ gute Fahrt. Um diese Stunde stand sie fast direkt vor der Südwestspitze von Haiti, also Kap Dame Marie. Es herrschte nach wie vor Gefechtsbereitschaft an Bord, weil keiner wußte, wie der Feind sich verhalten würde, der so unvermittelt und völlig unvorhergesehen erschienen war.
Читать дальше