Zwei Galgenvögel näherten sich etwas schüchtern. Der eine war Pablo, der einer Ratte ähnelte, der andere war Escola, dem die Nase so traurig im Gesicht hing.
„Na, was hat sich in der Kneipe getan?“ forschte Molino. „Warum seid ihr schon zurück?“
Die beiden sahen ziemlich belemmert drein.
„Da war überhaupt nichts los“, sagte Pablo. „Nur drei Kerle erschienen mit einer langen Liste und bestellten etwas bei dem Wirt.“
Als er die drei Kerle beschrieb, drehte sich der Admiral um und musterte Pablo aus schmalen Augen.
„Aha, die waren es also“, sagte er. „Was bestellten sie denn?“
„Das haben wir leider nicht mitgekriegt, Admiral, weil der Schwarzhaarige mit dem Wirt in der Küche verschwand. Aber Holz wollten sie haben, das habe ich genau gehört.“
„Weiter, weiter“, sagte der Admiral ungeduldig.
„Der Wirt muß das Holz erst besorgen, deshalb wollen sie heute nacht noch im Hafen bleiben.“
„Aha, das heißt also, daß sie morgen früh lossegeln werden. Das Holz werden sie wohl später abholen. Aber warum habt ihr Blödmänner eure Ohren nicht weiter aufgesperrt?“
„Wir wußten ja nicht, daß es wichtig war, Admiral“, sagte Pablo. „Aber wir gingen eigentlich aus einem anderen Grund weg.“
Pablo druckste noch ein bißchen herum, bis Molino ihm energisch gegen das Schienbein trat und ihn somit aufforderte, auch noch den Rest zu erzählen.
„Die beiden anderen Kerle fingen Stunk an. Stunk eigentlich nicht direkt, aber immer wenn wir ein Bier bestellten, soffen es uns die beiden grinsend weg. Der Rothaarige war ja nicht so unfreundlich, aber der andere mit den Narben im Gesicht, der Bordgeistliche, der drohte uns ein bißchen versteckt.“
„Der ist Bordgeistlicher?“ fragte der Admiral fassungslos. „Der mit dem gewaltigen Kinn und der brutalen Visage? Bordgeistlicher soll der sein?“
„Ja, das haben wir genau gehört. Er läßt auch immer Bibelsprüche los, und wer ihm widerspricht, den schlägt er zusammen. Wir wollten aber kein Aufsehen erregen, und so sind wir gegangen.“
„Bordgeistlicher“, wiederholte der Admiral immer hoch fassungslos. „Den Hauklotz muß ich mir nachher genauer ansehen. Wie kann so was denn Bordgeistlicher sein?“
„Vielleicht drischt er ihnen das Evangelium mit den Fäusten ein“, sagte Molino. „So was soll es ja geben, und wenn die Señorita sehr fromm ist, sorgt sie eben für Ordnung an Bord, und jedermann hat ebenfalls fromm und gläubig zu sein.“
Bei dieser Theorie kroch dem Admiral ein kühler Schauer über den Rücken, und er stierte wieder zu der Frau hin. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Lady besonders fromm war, denn sonst hätte sie die rote Bluse ganz sicher hochgeschlossen, abgedichtet und verschalkt getragen, damit niemand einen unzüchtigen Blick riskierte.
Sie brauchten auch nicht mehr lange zu warten, denn nach einer weiteren Viertelstunde kehrten die drei Männer auf dem Serpentinenpfad wieder zurück.
Der Admiral stellte sich so, daß er nicht auffiel, denn nach seiner stutzerhaften und kostbaren Kleidung hatten sich die Neugierigen schon mehrmals umgesehen und ihn dabei auch ganz ungeniert angestarrt. Jetzt und hier aber war es besser, wenn die drei Kerle ihn nicht sahen.
Sie gingen ziemlich dicht vorbei und unterhielten sich. Luis Campos nahm ganz besonders den Bordgeistlichen aufs Korn. Wenn der wirklich ein Hochwürden war, wollte er nicht bei dem an Bord sein. Der sah tatsächlich so aus, als würde er mit dem Alten Testament alle kurz und klein schlagen, die an seinem Wort zweifelten. Schon seine Stimme dröhnte so laut wie die Posaunen von Jericho, und dann hängte er an jeden Satz immer ein „Was, wie“ dran. Ein schöner Hochwürden war das, wenn er seinen Schäfchen das Bier wegsoff.
Nach nochmals einer Stunde, in der der Admiral eisern auf seinem Beobachtungsposten blieb, kamen Maultierkarren den Pfad herunter und fuhren auf die Pier. Dann wurden Fässer, Kisten, Tonnen und Ballen abgeladen, und das alles verschwand im unersättlichen Bauch des düsteren Zweideckers.
Bis zum Abend blieb der Admiral auf der Lauer und sah sich Schiff und Leute an. Das schwarzhaarige Weib Wühlte ihn immer mehr auf und machte ihn geradezu rasend.
Vielleicht sucht sie heute abend die Kneipe auf, dachte er. Dann war der erste Schritt getan.
„Wir ziehen uns jetzt zurück“, sagte er kurz vor Einbruch der kurzen Dämmerung. „Ein Dutzend Kerle kann sich heute an Land austoben, die anderen bleiben auf den Schiffen. Die beiden Kapitäne, die zu meinem Stab gehören, haben ebenfalls wachfrei. Sagt ihnen Bescheid und verschwindet jetzt. Später treffen wir uns in der Kneipe da oben am Berg.“
Pablo und Escola verschwanden, während der Admiral mit seinem Adjutanten den Weg zur Kneipe nahm.
„Was ist denn mit euch Transäcken los?“ fragte Carberry zu diesem Zeitpunkt. „Will denn keiner mit? Sonst könnt ihr doch nicht schnell genug an Land rennen. Ribault ist mit ein paar Männern losgezogen, Siri-Tong ebenfalls, und ihr hockt hier, als ob ihr nicht bis drei zählen könnt.“
Die meisten zogen nicht so richtig oder hatten einfach keine Lust, zu Diego hinaufzugehen.
Der verfressene Paddy Rogers sah interessiert hoch.
„Bei Diego gibt’s doch auch was zu futtern, oder?“
„Na klar, jede Menge. Der haut dir ’nen ganzen Ochsen in die Pfanne, wenn’s sein muß. Und das alles wird mit dem Vormarssegel bezahlt.“
Der Profos sah sich im Kreis der Arwenacks um und grinste voller Vorfreude.
„Wieso mit dem Vormarssegel?“ fragte Smoky. „Das gibt’s doch überhaupt nicht.“
„Eben, deshalb brauchen wir ja auch nichts zu bezahlen. Der liebe Diego hält uns alle frei.“
„Haha“, sagte Mac Pellew, „gerade der wird entzückt sein; euch Rabauken freizuhalten. Der geizt doch mit jedem Copper. Der ist genauso geizig wie der alte Plymson.“
„Wenn ich sage, daß er uns freihält, dann stimmt das auch“, versicherte Carberry. „Niemand braucht einen lausigen Nickel mitzunehmen. Darauf halte ich jede Wette.“
Smoky spitzte die Ohren. Für Wetten jeder Art war er immer zu haben. Er wettete leidenschaftlich gern.
„Die Wette halte ich!“ rief er. „Ich wette, daß er uns nicht freihält, und du wettest dagegen.“
„Genau, abgemacht. Will noch jemand wetten?“
Mac Pellew kramte mit grämlichen Blicken in seinen Taschen herum und legte ein paar Münzen auf die Back.
„Sag bloß, du willst mitgehen“, erklärte Ed verwundert.
„Was sonst? Soll ich vielleicht hier herumhocken und Trübsal blasen?“
„Das tust du doch sonst auch immer. Also gut, dann legen wir den ganzen Krempel hier auf die Back, und wer die Wette gewonnen hat, kann das Zeug einstreichen. Wer geht noch mit?“
Smoky wollte mit, Mac Pellew, Paddy Rogers, Jack Finnegan und Matt Davies, der Mann mit der Hakenprothese. Jeder legte sein Scherflein auf die Back und sah den Profos an, der immer noch grinste.
„Das habt ihr verloren“, sagte er. „Das ist so sicher wie der Donner beim Gewitter.“
„Diego hält uns niemals frei“, behauptete Smoky. „Der gibt vielleicht die erste Runde zur Begrüßung aus, aber damit hat es sich dann auch schon. Du wirst dich wundern, Ed.“
„Oder ihr euch.“
Hasard entschied für sich, an Bord zu bleiben, selbst Ferris Tucker wollte nicht mit, und die anderen zogen auch nicht richtig.
Etwas später, über Tortuga war längst die Dunkelheit hereingebrochen, marschierte das halbe Dutzend Arwenacks los.
In Diegos „Schildkröte“ ging es bereits hoch her, als die Männer eintraten. Kerle aller Schattierungen hockten in der labyrinthartig verzweigten Spelunke. Ein paar Huren kicherten, in einer Abseite stritten sich zwei betrunkene Kerle. Hier gaben sich meistens jene Typen ein Stelldichein, die mit dem Teufel einen unheiligen Pakt geschlossen hatten. Aber es gab auch andere.
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