„Und ob ich bestimme!“ brüllte der Wikinger zurück. „Ich will nicht immer auf der Insel hocken und zurückbleiben. Ich und meine Männer gehen mit – und damit basta!“
„Dagegen erhebe ich Einspruch“, sagte Oliver O’Brien. „Das kannst du wirklich nicht allein bestimmen, Mister Njal.“
„Ganz recht“, pflichtete Jerry Reeves bei, „das sehe ich genauso. Ich protestiere ebenfalls dagegen, daß Thorfin das entscheidet.“
Der Wikinger war sauer. Er ließ sich zu etwas hinreißen, was er sonst nie tat. Er riß sich seinen Helm vom Schädel und knallte ihn wutentbrannt auf den Boden.
„He, du ermordest deine nordischen Riesenläuse!“ rief der Profos.
Thorfin gab eine unfeine Antwort, hob den Helm auf, stülpte ihn wieder auf den Schädel und brüllte lautstark herum, daß er von nun an ebenfalls gegen alles protestieren würde, egal was. Und seine nordischen Riesenläuse gingen den Profos einen Scheiß an, er solle lieber sein großes Maul halten, sonst würde ihm mal eine gewaltige Faust im Rachen steckenbleiben.
„Ha, das muß ich mir von diesem behelmten Nordpolaffen gerade noch sagen lassen, was, wie? Dem Weihnachtsmann stopfe ich seinen eigenen Bart zwischen die Zähne!“ rief Carberry ruppig.
Der Stör sprang auf und drohte dem Profos mit der Faust, weil der seinen verehrten Herrn und Meister beleidigt hatte. Es sah ganz nach einer wilden Prügelei aus.
Carberry schnappte nach Luft, als er die erhobene Faust sah. Er wollte schon losstürmen, doch da stand Hasard plötzlich vor ihm und sah ihn hart an.
„Seid ihr eigentlich alle verrückt geworden?“ fragte er sanft.
Carberry lächelte betont harmlos, aber sein narbiges Gesicht war immer noch zornig verzogen.
„Ich wollte nur nachsehen, was der Stör in der Faust versteckt hat, Sir. Vielleicht hat er ein Geschenk für mich.“
Danach kehrte etwas Ruhe ein, und weil Old O’Flynn die ganze Zeit nicht zu Wort gekommen war, meldete er sich jetzt mit etwas schriller, aufgeregter Stimme.
„Von mir redet keiner, was?“ zeterte er los. „Mein Schiff und meine Mannschaft zählen wohl nicht mehr? Aber ich hab’ auch noch ein Wörtchen mitzureden. Genausogut kann ich auch mit meiner Crew und Jean Ribault nach Potosi segeln.“
„Verdammt!“ brüllte der Profos. „Hasard hat dir schon einmal verklart, daß man mit einem Schiff nicht ins Gebirge segeln kann. Du hast wohl immer noch nicht begriffen, wo Potosi liegt, was, wie?“
„Ich will aber nach Potosi!“ brüllte Old O’Flynn.
„Aber doch nicht mit einem Schiff!“ schrie der Profos noch lauter.
„Dann eben mit einem Beiboot, verdammt! Weshalb kann man mit dem Schiff nicht nach Potosi?“
„Himmel, Arsch und Ziegenkäse! Ja, begreifst du das immer noch nicht, du alter Nachtwächter? Wir verklaren dir seit ein paar Stunden, daß Potosi keine Hafenstadt ist und hoch in den Bergen liegt. Aber du mit deiner verdammten Hartnäckigkeit und Sturheit wiederholst immer wieder, daß du nach Potosi segeln willst. Dann hau doch ab mit deinem verdammten ‚Empress‘-Sargdeckel! Du wirst schon sehen, wo du landest.“
„Hast du mein Schiff eben einen verdammten Sargdeckel genannt?“ schrie Old O’Flynn voller Empörung.
„Klar, weil du nicht mehr durchblickst. Aber vielleicht gelingt es dir ja, mit deinem Affenprahm durch die Lüfte zu segeln.“
Jetzt lagen sich die beiden wieder mal in den Haaren. Hasard sagte gar nichts, er schaute nur noch kopfschüttelnd zu. Da hatte Ribault ein Süppchen angerührt, an dem sich jetzt alle die Zungen verbrannten. Verrückt waren die Kerle, total bescheuert, und jetzt prügelten sie sich fast darum, wer mit nach Potosi durfte.
Es kam auch weiterhin keine Einigung zustande. Der einzige, der nicht unbedingt mitwollte, war der alte Hesekiel Ramsgate. Der hockte im Sand und grinste sich eins in seinen silbergrauen Bart.
Schließlich war es Jean Ribault, der die Hand hob und mit lauter Stimme um Ruhe bat.
„So geht das nicht“, sagte er. „Die Diskussionen bringen nichts weiter ein als Ärger. Wir sitzen in den nächsten Tagen noch hier und streiten uns. Ich schlage daher vor, daß wir es so halten, wie wir es immer gehalten haben, wenn es keine Einigung gab. Wir lassen das Los entscheiden, das ist eine gerechte Sache. Seid ihr wenigstens damit einverstanden?“
Den Losentscheid empfanden sie als gerecht, und so drehte sich der Franzose grinsend um und zog sein Entermesser aus dem Gürtel.
„Dann schnitze ich jetzt ein paar Hölzchen zurecht“, sagte er.
Beifälliges Gemurmel erklang von allen Seiten. Das Los würde entscheiden, und dann hatten sich alle zu fügen.
„Hier habe ich fünf kleine Hölzchen“, sagte Jean. „Für jeden der Kapitäne eins, Eins dieser Hölzchen verkürze ich jetzt so weit, daß es sich deutlich unterscheidet. Wer das kurze Hölzchen zieht, wird mich mit seiner Mannschaft begleiten. Einverstanden?“
„Einverstanden“, sagten alle.
„Nicht einverstanden“, sagte Old O’Flynn bockig.
„Wieso nicht?“
„Bin ich vielleicht kein Kapitän, he? Schließlich habe ich ein Schiff, wenn es auch nicht sehr groß ist.“
Hasard seufzte tief. Der Alte ging ihnen heute mächtig auf den Geist mit seinem Potosi und ständigem Gemaule.
„Nun hör mal gut zu, Donegal“, sagte Hasard freundlich. „Du maulst schon den ganzen Tag lang herum, aber du wirst doch wohl hoffentlich endlich mal einsehen, daß du mit deiner kleinen Crew weiß Gott keine zweite Mannschaft darstellen kannst. Du hast drei Leute, aber wenn das Los auf mich fallen sollte, dann sind Nils Larsen und Sven Nyberg logischerweise wieder bei meiner Mannschaft. Oder siehst du das nicht ein?“
O’Flynn maulte zwar noch ein bißchen herum, gab aber schließlich nach, weil er das dann doch einsah. Er wollte zwar noch erzählen, was er früher alles ganz allein gemeistert hätte, aber die anderen vertrösteten ihn auf später.
„Wird sowieso ’ne mistige Scheißstadt sein“, grummelte er, „wenn der Hafen viertausend Yards hoch in den Bergen liegt.“
„Er hat das immer noch nicht kapiert“, sagte Hasard fassungslos, als Old O’Flynn gerade nicht zuhörte. „Mitunter ist es wirklich ein Kreuz mit ihm. Aber jetzt zur Sache.“
Jean Ribault, der die Hölzchen in der Hand hielt, bemühte sich um einen möglichst ehrlichen Gesichtsausdruck, was ihm auch hervorragend gelang. Niemand würde etwas merken, dachte er, sie würden es nicht einmal ahnen, daß er sie kaltblütig begaunerte. Der Zweck heiligte auch in diesem Fall die Mittel.
Er betrieb jetzt das, was die Franzosen mit „corriger la fortune“ bezeichneten, das Glück etwas korrigieren, ihm ein wenig nachhelfen.
Den lieben Gott hatte er schon zweimal um Verzeihung gebeten und sein Gewissen damit erheblich entlastet. Es diente ja alles nur einem guten Zweck, außerdem folgte er einem festen Vorsatz. Hasard und seine Arwenacks waren nun einmal die besten Männer und die besten Kämpfer, und die wollte er unbedingt dabeihaben, ganz besonders den Seewolf, seinen alten Kampfgefährten, denn Hasard war genau der richtige Mann dafür.
So hatte er jetzt noch ein sechstes Hölzchen in der Hand, das mit den vier anderen gleich lang war.
Das gekürzte Hölzchen verbarg er geschickt in der Innenhand, während er die fünf anderen reihum präsentierte.
„Ladies first“, sagte er galant und hielt der Roten Korsarin auffordernd die Hölzchen entgegen, von denen man nur die Spitze sah.
Siri-Tong griff nach einem Hölzchen in der Mitte. Es war ein langes, woraufhin sie enttäuscht das Gesicht verzog.
„Schade“, meinte sie bedauernd.
Der Wikinger griff mit seinen Pranken zu, als wollte er Jean gleich alle Hölzchen aus der Hand reißen. Als er auch ein langes zog, verfinsterte sich sein Gesicht. Er sagte nicht: „Schade“ wie Siri-Tong, er sagte grob: „Ein Scheißspiel ist das, ein verdammtes.“ Dann wollte er sich wieder den Helm vom Schädel reißen, doch Ribault schüttelte lächelnd den Kopf.
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