Die Männer hielten den Atem an und blickten zu Ribault, der gelassen die Arme über der Brust gekreuzt hielt und in die Runde sah.
„Ich dachte eigentlich an Hasard und seine Arwenacks – und dann natürlich an meine eigene Mannschaft.“
Mit der Ruhe war es schlagartig vorbei, denn nun setzte genau das Palaver ein, das Hasard vorausgesehen hatte. Alle brüllten lautstark durcheinander, und fast alle waren plötzlich Feuer und Flamme für den abenteuerlichen Plan. Das reizte die Kerle jetzt ganz gewaltig. Ihnen juckte wieder das Fell.
Der Seewolf schüttelte den Kopf und sah einen nach dem anderen an.
Der Profos war ständig am Grinsen und rieb sich die Pranken in der Vorfreude auf künftige Abenteuer. Pete Ballie und Stenmark nickten sich begeistert zu, während Matt Davies und Jeff Bowie ihre Eisenhaken hart zusammenknallten. Smoky hatte einen merkwürdigen Glanz in den Augen, und der alte O’Flynn reckte mal wieder den Hals vor, als entgehe ihm etwas.
Na schön, er verstand die Begeisterung ja auch, aber das war eine Reise von dreitausend Meilen, hin und zurück das Doppelte, und das würde Monate dauern, Monate voller Unwägbarkeiten, Entbehrungen und Strapazen, doch daran schien keiner der Kerle zu denken. Sie sahen sich nur unterwegs, alles andere störte sie vorerst nicht.
Er drehte etwas den Kopf nach links und blickte zu seinen beiden Söhnen hinüber.
„Auch das noch“, murmelte er betroffen.
Die Blicke der beiden Kerle hingen wie Kletten an ihm, ihre Augen leuchteten noch heller als die von Smoky, und ihre Gesichter waren so erwartungsvoll, wie er es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Die Burschen barsten vor Tatendrang. Denen juckte das Fell noch mehr als den anderen. Aber noch war gar nichts entschieden.
„Ich bitte um Ruhe“, sagte Hasard, während er sich erhob.
Das Palaver verstummte sofort. Alle Blicke richteten sich auf Hasard. Sie wußten, daß er jetzt etwas vorbringen würde, was das geplante Unternehmen in einem anderen Licht zeigte, daß es auch Schattenseiten hatte und nicht nur strahlender Sonnenschein war. Hasard wog das Für und Wider immer sorgfältig ab und ließ sich auf keine Spekulationen ein.
„Noch haben wir Jeans Plan nicht in Erwägung gezogen“, sagte er, „es war nur ein Vorschlag von ihm. Aber bevor wir den Plan überhaupt erwägen, haben wir noch ein anderes Problem zu lösen. Jean hat von zwei Schiffsmannschaften gesprochen, die das Unternehmen durchführen sollen. Zwei Schiffsmannschaften sind aber immerhin fünf Dutzend bewährte Kämpfer, also etwa sechzig Mann. Die fallen zum ersten schon bei den ständigen Patrouillenfahrten um die Insel und nach Coral Island aus. Das ist das eine Problem. Das andere ist, daß diese Männer auch fehlen würden, falls die Spanier einen erneuten Versuch unternehmen, die Schlangen-Insel anzugreifen.“
„Das halte ich für ziemlich ausgeschlossen“, sagte der Wikinger.
„Das ist überhaupt nicht auszuschließen, Thorfin. Denn einem Mann ist die Position der Schlangen-Insel immerhin sehr genau bekannt, und das ist der Gouverneur von Kuba, der feiste Don Antonio de Quintanilla. Der Kerl ist nach wie vor gefährlich und wird bald wieder etwas unternehmen. Hast du das Problem schon erwogen, Jean, oder weißt du eine Lösung dafür?“
Ribault hustete unterdrückt. Nein, verdammt, er hatte keine Lösung, er hatte gar nicht daran gedacht. Er wollte gerade den Mund auftun, um das verlegen zuzugeben, als die Schlangen-Priesterin Arkana einen Schritt vortrat und Hasard gelassen ansah.
„Bereite dir darum keine Sorgen“, sagte sie mit ihrer samtig klingenden Stimme. „Auch in Abwesenheit von sechzig Kämpfern ist die Insel zu verteidigen, sollte es den Spaniern nochmals einfallen, anzugreifen. Die Schwachpunkte der Insel sind uns nach dem letzten Kampf bekannt. Wir werden die Insel entsprechend ausbauen und zusätzlich sichern und verstärken.“
Ihre Blicke brannten sich in Hasards Gesicht fest, rätselhaft und dunkel waren ihre Augen, geheimnisvoll wie die einer Sphinx. Sie sah ihn an wie damals auf der Insel Mocha, als sie sich zum ersten Male begegnet waren. Sechzehn Jahre war das schon her, und knapp ein Jahr jünger war Araua, ihre gemeinsame Tochter, die nur ein paar Schritte weg von ihrer Mutter stand.
Hasard wollte sich räuspern und etwas sagen, doch Arkana schüttelte energisch den Kopf.
„Es wird keinen Angriff auf die Insel geben, nicht in den nächsten Monden, ich weiß es, denn ich habe den Schlangen-Gott befragt. Laß Ribault und von Hutten segeln, Seewolf. Araua wird die beiden Männer begleiten.“
Ihr rätselhafter Blick kühlte bei den letzten Worten etwas ab. Dann sah sie an ihm vorbei auf Araua, die längst zu einer bildhübschen jungen Frau mit allen weiblichen Attributen herangereift war. Sie ähnelte ihrer Mutter, bis auf die Augen, denn die waren so eisblau wie die des Seewolfs.
Hasard stand unbeweglich da. Seine Augen wurden schmal, auch die Lippen verkniffen sich unmerklich.
So ist das also, dachte er. Araua sollte die beiden begleiten, sie sollte an dem Unternehmen teilhaben. Prächtig hatte sie das hingekriegt, mit echt fraulicher Raffinesse. Er wußte auch, was Arkana damit bezweckte: Offenbar glaubte sie, ihn auf diese Weise zwingen zu können, mit seinen Arwenacks an dem Unternehmen teilzunehmen. Und er, Hasard, fand sich dann in der Rolle des väterlichen Aufpassers wieder, einer Rolle, die ihm absolut nicht gefiel, schon gar nicht bei einem derart höllischen und risikoreichen Unternehmen.
Arkanas Blick wurde noch kühler, als er keine Antwort gab.
Nein, das paßte ihm ganz und gar nicht. Seine Arwenacks waren zwar disziplinierte Kerle, aber eben auch nur Männer, und Araua war ein blutvolles, temperamentvolles Ding, das ohnehin die Blicke der Männer magisch auf sich zog. Und das sollten sich seine Kerle dann tagtäglich ansehen und dabei noch zahm und gleichgültig bleiben. Das war einfach unmöglich.
Seine Stimme klang schroffer, als er es eigentlich beabsichtigte.
„Noch steht überhaupt nicht fest, wer wann und mit wem segelt. Erst muß darüber abgestimmt werden, welche Mannschaft Jean begleiten wird. Es sieht ganz danach aus, als wollten alle mit. Das ist das eine. Sollte es meine Mannschaft sein, die mitzieht, dann weigere ich mich ganz entschieden, Araua mitzunehmen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“
„So, du weigerst dich, Seewolf“, sagte sie kühl. „Aber du vergißt offenbar, daß Araua eine Schlangen-Kriegerin ist – und dort unten südlich von Arica geboren wurde. Für das geplante Unternehmen wäre das ein unschätzbarer Vorteil, denn sie spricht die Dialekte der indianischen Küstenstämme. Das solltest du bedenken.“
Hasard hatte nicht geglaubt, daß ihre Stimme noch kühler und unpersönlicher werden könnte, aber jetzt wurde sie es, beinahe verletzend sogar.
„Ich bedenke …“, sagte er, doch sie unterbrach ihn sofort.
„Keine Sorge, Seewolf. Ich unterstelle Araua dem persönlichen Schutz Karl von Huttens. Mehr habe ich dazu auch nicht zu sagen.“
Hasard preßte die Lippen noch fester zusammen. Sein Blick wurde ausgesprochen finster. Da hatte sie ihm prächtig eins ausgewischt und den Wind aus den Segeln genommen. Er wollte gerade zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, aber Arkana drehte sich um und ging zu der anderen Gruppe hinüber.
Zu allem Überfluß begann jetzt auch noch der Wikinger herumzubrüllen und aufgeregt seinen Helm zu befummeln.
„Hier braucht überhaupt nicht abgestimmt zu werden!“ schrie er. „Das ist doch völlig klar, daß ich mit meinen Kerlen Ribault und Karl von Hutten begleite! Da gibt’s nichts mehr abzustimmen, da ist alles schon im Lot.“
„Gar nichts ist im Lot!“ fauchte die Rote Korsarin den Nordmann an. „Ich protestiere dagegen. Du bestimmst nicht einfach, Thorfin.“
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