„Da Sie bis zur Stunde den Nachweis dafür schuldig geblieben sind, kann das Gericht diese Aussage nicht akzeptieren“, fuhr Sir Edward fort. „Dagegen aber haben Sie, Sir Henry, sich im einzelnen für Lüge, Betrug und Rechtsanmaßung zu verantworten. Sie haben Sir Hasard in England verleumdet, Sie haben die übrigen Kommandanten des Verbandes belogen und betrogen, indem Sie behaupteten, eine Order Ihrer Majestät zu besitzen, und Sie haben sich durch Ihre Eigenmächtigkeit auch der Rechtsanmaßung schuldig gemacht. Dabei haben Sie in allen Punkten aus niedrigen Beweggründen gehandelt, weil Sie ausschließlich Ihre persönliche Bereicherung im Auge hatten.“
„Unglaublich!“ stieß Sir Henry hervor. Aber er konnte nicht vermeiden, daß sein Gesicht eine Spur blasser wurde.
„Sir John Killigrew werden im einzelnen Raub, Entführung und Desertion vorgeworfen“, fuhr Sir Edward unbeirrt fort. „Er hat sich im Hinblick auf die spanische Handelsgaleone in räuberischer Weise bereichert, hat Sir Andrew Clifford entführt und als Geisel genommen und ist vom Verband desertiert, um seine privaten Ziele zu verfolgen. Um eine angeblich vorhandene Order Ihrer Majestät kümmerte er sich nicht, offenbar weil er wußte, daß eine solche gar nicht existierte.“
John Killigrew, dieser gewalttätige Mann mit dem verschlagenen Gesicht, das eine bläulich-rote Knollennase zierte, begann hämisch zu lachen.
„Welch ein Geschwätz!“ stieß er hervor. „Was soll das ganze Theater mit dieser Gerichtsverhandlung? Natürlich habe ich den verdammten Dons ein bißchen in die Taschen gegriffen, das weiß jeder. Da ich vermeiden wollte, daß mir die anderen Gentlemen das Zeug abjagten, habe ich mich eben vom Verband abgesetzt. Na und? Was soll das ganze Hin- und Hergerede – unser Unternehmen hat eine Menge Geld gekostet, das sollte schließlich wieder reinkommen. Jeder von uns hat doch im stillen gehofft, bei der Sache den Rahm abschöpfen zu können, oder?“ Seine Augen ruckten fragend von einem zum anderen, und als er nur ablehnende Gesichter sah, zog er eine wütende Grimasse.
„Sie sind im Vergleich zu Sir Henry bemerkenswert offen, Sir John“, stellte Tottenham fest. „Sie haben soeben selber bestätigt, daß Sie sich hauptsächlich deshalb an der Jagd nach Philip Hasard Killigrew beteiligt haben, weil Sie Ihre persönlichen Geschäfte im Auge hatten. Sicherlich hatte es Ihnen dabei auch die Schatzbeute angetan, die Sir Hasard legal, im königlichen Auftrag, verwahrt.“
„Der Bastard hat doch genug Reichtümer gehortet!“ brüllte Sir John wütend. „Den hätte es nicht erschüttert, wenn wir ihm einen Teil davon abgejagt hätten.“
„Schweigen Sie jetzt!“ fuhr ihn Tottenham an. „Sonst muß ich Sie abführen lassen.“ Sofort traten zwei Männer auf den alten Killigrew zu und legten ihm die Hände auf die Schultern. Als er noch einen wilden Fluch ausstieß, packten sie ihn an den Oberarmen.
„Mit diesen Worten“, sagte Sir Edward, „haben Sie sich im Sinne der Anklage für schuldig bekannt. Indem Sie Sir Hasard selbst die Schatzbeute abjagen wollten, die er als Korsar Ihrer Majestät bis zur Übergabe zu verwalten hat, haben Sie sogar räuberisches Interesse am Eigentum der Königin bekundet.“
Sir John Killigrew murmelte abermals einen Fluch vor sich hin und bedachte Tottenham mit einem wilden Blick.
Der aber wandte sich jetzt an Charles Stewart.
„Sie, Mister Stewart“, begann er, „haben sich wegen Raubes, Meuterei und Vernachlässigung Ihrer Pflichten als Kommandant der ‚Dragon‘ zu verantworten.“
Charles Stewart hörte sich die Anklage mit einem spöttischen Grinsen an, zumal er kaum etwas zur Entkräftung vortragen konnte. Offiziere und Besatzung der „Orion“ und „Dragon“ waren Zeuge seiner verbrecherischen Handlungen geworden, daran ließ sich im Nachhinein nichts mehr ändern.
Wohl oder übel mußten sich die drei Angeklagten die weiteren Ausführungen Tottenhams, der jetzt auf die Einzelheiten einging, anhören. Lediglich Stewart und Killigrew mußten noch einmal zur Ruhe ermahnt werden.
Nach mehr als zwei Stunden zog sich das Gericht zur Beratung in die Kapitänskammer zurück, während die Angeklagten unter strenger Bewachung auf der Kuhl blieben.
Die Beratung dauerte eine knappe halbe Stunde, dann erschien das Kriegsgericht zur Urteilsverkündung. Ein kurzer Trommelwirbel wies auf das Erscheinen der Offiziere hin.
Die Mitglieder des Kriegsgerichtes zogen ernste Gesichter, als sie ihre Plätze einnahmen. Sir Henry hingegen schien noch nicht so recht an den Ernst der Sache zu glauben. Er setzte nach wie vor ein hochnäsiges Lächeln auf und warf den Offizieren überhebliche Blicke zu.
Charles Stewart stieß ein leises Knurren aus, und John Killigrew versuchte, verächtlich auf die Planken zu spucken. Er handelte sich jedoch dafür einen Rippenstoß seines Bewachers ein.
Sir Edward räusperte sich.
„Das Kriegsgericht Ihrer Majestät, der Königin von England“, sagte er mit lauter Stimme, „ist einstimmig zu dem Entschluß gelangt, daß sich die Angeklagten, Sir Henry of Battingham, Sir John Killigrew und Mister Charles Stewart, in allen Punkten der Anklage schuldig gemacht haben. Sie werden deshalb – ebenso einstimmig – zum Tod durch Erschießen verurteilt. Das Urteil ist sofort zu vollstrecken.“
Diese Worte schlugen ein wie eine Breitseite.
Besonders Sir Henry schien im Vertrauen auf seinen Adelsrang als Duke of Battingham nicht mit diesem Urteil gerechnet zu haben. Er hatte wohl geglaubt, daß es niemand wagen würde, Hand an ihn zu legen. Um so mehr schmetterte ihn jetzt dieses Urteil nieder.
Das hochnäsige Lächeln verschwand augenblicklich aus seinem Gesicht. Er wurde aschfahl, seine Lippen begannen zu beben. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.
„Das ist ungeheuerlich!“ schrie er. „Ich bin Duke Henry of Battingham, und wer es wagt, mir auch nur ein Haar zu krümmen, wird sich in England verantworten müssen. Ich erkenne dieses Urteil nicht an!“
Auch Charles Stewart begann zu brüllen und überhäufte die Mitglieder des Kriegsgerichtes mit wüsten Flüchen und unflätigen Beschimpfungen.
Aber das alles half den drei Halunken nicht. Niemand beachtete ihre Proteste. Die Crewmitglieder, die Zeugen der Verhandlung geworden waren, trugen unbeteiligte Mienen zur Schau. Im stillen aber empfanden sie Genugtuung.
Sir Henry, Sir John und Charles Stewart waren rechtsgültig zum Tode verurteilt worden und wurden auf Befehl des Gerichts sofort auf eine Jolle gebracht. Eine weitere Jolle wurde dem Erschießungskommando zur Verfügung gestellt. Schließlich wurden die beiden Boote zum Ufer gepullt.
Wenig später dröhnten die Salven der Exekution über die Bucht. Die drei Männer, die beutelüstern und mit hinterhältigen Plänen in die Karibik aufgebrochen waren, hauchten ihr Leben unter den Schüssen des Pelotons aus. Sir Henry starb als Feigling, nämlich jammernd. Sir John und Stewart hingegen brüllten wie wilde Stiere, bevor die Kugeln sie zum Verstummen brachten.
Kurz vor der Mittagszeit hatte sich der Wolkenhimmel über den Pensacola Cays weiter verdichtet, die Schwüle nahm ständig zu. Den Männern auf den drei Schiffen brach der Schweiß aus allen Poren.
Als die beiden Jollen vom Ufer zurückkehrten, stand Sir Edward mit unbewegtem Gesicht auf dem Achterdeck und stützte sich auf den Handlauf der Querbalustrade. Nachdem man ihm den Vollzug des Todesurteils gemeldet hatte, wandte er sich Marc Corbett zu.
„Damit wurde ein weiterer Beitrag zur Wiederherstellung der Ehre Ihrer Majestät und der Ehre Sir Hasards geleistet“, sagte er.
Der Erste Offizier nickte mit ernstem Gesicht.
„Sie haben ihre Strafe verdient“, entgegnete er. „Es bleibt nur zu hoffen, daß sie dies vor ihrem Tod noch eingesehen haben.“
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