„Warst du das nun oder nicht?“ fragte Osvaldo.
„Ich war es.“
„Du hattest Hunger?“
„Und wie.“
„Don Felipe hat dir wohl absichtlich wenig zu futtern gegeben“, sagte Osvaldo nachdenklich. „Um dich herauszufordern. Na, da mußte es ja soweit kommen. Und dann hat er dich auch noch selbst ertappt.“
„Ich wurde degradiert“, fuhr Maria fort. „So nannte er es. Ab sofort mußte ich die schmutzigsten Arbeiten verrichten. Zur Strafe sperrte er mich abends in das Kellerloch. Immer wieder sagte er, ich könnte es mir noch überlegen. Ich brauchte ihm nur Bescheid zu sagen und mich zu fügen, dann würde alles wieder gut werden.“
„Dann ging das Chaos los, und alle flohen“, sagte Osvaldo. „Don Felipe war es egal, was aus dir wurde. Und die anderen dachten nicht mehr an dich.“
„So hat sich alles zugetragen“, sagte Maria. „Ich kann es beschwören. Es ist die Wahrheit.“
Osvaldo und der Taubstumme tauschten einen raschen Blick. Dann wandte sich Osvaldo erneut an das Mädchen.
„Mein Freund El Sordo und ich glauben dir“, erklärte er mit fast feierlicher Miene. „Du hast dich nicht als Mädchen zu erkennen gegeben, weil du vor Männern Angst hast. Richtig?“
„Ja.“
„Wir werden dir beweisen, daß wir anständige Kerle sind“, sagte Osvaldo. „Wenn du Lust hast, kannst du bei uns bleiben, solange der Aufstand weitergeht. Wir werden dich beschützen.“
„Danke“, sagte das Mädchen. „Ihr seid ja wirklich – in Ordnung.“
„Ach, das ist doch nicht der Rede wert“, entgegnete Osvaldo verlegen.
Er winkte El Sordo zu, und sie verließen den Raum. In der Küche leerten sie auf den Schreck jeder zwei Becher Wein und lauschten den planschenden Geräuschen, die aus der Waschküche drangen.
El Sordo sah seinen Begleiter eindringlich an.
Osvaldo nickte. „Ja, ich weiß schon, was du sagen willst. Da haben wir uns ganz schön was eingebrockt. Aber wir können Maria nicht einfach sich selbst überlassen. Wenn sie allein loszieht und irgendwo in der Stadt den Galgenstricken in die Hände fällt, ist sie geliefert. Du weißt genau, was ihr dann passiert.“
Der Taubstumme seufzte. Natürlich wußte er das. Und irgendwie war ihm Maria auch schon ans Herz gewachsen. Zum Teufel, er mochte diesen „Bengel“ und wollte um keinen Preis, daß ihr etwas zustieß. Und Osvaldo? Der dachte genauso. So waren die beiden eben: Unter der rauhen Schale steckte ein weicher Kern.
Gonzalo Bastida öffnete grinsend eine versteckte Kellerluke. Er schickte Rioja, Sancho und ein paar Soldados nach unten. Verwundert hörte Alonzo de Escobedo, wie die Kerle mit Waffen hantierten. Das metallische Klirren und Scheppern war unverkennbar.
Die Kerle reichten die Waffen – Musketen, Blunderbüchsen, Pistolen, Blankwaffen und reichlich Munition – herauf. Cuchillo und Gayo verteilten sie an die rekrutierten Kerle, und kurz darauf stand eine an die vierzig Köpfe zählende Streitmacht bereit.
„Gut so“, sagte Bastida. „Zur Verfügung halten.“
Der Dicke winkte de Escobedo, Cuchillo und Gayo zu sich an die Theke. Er füllte vier Becher mit glasklarem Weißwein, und sie tranken.
Dann sagte Bastida: „Ich will, daß auch die Kerle in der Stadt wissen, welcher Wind jetzt weht. Darum werdet ihr beiden ein paar Exempel statuieren.“
Cuchillo grinste hölzern. „Überlaß das ruhig uns.“
„Dann verschwindet. Nehmt ein paar Soldados mit.“
„Ja“, erwiderte Cuchillo. „Und wie viele sollen wir abmurksen? Ein Dutzend?“
„Nicht ganz so viele“, sagte der Wirt. „Ein paar laßt ihr natürlich auch laufen, damit es sich herumspricht, was hier läuft. Schließlich brauchen wir noch genug Hundesöhne zum Rekrutieren. Wer nicht aus Havanna verschwinden will, der soll sich hier bei mir einfinden. Er erhält Waffen, und ihm winkt eine dicke Belohnung, wenn die Residenz in unserer Hand ist.“
„Wird erledigt“, sagten Cuchillo und Gayo gleichzeitig. Dann verließen sie die Kaschemme. Jeder hatte drei Soldados von der Schlägertruppe ausgewählt. Cuchillo und Gayo sprachen sich kurz ab. Sie trennten sich – jeder ging mit seiner Gruppe einen anderen Weg. Auf diese Weise ließ sich Bastidas neue Order am schnellsten und wirkungsvollsten verkünden.
Cuchillo führte seinen kleinen Trupp in eine lange, schmale Gasse, die vom Hafen aus in Richtung Plaza verlief. Nicht weit entfernt stand die Faktorei von Manteuffel.
Cuchillo schenkte dem Haus jedoch keinen Blick. Er hatte dort nichts verloren. Dort waren keine Plünderer anzutreffen. Der deutsche Handelsherr und seine Leute verteidigten sich wie die Wölfe. Kein Galgenstrick verspürte Lust, sich an ihnen die Zähne auszubeißen.
Cuchillo – alle kannten ihn nur unter diesem Namen. Cuchillo bedeutete im Spanischen Messer. Treffender hätte der Spitzname des Mannes nicht ausfallen können. Das Messer war seine Waffe. Er verstand mörderisch gut damit umzugehen. Cuchillo war schlank, und er hatte ein gepflegtes Oberlippenbärtchen. Er mimte auf Liebling aller Frauen. Auf den ersten Blick mochte er wie ein freundlicher, friedliebender Mann aussehen. Doch wer in seine Augen schaute, erkannte er, wie eiskalt und verschlagen der Kerl war.
Cuchillo kannte genausowenig Skrupel wie Gayo. Nur waren die Gewalt und Brutalität bei Gayo offensichtlicher. Der Kerl war früher Bootsmann gewesen. Er war von einer spanischen Kriegsgaleone desertiert und in Havanna untergetaucht. Gonzalo Bastida hatte ihn lange Zeit versteckt gehalten. Schließlich war die Galeone nach Spanien zurückgekehrt, und kein Mensch hatte sich mehr um den Verbleib von Gayo gekümmert.
Gayo war der typische Schläger – ein stiernackiger Bulle mit zernarbter Visage. Ein richtiger Kinderschreck. Er war tückisch und hatte schnelle Reflexe. Er konnte es mit zwei, drei Gegnern gleichzeitig aufnehmen. Auch im wildesten Handgemenge blieb er stets der Sieger.
Cuchillo und Gayo brauchten nicht lange zu suchen, um die Kerle zu finden, auf die sie es abgesehen hatten. Sie brauchten eigentlich nur zu lauschen. In der Stadt herrschte eine geisterhafte Stille – bis auf die polternden oder splitternden Geräusche in diversen Bürgerhäusern. An diesen Lauten orientierten sie sich.
Cuchillo steuerte mit seinen drei Soldados auf ein hohes, mehrstöckiges Haus mit schmalbrüstigen Fenstern zu. Drinnen schien der Teufel los zu sein. Es krachte und polterte. Kerle grölten und lachten. Sie amüsierten sich, so wirkte es zumindest, prächtig und räumten so richtig auf.
„Los“, sagte Cuchillo. Ihr werdet euch wundern, dachte er.
Die vier Kerle betraten das Haus. Keiner der Plünderer hinderte sie daran. Diese Galgenstricke hatten genug damit zu tun, Wertgegenstände aus den Schränken zu holen und das Tafelbesteck an sich zu reißen. Sie brachen Schubladen auf, kippten Schränke und Truhen um, zerbrachen Spiegel, Bilder und Geschirr. Sie hausten wie die Vandalen.
Es waren acht Kerle, wie Cuchillo mit raschem Blick feststellte, als er den großen Wohnraum betrat. Sie hatten getrunken. Einige von ihnen hatten starke Schlagseite. Sie lachten, rissen zotige Witze und zerschlugen alles, was ihnen in die Finger geriet. Einer schlitzte die Sitzmöbel, die mit rotem Damast bespannt waren, auf.
Cuchillo zog seine Pistole, spannte den Hahn, trat auf einen der Kerle zu und sagte: „He, du!“
Der Kerl fuhr zu ihm herum und wirkte etwas irritiert.
„Wie?“ sagte er. „Was? Verdammt, du hast hier nichts zu suchen. Hau ab!“
Cuchillo drückte einfach ab. Der Knall der Pistole hallte durch das Haus. Der getroffene Kerl sackte zusammen, ohne noch einen Laut von sich zu geben. Er warf Cuchillo einen letzten verdutzten Blick zu, dann starb er.
Die anderen Plünderer schrien auf, griffen nach ihren Waffen und wollten sich verteidigen. Aber Cuchillo und die drei Soldados waren schneller. Cuchillos Messer zuckte durch die Luft und bohrte sich in die Brust des einen Galgenstricks. Auch dieser sank tot zu Boden. Die Pistolen der Soldados krachten – weitere drei Plünderer waren erledigt. Darauf fielen die Soldados mit ihren Messern über die drei letzten Kerle her.
Читать дальше