Cuchillo, der schlankste und geschmeidigste Kerl des Quartetts, lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand.
„Was gibt’s denn?“ erkundigte er sich.
Gayo, der Bullige, polkte mit dem Finger in einer Zahnlücke herum.
„Ist was nicht in Ordnung?“ fragte er und warf dabei de Escobedo einen drohenden Blick zu.
Rioja kaute auf irgendwelchen Speiseresten herum. Sancho grinste, als habe er bereits begriffen, um was es ging. In Wirklichkeit hatte er nicht die geringste Ahnung, was der Dicke von ihnen wollte.
„Es gibt Arbeit“, erklärte Bastida. „Wie viele Kerle befinden sich zur Zeit in meiner Kneipe?“
„Na, so an die drei, vier Dutzend“, erwiderte Cuchillo.
„Wie viele davon sind Soldados?“ wollte Bastida wissen. Er hatte jetzt seinen typisch eiskalten, lauernden Blick, der verriet, daß er etwas im Schilde führte.
„Fünf oder sechs“, erwiderte Cuchillo, der im Denken immer der Schnellste von den vieren war.
„Der Rest ist Freiwild“, sagte Bastida grinsend. „Einige wollen sicherlich noch ihre Beute bei mir absetzen. Daraus wird vorläufig nichts. Ich kaufe erst heute nachmittag wieder. Jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht.“ Er begann zu lachen, und sein dicker Bauch lachte hüpfend mit.
Die Leibgarde lachte ebenfalls. De Escobedo hielt es für angebracht, auch ein dünnes Grinsen aufzusetzen. Das Lachen drang laut und schallend in den Schankraum hinüber, und einige Gäste fragten sich, was Bastida eigentlich feierte – seine guten Geschäfte oder den Aufstand, der in Havanna herrschte. Hätten sie geahnt, daß es ihnen jetzt an den Kragen ging, hätten sie schleunigst das Weite gesucht.
Gonzalo Bastida hieb mit der Faust auf den Tisch, daß Flasche und Gläser wackelten. Das Lachen verstummte. Der Dicke musterte seine Kerle und sagte mit leiser, gefährlich klingender Stimme: „Sämtliche Kerle werden sofort rekrutiert. Wer nicht pariert, kriegt gehörig was aufs Maul. Wir brauchen Leute für den Sturm auf die Residenz. Alles klar?“
„Alles klar“, erwiderte Cuchillo.
„Dann fangt an“, sagte der Dicke. Er beschrieb eine herrische Geste. Cuchillo, Gayo, Rioja und Sancho rückten ab und betraten den Schankraum. Sie rieben sich grinsend die Hände. Die Aufgabe, die Bastida ihnen soeben erteilt hatte, war ganz nach ihrem Geschmack.
Cuchillo griff sich sofort zwei Kerle, die an einem Ecktisch saßen und ihren Wein in Gesellschaft zweier grell geschminkter Señoritas becherten. Die Kerle begriffen nicht recht, wie ihnen geschah. Im Nu hatte Cuchillo sie hochgehievt und in den hinteren Bereich des Raumes befördert.
„So!“ fuhr er sie an. „Jetzt ist Schluß mit der Sauferei! Bleibt hier stehen!“
„Moment mal!“ protestierte einer der beiden, ein Kerl mit wüsten Narben im Gesicht. „Was soll das heißen?“
„Daß es Arbeit gibt“, entgegnete Cuchillo. Er drehte sich um, marschierte an einen anderen Tisch und holte sich den nächsten „Rekruten“.
„Seid ihr übergeschnappt?“ brüllte der Narbige.
Gayo, Rioja und Sancho erteilten den „Soldados“, die sich in der Kaschemme befanden, knappe Befehle. So packten auch die „Soldados“ mit zu. Kerl für Kerl wurde in die hintere Raumecke transportiert. Unruhe entstand. Die Kerle prallten gegeneinander, fluchten und randalierten. Sie schrien wild durcheinander.
„Hört auf, ihr Schweine!“ brüllte einer. „Ihr habt sie wohl nicht mehr alle, was?“
Rioja rammte ihm die Faust in den Magen.
„Wie hast du uns genannt?“ fragte er drohend.
Der Kerl krümmte sich und schnappte japsend nach Luft. Der Narbige wollte ihm zu Hilfe eilen, doch Gayo nahm ihn in einen brutalen Knebelgriff. Der Narbige zappelte, trat auf der Stelle und jaulte wie ein Straßenköter.
Die „Señoritas“ entfernten sich kreischend von den Tischen. Sie begriffen schneller als die rekrutierten Kerle, was die Stunde geschlagen hatte. Mit hastigen Schritten flohen sie zu ihren Kammern und brachten sich in Deckung. Wenn erst die Fäuste flogen und die Messer blitzten, konnte es für einen Rückzug zu spät sein. Plötzlich herrschte eine ausgesprochen ungesunde Atmosphäre in Bastidas Kaschemme.
Gonzalo Bastida erschien hinter der Theke. Neben ihm war, im Halbdunkel nur schwer zu erkennen, Alonzo de Escobedo. Bastida donnerte seine Faust auf die Theke und brüllte: „Herhören!“
Einer der „beschlagnahmten“ Kerle versuchte gerade, sich Sanchos Griff zu entwinden. Aber Sancho trat ihm kräftig in den Hintern. Auch dieser Kerl zog es vor, keinen Widerstand mehr zu leisten.
Die Kerle verstummten allmählich.
„Aufgepaßt“, fuhr Bastida fort. „Schreibt euch hinter die Ohren, was ich euch jetzt sage. Ich werde es nicht wiederholen. Vorläufig kaufe ich keine geplünderte Ware mehr.“ Vielleicht heute nachmittag wieder, dachte er, aber er hütete sich, es laut zu verkünden. Die Kerle mußten nachhaltig beeindruckt werden. „Das Geschäft und auch die Zapfhähne in meiner Schenke werden erst wieder eröffnet, wenn die Residenz gefallen ist!“ teilte er der Versammlung barsch mit. „Basta!“
„Was?“ heulte einer der Zecher. „Bastida, das kannst du doch nicht tun! Ich hab’ hier, einen ganzen Sack voll Schmuck!“
„Das Zeug übernehme ich zur Aufbewahrung“, sagte Bastida gnädig. „Sonst noch Fragen?“
„Wieso soll die Residenz fallen?“ schrie der Narbige.
„Weil wir sie vereinnahmen“, erwiderte der Dicke. „Das ist jetzt wichtiger als alles andere, ihr Narren! Will euch das nicht in den Kopf?“
„Nein!“ brüllten ein paar Kerle.
Aber Cuchillo und die drei anderen Leibwächter waren sofort bei ihnen und teilten derbe Hiebe aus. Jammernd verstummten auch diese Aufmüpfigen.
„Alle Bürger, die Garde und die Miliz haben sich in der Residenz verschanzt“, erklärte Bastida. „Es ist klar, daß sie auf die Dauer nicht einfach zusehen, wie ihr ihre Häuser ausräumt. Klar? Sie rüsten zum Gegenschlag. Aber wir werden ihnen jeglichen Widerstand austreiben. Wir überwältigen sie und hauen alles kurz und klein. Wer sich uns entgegenstellt, wird so oder so beseitigt.“
„Jawohl!“ schrie Cuchillo. „Stürmt die Residenz!“
Bastida nickte ihm wohlwollend zu. Dann stützte er sich mit seinen fleischigen Händen auf der Theke auf.
„Und jetzt noch etwas“, sagte er zischend. „Wer von euch Kerlen glaubt, sein eigenes Süppchen kochen zu können, der kann schon jetzt Abschied von seinem Leben nehmen. Wer sich drückt, der tut gut daran, sich nicht mehr sehen zu lassen und aus Havanna zu verschwinden.“
Die Kerle blickten sich untereinander an. Mit Bastida war nicht zu spaßen. Was der sagte, das setzte er auch in die Tat um. Er hatte die Bande in der Hand. Keiner konnte sich seiner Macht und Gewalt entziehen. Und abhauen, das bedeutete, ohne Beute auszugehen. Dabei lockten in der Residenz Reichtümer von unermeßlichem Wert.
Keiner wußte genau, wieviel Gold und Schmuck dort zu holen waren, doch die Einbildung und die Phantasie trieben die tollsten Blüten. Manche Kerle behaupteten, im Keller stapelten sich die Schatztruhen.
Andere wollten wissen, daß die Lampen aus puren Diamanten bestanden. Wieder andere waren sicher, daß Türklinken und Fenstergriffe aus purem Gold gefertigt waren. Und irgend jemand hatte sogar verlauten lassen, das Amtszimmer des Gouverneurs sei mit einem goldenen Fußboden ausgelegt.
Bastida verfolgte die Reaktionen der Kerle sehr genau. Er wußte schon jetzt, daß er gesiegt hatte. Er hatte die Meute fest an der Kandare. Was er eben gesagt hatte, würde sich sehr schnell unter den schrägen Vögeln von Havanna herumsprechen. Er konnte den Vorgang sogar noch beschleunigen, wenn er ein paar Exempel statuierte.
„Also“, sagte der Dicke lauernd. „Wer von euch will verduften?“
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