Speck und restlicher Mageninhalt wurden durch die Speigatten über Bord befördert. Dann hievten sie den Fisch hoch und warfen ihn ebenfalls ins Wasser.
Old O’Flynn paßte auf wie ein Luchs. Er selbst rührte keinen Finger, sondern sah nur zu.
Kurz danach war auch das Deck wieder sauber geschrubbt.
Old O’Flynn betrachtete kritisch die Planken und schaute peinlich genau nach, ob nicht noch irgendwelche Reste von dem „Schweinkram“ zu finden waren, bis das dem Profos wieder auf die Nerven ging:
„Was gibt’s denn da ständig zu glotzen – hast du noch keine Schiffsplanken gesehen?“
„Ich will mich nur vergewissern, ob alles sauber ist und der Kahn später nicht nach toten Fischen stinkt.“
„So sauber waren deine Planken noch nie“, behauptete Carberry, was ihm einen zornigen Blick des Alten eintrug.
Dann aber bequemte er sich doch, die Rumbuddel zu holen, und jeder setzte zu der üblichen Daumenbreite an. Hasard und Philip junior bedauerten dabei lebhaft, nicht so breite Daumen wie der Profos zu haben.
„Jetzt kontrollieren wir noch die Drehbassen und legen Musketen bereit“, sagte Old O’Flynn. „Und dann können diese Fleischvergifter antanzen. Sie werden ihre helle Freude haben. Daß man mich vergiften wollte, das vergißt ein O’Flynn nie im Leben. Da bin ich verdammt nachtragend.“
Da es immer noch sehr warm war, legten sich ein paar der Männer einfach auf die Planken, um auf Vorrat zu schlafen. Niemand zweifelte daran, daß sie in dieser Nacht noch recht unliebsamen Besuch erhalten würden.
Sie waren jedoch gewappnet und erwarteten ihre Gegner.
Auf dem einen südwärts segelnden Floß hockte Acosta am Ruder und grinste verzerrt vor sich hin.
Seine fünf anderen Kerle grinsten ebenfalls etwas mühsam. Sie waren heilfroh, so glimpflich davongekommen zu sein, und darüber palaverten sie jetzt auch noch.
„Das sind vielleicht ein paar blöde Kerle“, sagte Dino, ein dickwanstiger Bursche mit plattgedrückter Nase. „Bei mir hätte es keinen Pardon gegeben. Ich hätte alle abgeknallt.“
Die anderen pflichteten ihm lebhaft bei. Auch der Stotterer, den sie wegen seiner Aussprache Tartamudo nannten, gab ihnen recht. Aber weil er immer so lange brauchte, um einen Satz herauszubringen, nahm ihn keiner für voll, und sie hörten ihm auch gar nicht erst zu.
Aber es war bezeichnend für sie, daß sie jetzt groß herumtönten, seit sie ihre Freiheit wieder hatten.
Beide Flöße segelten fast nebeneinander in Richtung Süden. Es war jetzt später Nachmittag, und eine laue Brise trieb die Flöße langsam über das Meer.
Acosta warf immer wieder einen Blick zurück. Er sah das Wrack der „San Jacinto“ und achteraus von ihr die Karavelle. Dort waren die Kerle gerade dabei, etwas weiter achteraus zu verholen.
Auch die fünf anderen sahen gespannt dem Manöver zu, konnten es sich allerdings nicht erklären.
Noch etwas später sahen sie, wie ein Beiboot zu der zerschossenen Galeone gepullt wurde.
„Einen Kieker hätten wir mitnehmen sollen“, sagte Acosta. Dann ließ er für einen kurzen Augenblick das Ruder los und rieb sich die Hände.
„Jetzt gehen sie an Bord und werden eine Überraschung erleben. Die zweite wird noch folgen.“
Mittlerweile wußten alle Schnapphähne, was Acosta und Prado mit dem Proviant angestellt hatten.
„Ich kenne doch die Kerle“, sagte Acosta. „Sobald sie in der Proviantlast stehen und den verlockenden Speck sehen, werden sie nicht widerstehen können und sich ein paar Scheiben absäbeln. Dann finden sie den Wein und den Rum, und aus lauter Freude werden sie sich das Zeug zu Gemüte führen. Ist doch überall das gleiche“, meinte er mit einer wegwerfenden und verächtlichen Handbewegung. „Ich würde es ja auch nicht anders halten. Aber die sind bald geliefert.“
Seine Begeisterung steckte die anderen jedoch nicht an. Sie hatten kein richtiges Vertrauen mehr zu ihm, weil alles, was er bisher angepackt hatte, schiefgegangen war.
„Vielleicht sind sie schlauer, als wir denken“, sagte Esposito, ein Glatzkopf mit wildem Schnurrbart, der ihn brutal und hinterhältig aussehen ließ.
„Was heißt hier: Schlauer als wir denken?“ fuhr Acosta den Kahlköpfigen an. „Wenn ich mir etwas überlege, dann überlege ich es richtig, weil ich Kerle von der Sorte genau kenne. Nach einer Weile kippen die aus den Latschen.“
Miguel, Dino und Esposito warfen Acosta einen Blick zu, der mehr als deutlich ausdrückte, was sie von ihm hielten.
„Deine Pläne sind ja immer ganz gut“, meinte Miguel, „aber sie gelangen meist nicht zur Ausführung.“
Auf Acostas Stirn schwoll eine Ader dick an. Sein Gesicht begann sich heftig zu röten.
„Sei vorsichtig mit dem, was du sagst“, drohte er. „Ich kann auf dich ohne weiteres verzichten.“
„Wenn du auf einen nach dem anderen verzichtest, dann hast du bald niemanden mehr, und es dürfte dir im Alleingang sehr schwerfallen, noch das Gold zu ergattern.“
„Das sieht nicht nur Miguel so“, sagte Esposito, „das sehen wir anderen auch so. Bisher sind wir immer nur auf die Schnauze gefallen, mehr haben wir noch nicht erreicht.“
Acosta merkte selbst, daß seine Führungsrolle immer mehr abbröckelte. Aber er konnte es sich nicht leisten, noch einen seiner Kerle kaltblütig umzulegen. Auf dem Floß hätte es einen Aufstand gegeben, und außerdem wußte er nicht genau, wie Prado reagieren würde.
Acosta lenkte vorsichtig ein, denn auch die Kerle waren alle bewaffnet. Das Blatt konnte sich sehr schnell zu seinen Ungunsten wenden.
„Viel haben wir nicht erreicht, das ist schon richtig“, sagte er. „Aber es wird sich bald einiges ändern, dann nämlich, wenn wir richtig zuschlagen.“
„Wir haben schon oft zugeschlagen, aber leider immer ins Leere“, sagte Dino.
„Immer – immer – i – i – ins Lee – re“, wiederholte Tartamudo.
„Halt du lieber dein Maul!“ schrie Acosta den Stotterer an. „Bis du ein dämliches Wort gequasselt hast, haben wir längst das Gold.“
Die Entfernung zur „San Jacinto“ wurde immer größer. Jetzt waren auch an Deck des Wracks keine Einzelheiten mehr zu erkennen. Sie sahen nur noch ganz undeutlich und klein zwei oder drei Gestalten, die aber auch bald aus ihrem Gesichtskreis verschwanden.
Acosta versuchte sich weiterhin zu verteidigen, denn die gleichgültigen oder zweifelnden Blicke der Kerle ärgerten ihn maßlos. Sie taten so, als erzähle er Märchen, die sie schon hundertmal gehört hatten.
„Wir sind zwölf Mann, haben zwei Flöße und sind alle gut bewaffnet“, zählte er auf. „Außerdem sind wir aus der Reichweite dieser Bastarde. Wir werden nachher eine der kleinen Inseln anlaufen und die Dunkelheit abwarten. Bei Nacht ist die Karavelle dann fällig. Wenn wir Glück haben, lebt von den Kerlen bis dahin keiner mehr.“
Für Acosta war das alles immer sehr einfach – jedenfalls in seinen eigenen Vorstellungen. Er war stur entschlossen, sich das Gold doch noch mit Gewalt zu holen.
Aber schon etwas später erlebte er eine herbe Enttäuschung, obwohl seine eigenen Kerle fast schon wieder überzeugt waren, doch noch in den Besitz des Goldes zu gelangen.
Die Enttäuschung bereitete ihm Prado.
Auch auf seinem Floß befanden sich außer ihm fünf Kerle. Da waren Santos, Normando, Felipe, Senona und der listige Morro, letzter ein dürrer, aber zäher Kerl, der etwas mehr Verstand hatte als die anderen und auch immer überlegte, wenn er etwas tat.
Auch sie unterhielten sich, aber auf andere Weise, als Acosta sich das vorstellte.
Prado, der frühere Bootsmann der „Viento Este“, blickte aus schmalen Augen zu dem anderen Floß, wo Acosta an der Pinne hockte.
Acosta hatte offenbar wieder mal Schwierigkeiten mit seinen Kerlen, denn er brüllte herum und pfiff den Stotterer an. Da drüben regte sich offener Widerspruch.
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