„Und das fiel keinem auf?“ fragte der Kutscher. „Haben die Behörden denn nichts gemerkt?“
„Nein, wir sind ganz unauffällig eingesickert. Dann hatten wir Gelegenheit, auf einer Galeone anzuheuern, die unterbemannt war und einen Ruderschaden hatte. Sie sollte mit Gewürzen nach Spanien segeln. Der Kapitän hat sich über den Zuwachs gefreut.“
Später wohl kaum noch, dachte Carberry, aber das sagte er nicht. Statt dessen fragte er: „Diese Galeone war dann die ‚San Jacinto‘, wenn ich nicht irre. Das Wrack, auf dem wir jetzt stehen.“
„Ja, sie war es. Acosta riß ganz plötzlich das Kommando an sich und erschoß den Kapitän. Zehn Mann der Mannschaft stimmten für ihn und entschieden sich, unter seinem Kommando zu segeln. Die restlichen Männer waren gegen ihn und mußten sterben. Danach waren wir insgesamt zweiundzwanzig Kerle. Dann wollten wir die ‚Viento Este‘ leichtern, aber es ging alles schief.“
„Die Galeone war doch aber mit kostbaren Gewürzen beladen“, wandte der Kutscher ein.
„Das Zeug wurde über Bord geworfen, bis wir leer waren. So hatten wir die Laderäume frei für das Gold.“
„Dann war es wohl eine herbe Enttäuschung, als ihr das Gold auf der ‚Viento Este‘ nicht mehr fandet“, meinte Carberry.
„Acosta ist fast wahnsinnig geworden vor Zorn. Später entdeckten wir dann den Papagei und suchten nach euch. Aber ihr seid, immer unsichtbar geblieben. Schließlich hatten wir Angst vor euch, weil ihr dann zur Stelle wart, wenn es keiner vermutete.“
Er dachte wohl daran, wie sie ihnen bei Nacht und Nebel die Beiboote abgenommen und später das Ruder verkeilt hatten, bis die „San Jacinto“ in den Riffen aufgebrummt war.
„Jetzt kennen wir auch das Kapitel“, sagte der Kutscher. „Viel hat es ihnen bisher nicht eingebracht. Aber ich bin sicher, daß die Kerle immer noch nicht aufgegeben haben. Irgendwann werden sie zurückkehren, vielleicht in dieser Nacht noch. Dann werden sie versuchen, die ‚Empress‘ zu entern.“
„Darauf werden wir allerdings gefaßt sein“, knurrte Carberry. „Ich kann es kaum erwarten, bis dieser Acosta mit seiner Mörderbande aufkreuzt. Den nehme ich mir höchstpersönlich zur Brust, diesen Satan, diesen hinterhältigen.“
Stenmark beugte sich zu dem Mann hinunter und fragte: „Hat Acosta etwas von dem Überfall gesagt?“
Er erhielt keine Antwort. Der Mann schwieg.
Der Kutscher warf nur einen Blick auf ihn.
„Er wird dir keine Antwort mehr geben, Sten. Er ist tot. Mich wundert nur, daß er noch so lange ziemlich klar und deutlich gesprochen und alles erzählt hat.“
Der Schnapphahn, der jetzt sein Leben ausgehaucht hatte, starrte aus blicklosen Augen in den fast wolkenlosen Himmel. Noch im Tode hatte sich sein Grinsen verstärkt und war zu einer Fratze gefroren, die Schadenfreude ausdrückte. Wenigstens in seinen letzten Minuten hatte er seinen Kumpanen noch eins ausgewischt, indem er die Engländer vor dem vergifteten Proviant und dem Wein gewarnt hatte. Daß sie sowieso nichts angerührt hätten, wußte er nicht.
Jetzt lag er still und reglos da und hatte ausgelitten.
Der Kutscher sah sinnend auf den Toten.
„Immerhin hat er uns noch gewarnt, obwohl wir von dem Zeug ganz sicher nichts angerührt hätten. Das konnte er aber nicht wissen. Wir werden ihn auch mitnehmen und an Land bestatten.“
„Wir sollten auch noch etwas anderes tun“, sagte Carberry. „Ich habe mir gerade überlegt, daß es auch andere auf eine dieser Inseln verschlagen könnte. Schiffbrüchige etwa, die nichts mehr zu beißen haben. Wenn sie das Wrack entdecken, den Proviant, das Wasser, den Wein und all das Zeug, werden sie sich verständlicherweise davon bedienen. Es ist zwar kaum anzunehmen, daß das der Fall sein wird, aber die Möglichkeit besteht.“
„Das ist richtig“, sagte der Kutscher. „Daher werden wir das ganze Zeug einfach über Bord werfen.“
„Genau das hatte ich vor.“
„Und danach das gründliche Händewaschen nicht vergessen“, mahnte der Kutscher. „Ich weiß nicht, um welche Art von Gift es sich handelt. Jedenfalls müssen wir uns vorsehen.“
„Dann fangen wir gleich damit an.“
„Ich hole inzwischen die Pulverfässer“, sagte Nils. „Es sind zwar nur zwei, aber Pulver können wir immer gebrauchen. Donegal hat eine ganze Menge davon verballert.“
Mit dem Verbrauch von Schießpulver war Old O’Flynn wahrhaftig nicht gerade zimperlich umgegangen. Da kamen ihnen die beiden Fässer ganz recht.
Nils nahm auch gleich noch die Arzneikiste vom Kutscher mit und verstaute sie in der Jolle. Sie wurde jetzt nicht mehr gebraucht. Der Mann war tot und die drei anderen ebenfalls.
Dann holte er die beiden Fässer mit Schießpulver, die er ebenfalls im Beiboot zwischen den Duchten verstaute.
Als er zurückkehrte, fand er die anderen in der Kombüse und der angrenzenden Proviantlast.
Sie hatten ein paar Speckseiten auf die Kombüsenback gelegt und begutachteten sie.
„Ein Jammer, daß man aus Gemeinheit und Boshaftigkeit so mit dem Proviant umgeht und ihn verschwendet“, sagte der Kutscher gerade. „Diese Kerle sind wahrhaftig Ausgeburten der finstersten Hölle.“
„Glaubst du wirklich, daß das alles vergiftet ist?“ fragte Sven.
„Davon bin ich überzeugt. Wenn du genau hinsiehst, kannst du noch Spuren von einem grauweißen Pulver entdecken. Damit haben sie fast alles eingerieben. Dasselbe Zeug haben sie wahrscheinlich auch in das Trinkbare getan.“
Tatsächlich entdeckten sie kaum sichtbare feine Spuren einer grauweißen Substanz, die größtenteils bereits in den Speck eingedrungen war. Sie roch nach nichts, wie der Kutscher feststellte, als er einmal daran schnupperte.
„Noch besser wäre es, den ganzen Kahn in Brand zu stecken“, meinte Carberry. „Dann hat alles ein Ende.“
„Das halte ich für sinnlos. Weshalb sollen wir die Galeone in Brand stecken, Ed? Denk doch mal an die potentiellen Schiffbrüchigen, die hier landen und das Holz gut verwerten könnten.“
„Was für Kerle?“ fragte Carberry. Er sah den Kutscher verblüfft an.
„Potentielle Schiffbrüchige“, wiederholte der Kutscher geduldig.
„Hab’ ich noch nie gehört“, versicherte der Profos. „Ich kenne echte Schiffbrüchige und Gestrandete, oder an Land geschwommene, aber die Dingsda – äh – pot… Äh – werden sich nicht ausgerechnet in diese Ecke verirren.“
„Potentiell steht für mögliche Schiffbrüchige. Das ist so ein Ausdruck für etwas, das eintreten könnte, aber noch nicht Wirklichkeit ist.“
„Dann sag doch gleich, was du meinst, sonst versteht das ja kein Mensch. Dein Latein geht mir langsam auf den Geist.“
„Latein gehört nun einmal zu einem Feldscher oder zu einem Arzt. Das hat Doc Freemont immer gesagt, daher habe ich es auch bei jeder Gelegenheit gelernt.“
„Bei uns kannst du dich jedenfalls ganz normal ausdrücken“, erlaubte Carberry großzügig.
Daraufhin lächelte der Kutscher nur feinsinnig. Immer wenn der Profos etwas nicht gleich kapierte, ärgerte er sich.
Carberry und Sten luden sich ein paar Speckseiten auf die Schulter, trabten damit an Deck und warfen sie über Bord. Mit lebhaftem Bedauern natürlich.
Nach und nach wurde auch das andere Zeug über Bord geworfen.
Am meisten zerriß es dem Profos das Herz, daß der Wein und auch der Rum weggeschüttet werden mußte. Da kriegte er sich fast nicht mehr ein, wie er glaubhaft versicherte.
„Schon dafür gehört den Strolchen was auf die Nüstern“, sagte er grimmig. „Das schöne Zeug! Jetzt wandert es über Bord, dabei hätte man so herrlich einen gluckern können.“
„Wir haben ja noch auf der ‚Empress‘ was“, sagte Sven, aber das war für den Profos auch nur ein schwacher Trost.
Nach einer knappen halben Stunde waren Kombüse und Proviantlast ausgeräumt. Im Wasser schwammen Speckseiten, Mehlreste und Fett. Es sah nicht gerade appetitlich aus.
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