Seine Schmerzen in der Brust wurden unerträglich und waren kaum noch auszuhalten, doch das kümmerte die Kerle nicht. Er haßte sie plötzlich alle, er verachtete sie und wünschte sie in die tiefste Hölle, während sie sich grinsend unterhielten und ihn nicht zur Kenntnis nahmen.
„Dann verziehen wir uns jetzt“, hörte er sie murmeln.
Er schickte ihnen einen unhörbaren Fluch nach. Selbst wenn es ihm gelang, sich von seinen Fesseln und dem Knebel zu befreien, würde er elend zugrunde gehen, denn er hatte ja eben gehört, daß sie alles Eßbare vergiftet hatten, auch den Wein. Vielleicht hatten sie auch das Trinkwasser vergiftet.
Möglicherweise kamen die anderen Kerle aber überhaupt nicht an Bord, und dann war es aus mit ihm.
„Ab auf die Flöße“, sagte Acosta. „Such dir fünf Kerle aus, Prado.“
„Santos, Felipe, Normando, Morro und Senona. Ihr segelt mit mir.“
Die fünf anderen Kerle übernahm Acosta. Prado hatte damit jetzt die Kerle an Bord, die etwas gegen Acosta hatten und ihn nicht ausstehen konnten.
Die ersten enterten schon ab. Sie hatten auch Musketen dabei, doch die waren heimlich nach unten gebracht worden.
Acosta ging als letzter von Bord. An der Jakobsleiter warf er noch einen letzten Blick über das zerschossene und zerstörte Deck. Jetzt, nachdem sie das Holz für die Flöße herausgesägt und gehackt hatten, sah das Schiff noch wüster und schlimmer aus.
Da lagen die drei Toten und etwas weiter der gefesselte Mann, der ihn aus großen und weitgeöffneten Augen anstarrte. Acosta las unbeschreiblichen Haß in diesem Blick. Der Kerl hätte ihn auf der Stelle umgebracht, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre.
Er grinste mitleidlos zurück und enterte dann ab.
Kurz darauf segelten die beiden Flöße in südlicher Richtung davon.
Auf der „Empress“ hatte man alles genau verfolgt. Nur daß Musketen auf die Flöße gebracht worden waren, entging den Männern.
Auf dem ersten Floß hockte der stiernackige Anführer, der den weißen Fetzen geschwenkt hatte. Er drehte sich um und hob wie grüßend die Hand, aber es war eine höhnische Geste.
Carberry hatte schmale Augen, als er den Flößen nachsah.
„Wir pullen nachher mal rüber“, sagte er, „und sehen uns den Kasten an, ob auch wirklich alle Mann von Bord verschwunden sind. Ich werde das Gefühl nicht los, daß die Halunken noch etwas auf der Pfanne haben. Dieses ungewaschene Rübenschwein gab sich ein bißchen überheblich. Vielleicht haben sie doch noch etwas ausgebraten.“
„Zum Beispiel?“ fragte Nils Larsen.
„Na, zum Beispiel könnten sie eine Lunte an die Pulverkammer gelegt haben. Sie rechnen damit, daß wir uns auf der Galeone umsehen, und dann bläst es uns in die Luft.“
Der Kutscher sah den Profos nachdenklich an.
„Die Zeit können sie nicht berechnen, weil sie nicht wissen, ob und wann wir an Bord gehen. Aber wir liegen nur knapp fünfzig Yards von dem Kasten entfernt. Sollte der wirklich mit einer Pulverladung hochgehen, dann kann Old Donegal seine Karavelle vergessen. Ich empfehle dir also …“
Der Kutscher brauchte nichts mehr zu empfehlen. Old O’Flynn geriet fast wieder aus dem Häuschen, als er das hörte. Gerade jetzt hatten sie ihr feines Schiffchen wieder – und dann … No, Sir!
„Hievt den Anker, und dann nichts wie ab!“ rief er schrill. „Und beeilt euch damit, zur Hölle!“
Sie beeilten sich wahrhaftig, denn jetzt war auch der Profos von seiner Vermutung überzeugt. Noch während sie in aller Eile die Segel setzten, warfen sie immer wieder einen mißtrauischen Blick zu der zerschossenen Galeone. Einmal glaubte Martin Correa auch eine winzige Rauchwolke aufsteigen zu sehen, doch das erwies sich als reiner Irrtum.
Inzwischen war eine halbe Stunde vergangen, bis sie in sicherer Entfernung von der Galeone wieder vor Anker lagen. Weit im Süden segelten die beiden Flöße mit den Schnapphähnen.
Sie gaben noch einmal eine Viertelstunde zu.
„Fehlanzeige“, murmelte Carberry. „Da war wohl nichts mit einer Lunte und Pulverladung. Vielleicht haben sie kaum noch Pulver an Bord. Ich denke, wir sollten jetzt einmal nachsehen.“
Der Kutscher glaubte ebenfalls nicht daran, daß jetzt noch etwas passieren würde.
„Nun, man kann sich ja auch mal irren“, sagte Carberry. „Vorsicht war in diesem Fall jedenfalls angebracht.“
Old O’Flynn nickte bekräftigend. Er hatte sich wieder beruhigt, als er sah, daß nichts passierte.
„War ganz gut, daß wir verholt haben. Später hätte ich mir die größten Vorwürfe gemacht, wenn es wirklich geknallt hätte.“
Die Jolle war abgefiert und lag längsseits.
„Stenmark, Nils und Lars gehen mit mir“, sagte Carberry. „Jetzt werden wir dem Schiffchen mal auf den Zahn fühlen.“
„Nehmt Waffen mit“, riet Old O’Flynn. „Ich habe immer noch das verdammte Gefühl, als würde da drüben etwas passieren.“
Sie bewaffneten sich mit Blunderbussen und Pistolen. Dann enterten die vier Männer in die Jolle ab.
Hasard und Philip junior hatten die aufgebrummte „San Jacinto“ unterdessen fast pausenlos mit dem Kieker beobachtet.
„Da drüben rührt sich nichts“, meldete Philip. „Aber das heißt deshalb noch lange nicht, daß auch alles in Ordnung ist.“
Carberry nickte den Zwillingen freundlich zu. Den beiden hatten sie eine Menge zu verdanken, denn schließlich waren sie es gewesen, die die Höhle entdeckt hatten, in der sie Schutz fanden und in der jetzt das viele Gold lagerte.
Dann griffen sie zu den Riemen und pullten zur „San Jacinto“ hinüber.
Als sie näher heran waren, beäugten sie das Schiff mißtrauisch. Es war nur noch ein Wrack, und es gab seltsame Töne von sich wie ein großes krankes Tier, das sich vor seinem Tod verkrochen hat.
„Was sind das für unheimliche Geräusche?“ fragte Stenmark.
Da war ein Raunen und Flüstern zu hören. Hin und wieder knackte es, und dann folgte ein dumpf klingendes Gemurmel. Einmal hörten sie klar und deutlich ein Ächzen.
Der Profos runzelte die Stirn. In der rechten Hand hielt er feuerbereit einen Blunderbuss. Sie trieben jetzt genau auf die immer noch ausgebrachte Jakobsleiter zu.
Die Geräusche wiederholten sich. Knacken, Ächzen und wieder dieses merkwürdige Wimmern.
„Das Schiff stirbt“, sagte Carberry, „und dabei verursacht es diese unheimlichen Geräusche. Ferris sagt immer, daß es dann seine Seele aushaucht. Das ist eine ganz natürliche Erklärung, weil das Holz pausenlos arbeitet.“
Er zuckte aber doch zusammen, als wieder das wimmernde Geräusch erklang. Dumpf und halb erstickt war es zu hören. Dann kamen wieder andere Geräusche hinzu.
Die Jolle wurde an der Jakobsleiter vertäut. Von der „Empress“ aus wurden sie scharf beobachtet.
Carberry enterte als erster auf und blieb neben dem Schanzkleid stehen, um sich einen allgemeinen Überblick zu verschaffen. Die anderen folgten und sahen sich ebenfalls aufmerksam um.
„Himmel, sieht der Kahn aus“, sagte Sven. „Da müssen wir aber genau aufpassen, wo wir hintreten, sonst sausen wir nach unten.“
Scharfkantige gezackte Löcher befanden sich im Deck der Kuhl. Auf der Back und den anderen Decks sah es nicht besser aus.
„Da hat’s mächtig eingeschlagen“, meinte Stenmark. „Wir sollten uns jetzt aber mal um die Pulverkammer kümmern.“
Der Profos marschierte schon los und umging die tückischen Löcher und angeknacksten Planken. Er hatte immer noch so ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend und traute dem Frieden nicht.
Als sie jedoch die Pulverkammer erreichten und das Schott öffneten, sahen sie sich erleichtert an.
„Zwei armselige Fäßchen“, sagte Carberry. „Damit konnten sie keinen großen Feuerzauber mehr veranstalten. Aber es hätte trotzdem gereicht, um den Eimer in die Luft zu blasen.“
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