Nach einer weiteren halben Stunde hauchte auch der dritte Hai sein Leben aus. Auch er wand sich in wilden Zuckungen, bis er dicht vor die Bordwand der Karavelle trieb.
„Das will ich genau wissen“, sagte der Profos. „Wir hieven ihn an Bord und sehen mal nach, was er im Magen hat.“
„Speck“, sagte der Kutscher lakonisch. „Was sonst! Genau daran ist er eingegangen.“
Dem Profos aber ließ das keine Ruhe.
„Das muß ja ein fürchterliches Gift sein“, sagte er, „wenn schon Haie daran krepieren. Das hätte ich nie geglaubt.“
„Hievt den lieber nicht an Deck“, sagte Old O’Flynn schaudernd. „Nachher vergiftet er uns noch alle.“
„Da kann nichts passieren, Donegal. Wir sehen mal nach.“
Die Zwillinge waren wieder einmal voller Begeisterung bei der Sache. Sie brachten auch sogleich Taue herbei.
Carberry streifte das Auge eines Taues dem vor der Bordwand treibenden Hai über den Schädel. Sven und Nils verfuhren mit dem Schwanzende des Haies ebenso.
Dann packten alle mit an und hievten den Hai an Deck. Er war so lang wie ein ausgewachsener Mann und rührte sich nicht mehr.
Der Profos erlebte jedoch eine üble Überraschung, als er sich mit dem Entermesser in der Faust über den Hai beugte. Er setzte gerade zum Schnitt an, als der Hai ganz überraschend lebendig wurde.
Der große Fisch riß das Maul mit den gewaltigen Zähnen auf und schnappte zu. Gleichzeitig krümmte sich der Körper, und die Schwanzflosse holte zu einem gewaltigen Schlag aus.
Gedankenschnell sprang der Profos vor dem zuschnappenden Kiefer noch rechtzeitig zur Seite. Doch dem Schlag mit der Schwanzflosse vermochte er nicht mehr auszuweichen.
Ein gewaltiger Schlag säbelte ihm die Beine unter dem Leib weg.
Edwin Carberry sauste quer über die Planken, verlor das Entermesser und donnerte mit dem Schädel an die Unterkante des Schanzkleides.
Dort blieb er für ein paar Augenblicke liegen, als hätte ihn ein gewaltiger Schwinger von den Beinen gerissen.
Der Hai aber begann an Deck zu toben. Er wand sich wie ein Riesenaal. Sein fürchterliches Maul öffnete und schloß sich. Der Leib zuckte wie wild, der Schwanz teilte Schläge nach allen Richtungen aus.
Die Männer sprangen fluchend zur Seite. Old O’Flynn begann lautstark zu zetern.
„Das habe ich gleich gewußt. Das Biest zertrümmert uns noch das ganze Schiff.“
Carberry berappelte sich und kam wieder auf die Beine. Dabei schüttelte er ärgerlich den Kopf. Ein ganzer Bienenschwarm hatte sich dort eingenistet und summte in den höchsten Tönen.
Die Bordhündin Plymmie stürzte sich auf das zappelnde und um sich schlagende Monstrum. Sie knurrte heiser, hatte die Lefzen hochgezogen und versuchte, nach dem Hai zu schnappen. Wie wild stürzte sie sich darauf. Aber sie konnte keinen Biß anbringen, ihre Fänge schnappten jedesmal an der rauhen Haut vorbei und glitten ab.
Old O’Flynn raufte sich inzwischen fast die Haare. Übergangslos hatte sich die Karavelle in ein Tollhaus verwandelt.
Sir John schrie Zeter und Mordio, Plymmie schnappte nach dem Hai, und die anderen beeilten sich, den wilden Schwanzschlägen auszuweichen, die immer heftiger wurden.
Old O’Flynn schnappte sich eine Pistole, visierte kurz an und feuerte auf den Hai. Aber der Schuß ging in der Aufregung in die Planken und jaulte als plattgedrückter Querschläger schräg in den nachmittäglichen Himmel.
Fast hätte es dabei noch Sir John erwischt. Der Papagei flatterte fürchterlich schimpfend und zeternd hoch in die Luft.
Das wiederum brachte den Profos in Braß.
„Bist du verrückt, auf Sir John zu schießen!“ brüllte er.
Aber da war er bei Old Donegal an der richtigen Adresse. Der war jetzt auch geladen, weil das wilde Biest nicht zu bändigen war.
„Dein Scheißhai!“ schrie er zurück. „Du bist verrückt, so ein Mistvieh an Bord zu hieven. Außerdem habe ich nicht auf deinen dreimal verdammten Aasgeier geschossen!“
Den Profos überfiel wilde und jähe Wut. Er hatte sich von dem Hieb immer noch nicht so richtig erholt, und jetzt wurde er äußerst aggressiv und angriffslustig.
Er hob sein Entermesser auf, stürzte sich auf den zückenden Fisch, rammte ihm das Messer in die Seite und zog es wild durch.
Nils Larsen feuerte zugleich einen Schuß aus nächster Nähe in den Schädel des Haies ab.
Ein letztes wildes Zucken, ein Aufbäumen erfolgte. Dann schlug der Schwanz nur noch einmal matt über Deck.
Eine zweite Kugel, diesmal von Stenmark abgefeuert, gab dem Riesenfisch endgültig den Rest.
„Aus und vorbei“, sagte der Kutscher erleichtert, als der Hai ruhig und blutend auf den Planken lag.
Aber noch war gar nichts aus und vorbei, denn jetzt gerieten sich Old O’Flynn und der Profos wieder in die Haare.
Der Profos war dabei allerdings etwas ungerecht.
„Gar nichts ist vorbei!“ brüllte O’Flynn. „Jetzt haben wir die Sauerei an Deck, nur weil dieser Hornochse mal nachsehen wollte, was der Hai im Magen hat.“
„Und du Oberhornochse schießt auf unschuldige Vögel!“ röhrte Carberry. „Immer drauf, ohne Rücksicht auf Verluste!“
„Ich hab’ nicht auf deine Krachente geschossen“, verteidigte sich der Alte stocksauer. „Ich hab’ auf das Mistvieh gefeuert, aber das geht in deinen dösigen Schädel wieder mal nicht hinein. Der Hai hätte uns beinahe umgebracht.“
„Quatsch! Gar nichts hätte er! Ich hätte das Vieh schon erledigt!“
„Das hat man gesehen“, höhnte Old Donegal. „Der hat dir eins übergebraten, daß du fast über Stag gegangen wärst. Der Mist wird jetzt über Bord gefeuert. Noch bin ich der Kapitän.“
„Jetzt, nachdem er tot ist, hast du noch Angst vor ihm, was, wie? Du brauchst gar nicht dauernd zu betonen, daß du der Kapitän von diesem Geisterschlorren bist, das wissen wir längst.“
„Was heißt hier Geisterschlorren?“ empörte sich der Alte.
„Na, ist das etwa kein Geisterschlorren? Haut klammheimlich ab und kehrt klammheimlich zurück.“
„Wärmt nur den alten Kram wieder und streitet weiter“, sagte der Kutscher ruhig. „Etwas anderes könnt ihr ja nicht. Wir werfen das Vieh über Bord, reinigen das Deck, und damit ist der Vorfall erledigt. Und ihr beiden Streithähne gebt euch die Hand und vertragt euch wieder.“
„Ha, dem werde ich meine Hand geben“, wetterte Old O’Flynn. „Der kriegt es glatt fertig und gibt sie nicht mehr zurück. Der hat doch zuviel Wind auf der Mühle, hat der.“
Der Kutscher nahm einen neuen Anlauf, weil es nicht so aussah, als würden die beiden Kampfhähne ihren unsinnigen Streit beenden.
„Vielleicht tut’s ein kleiner Schluck Rum zur Versöhnung.“
„Sagtest du Rum?“ fragte Old Donegal. „Das wäre direkt zu überlegen.“
„Aber erst, wenn ich dem Vieh den Bauch aufgeschnitten habe“, sagte Carberry. Seine Stimme klang jetzt ein wenig gedämpfter, seit er etwas von einem Versöhnungsschluck gehört hatte.
Schließlich einigte man sich darauf, daß man „einmal nachsehen“ würde. Immerhin war der Hai jetzt ungefährlich. Er würde auch nicht mehr ganz überraschend zum Leben erwachen, denn sein Blut färbte bereits die Planken rot.
„Also gut“, sagte Old O’Flynn schließlich. „Dann fang endlich an, damit die Schweinerei ein Ende hat.“
Es gab keine sonderliche Überraschung, als der Mageninhalt des Hais auf den Planken lag. Er hatte große Teile der Speckseite aus dem Stück gesagt. Ansonsten fanden sie nur noch die vermatschten Überreste zweier kleinerer Tintenfische. Mehr enthielt der Haimagen nicht.
Der Profos war’s zufrieden, denn jetzt hatte er die Gewißheit, daß der große Fisch an dem vergifteten Speck eingegangen war.
„Und wo ist die Buddel mit Rum?“ fragte er.
„Die gibt es erst, wenn die Planken wieder sauber sind.“ In der Beziehung gab Old O’Flynn um keine Handbreite nach.
Читать дальше