Aber für den Speck begannen sich bereits zwei kleinere Haie zu interessieren. Sie umkreisten die im Wasser schwimmenden Brocken und näherten sich neugierig, wobei sie immer engere Kreise zogen.
„Verderbt euch nur nicht den Magen“, warnte Carberry. „Aber ihr habt ja einen anderen Pansen als wir.“
An Bord befand sich jetzt nichts mehr, was noch mitnehmenswert gewesen wäre. Das Schiff gab nichts mehr her. Es war nur noch ein Wrack, das bald der See und den Klippen zum Opfer fallen würde. Sturm und Wellen würden an ihm fressen, und eines Tages würde nur noch ein mageres Gerippe zwischen den Klippen liegen, bis auch die letzten Spuren verschwunden waren.
„Was jetzt?“ fragte Stenmark. „Wenn wir die vier Toten mitnehmen, haben wir in der Jolle nicht alle Platz. Ich schlage vor, Nils und Sven pullen den Kutscher zur Karavelle, und Nils kehrt allein wieder zurück und bringt noch zwei oder drei Schaufeln mit. Ihr könnt den anderen inzwischen Bericht erstatten.“
„In Ordnung“, sagte der Kutscher. „So werden wir es halten. Wenn wir euch bei der Bestattung helfen sollen, dann gebt Bescheid. Ihr müßt ja schließlich nicht allein bei der Hitze schuften.“
Carberry wedelte abwehrend mit der Hand.
„Wir heben zwischen den Felsen im Sand eine größere Grube aus und beerdigen sie dort.“
Der Kutscher, Nils und Sven enterten ab und pullten zur „Empress“ hinüber. Nachdem sie drüben angelegt hatten, kehrte Nils allein wieder zurück und brachte drei Schaufeln mit.
„Bevor wir die Toten zum Strand bringen“, sagte Carberry, „durchsuchen wir noch einmal schnell alle Räume, auch die Laderäume. Ich will mir später keine Vorwürfe machen, daß wir doch noch jemanden übersehen haben.“
Sie begannen, noch einmal das Schiff auf den Kopf zu stellen. Aber es wurde niemand mehr gefunden. In die Laderäume war ebenfalls Wasser eingedrungen. Ins Achterschiff konnte man ebenfalls nicht mehr hinein, weil dort alles unter Wasser stand.
Jetzt begann für sie die unangenehme Arbeit, die vier Toten ins Beiboot zu bringen.
„Geh du in die Jolle, Nils und nimm sie uns ab. Wir lassen sie an einem Tau hinunter.“
Carberry und Stenmark holten den ersten Toten, banden ihm ein Tau um den Leib und fierten ihn nach unten ab, wo Nils ihn zwischen die Duchten legte.
Dann wurde der zweite, dritte und schließlich der vierte Tote nach unten gebracht.
Die vier Leichen, die kreuz und quer zwischen den Duchten hingen, boten einen schaurigen Anblick. Bei jeder noch so kleinen Welle schien das Leben wieder in sie zurückzukehren. Einer von ihnen erweckte den Eindruck, als winke er zum Abschied mit der Hand zur „Empress“ hin.
Dann aber hatten sie die grausige Fracht endlich an Land.
Schweigend gingen sie daran, eine größere Grube zwischen den Felsen auszuheben. Die Sonne stach heiß vom Himmel. Es war jetzt Nachmittag, und die Hitze schien immer größer zu werden. Schon bald rann ihnen der Schweiß in Bächen über die Stirn.
„Christenpflicht kann manchmal ganz schön anstrengend sein“, sagte Stenmark. „Aber wir haben es gleich geschafft.“
Verbissen schaufelten sie weiter. Als der Profos einmal kurz verschnaufte, sah er dicht neben der „San Jacinto“ heftige Bewegungen im Wasser. Neben dem Schiffsrumpf schien das Wasser zu kochen und zu brodeln.
„Haie“, sagte Nils. „Die fallen jetzt über den Speck her.“
Die Grube war endlich fertig. Die vier Toten wurden hineingelegt. Dann schaufelten sie die Grube wieder zu und legten einen größeren Stein darauf.
In der Nähe des Wracks pfeilten die Haie weiter durchs Wasser und gebärdeten sich wie toll.
Der Profos empfahl die sündigen Seelen dem Herrn und kehrte zur Jolle zurück.
„Vergeßt nicht, was der Kutscher gesagt hat“, mahnte er. „Wir sollen uns ordentlich die Hände waschen, damit wir nichts von dem lausigen Gift abkriegen.“
Sie wuschen sich ausgiebig die Hände, wie der Kutscher empfohlen hatte, stiegen in die Jolle und kehrten zur „Empress“ zurück.
Old O’Flynn stand an Deck – mit roten Ohren und dickem Hals. Er war voll in Braß.
„Ich überlege gerade“, sagte er grimmig, „ob wir diesen Bastarden nicht doch hinterhersegeln sollen. Nach allem, was sie getan haben, sollte man ihnen einen Denkzettel verpassen. Wir schießen ihnen die Flöße zusammen und lassen sie an Land schwimmen. Dann sollen sie meinetwegen auf der nächstbesten Insel vergammeln. Die Halunken haben es nicht besser verdient.“
„Die Rachegefühle sind ja durchaus verständlich“, meinte der Kutscher, „doch inzwischen sind die Kerle längst über alle Berge. Sie stecken irgendwo südlich hinter den Inseln. Wenn wir denen folgen, können wir den ganzen Tag bis zur Nacht mit der Suche verbringen, wobei es immer noch fraglich bleibt, ob wir sie überhaupt finden.“
Old O’Flynn wollte wieder mal mit dem Schädel durch die Wand und bedauerte lebhaft, daß sie die Strolche überhaupt hatten abziehen lassen.
Aber schließlich siegte die Vernunft.
„Keine Sorge“, sagte der Kutscher. „Wir werden sie schon noch wiedersehen. Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, daß sie noch nicht aufgegeben haben. Warum sollen wir hinterhertörnen, wenn sie uns ohnehin einen Besuch abstatten werden? Wir werden auf der Hut sein und sie gebührend empfangen. Möglicherweise können wir schon für die heutige Nacht mit einem Überfall rechnen.“
Die Argumente des Kutschers überzeugten auch Old O’Flynn schließlich.
„Gut“, sagte er, immer noch zornerfüllt. „Dann verholen wir jetzt auf gleicher Höhe zu der Galeone und legen uns vor der Westküste auf die Lauer. Danach können wir uns aufs Ohr hauen, um später gerüstet zu sein. Eine Wache genügt.“
Da von der „San Jacinto“ absolut keine Gefahr mehr drohte, hievten sie den Anker, setzten die Segel und verholten.
Auf gleicher Höhe vor der aufgebrummten Galeone wurde dann erneut der Anker gesetzt.
„Ich werd’ glatt verrückt“, sagte Carberry, als die Karavelle ruhig vor Anker lag und sie Zeit hatten, sich umzusehen. „Schaut mal dort hinüber.“ Dabei wies er mit dem ausgestreckten Finger zu der Galeone hin.
Was sie sahen, schockierte sie doch.
Ganz in der Nähe, etwa zwanzig Yards von der „Empress“ entfernt, trieben zwei Haie. Sie hatten die Bäuche nach oben gedreht. Ihre aufgesperrten Mäuler schnappten haltlos ins Leere. Die großen Fische zuckten, als litten sie unter heftigen Krämpfen. Einer bewegte sich nur noch ruckartig durch das Wasser. Dann lag er wieder still da, zuckte erneut und raste im Zickzack hin und her. Das Spiel wiederholte sich ein paarmal hintereinander. Der große Fisch schoß danach bis auf den Grund, wühlte den Sand auf und kam schlingernd wie betrunken an die Oberfläche.
Nach einer Weile rührte er sich nicht mehr. Der zweite Hai schien ebenfalls tot zu sein. Die Wellen trieben ihn langsam dem Ufer zu.
„Die haben den durchwachsenen Speck gefressen“, sagte der Kutscher unbehaglich. „Das haben wir schon vorhin beobachtet.“
„Und der Speck war vergiftet“, fügte der Profos hinzu. „Dabei dachte ich, daß ihnen das nichts ausmacht. Jetzt stellt euch nur mal vor, daß wir von dem Zeug gemampft hätten! Dann würden wir uns jetzt ebenfalls in Zuckungen winden.“
Die Fische rührten sich nicht mehr. Mit ihren nach oben gerichteten hellen Bäuchen trieben sie immer näher ans Ufer.
Zwei weiteren kleinen Haien schien es ähnlich zu ergehen. Einer donnerte wie benommen an den Rumpf der Galeone, daß das Geräusch deutlich bis zur „Empress“ hinüber zu hören war. Der andere raste wild durchs Wasser und schoß auf die Riffe zu. Dort verschwand er etwas später, ohne daß sie ihn noch einmal sahen.
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