„Recht so“, sagte Salimbene und nagte an dem Schenkel eines gebratenen Hühnchens, das sie aus einem der Häuser hatten mitgehen lassen. „Was weiter passiert, geht uns nichts an.“
„Sie werden uns suchen“, entgegnete Rubirosa.
„Die haben was anderes zu tun“, sagte Salimbene. „Wir bleiben erst mal hier, in unserem Versteck. Hier vermuten sie uns am allerwenigsten.“
El Moreno lachte leise und trank einen tüchtigen Schluck Rotwein. Sie hatten ein Faß aufgetrieben und es zu den Silberbarren auf den Karren gepackt.
„Es war eine gute Idee von dir, hierher zurückzukehren“, sagte er, nachdem er sich mit dem Handrücken den Mund abgewischt hatte. „Hier sind wir sicher. Ob wir noch ganz abhauen oder nicht, können wir ja in den nächsten Tagen entscheiden.“
„Ja“, sagte Salimbene mit bedächtigem Nicken. „Erst mal ruhen wir uns aus. Das haben wir wohl verdient.“
Romano Casablanca trat zum selben Zeitpunkt in das milchige Licht des jungen Morgens und überlegte sich, was zu tun sei. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß niemand mehr in den Gassen lauerte, vor dem man Angst haben mußte, begab er sich zum Haus des Schmiedes.
Er klopfte an die Tür und sagte zu der Frau des Schmiedes, die mit vor Schreck geweiteten Augen aus dem Fenster blickte: „Wir brauchen Ihren Mann, Señora. Es befinden sich noch Señores im Kerker, die befreit werden müssen.“
„Mein Mann – ist verletzt“, stotterte sie. Doch dann erschien der Schmied selbst. Sein Gesicht war verschrammt und von Beulen und blauen Flecken gezeichnet, seine Schulter verbunden. Geringschätzig musterte er den Besucher.
„Ich habe heute nacht gegen das Gesindel gekämpft“, sagte er mit dunkler, drohender Stimme. „Wo waren Sie, Señor Casablanca?“
„Ich habe meine Familie beschützt.“
„Hinter verschlossenen Türen und Fenstern?“
„Das geht Sie nichts an.“
„Was wollen Sie?“
„Die Männer im Stadtgefängnis – der Bürgermeister, der Rat, der Präfekt, die Soldaten und Aufseher. Wir haben sie vergessen“, entgegnete Casablanca.
Der Schmied schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Das ist wahr! Aber wer kriegt sie dort wieder raus?“
„Nur Sie können es schaffen“, sagte Casablanca, dann schritt er davon.
Kurze Zeit darauf suchte der Schmied mit einigen Helfern die Plaza auf, an der das Gefängnisgebäude stand. Dann begann ein hartes Stück Arbeit: Zunächst mußte das Portal aufgebrochen werden, das von dem „Monstrum“ sorgsam verschlossen worden war. Carberry hatte wirklich für alles gesorgt, und so schnell sollten die ehrenwerten Señores, die von den winzigen Fenstern aus die Bemühungen der Männer verfolgten, die ersehnte Freiheit nicht wiedererlangen.
Was jetzt geschah, war eine schweißtreibende Schufterei für den Schmied und seine vier Gesellen, die mit schweren Hämmern die Schlösser der Ketten und dann der Gittertüren zertrümmern mußten. Stunden dauerte das – und manch einer der Señores vom Rat glaubte bereits, daß es nicht mehr gelingen würde.
„Wir sitzen hier ewig fest“, jammerte einer von ihnen.
„Hier kommen wir nicht mehr raus“, sagte ein anderer und verdrehte die Augen.
„Wir verhungern“, sagte ein dritter. „Oder die Ratten fallen über uns her. Wir verrecken elend. Und das alles haben wir nur Don Ramón de Cubillo zu verdanken.“
„Ja, das stimmt“, pflichtete der Präfekt ihm bei. „Wenn er sich den Forderungen dieser Kerle nicht so bereitwillig gebeugt hätte, wäre das alles nicht passiert.“
Schließlich zerbrachen aber auch die letzten Schlösser, und die Ketten rasselten zu Boden. Die Gittertüren wurden aufgerissen, und sofort eilten die Señores des Stadtrates ins Rathaus, um entsprechende und der Situation angemessene Entschlüsse zu fassen.
„Es ist alles die Schuld des Provinzgouverneurs!“ rief wieder der Mann, der schon vorher Don Ramón de Cubillo belastet hatte.
„Nein!“ widersprach der Bürgermeister. „Schuld haben wir alle!“
„Sie ganz besonders, Señor!“ entgegnete ein Ratsmitglied.
„Das ist eine infame Lüge!“ brüllte der Bürgermeister ihn an. „Nehmen Sie das sofort zurück, Señor!“
„Den Teufel werde ich tun!“
„Ruhe!“ schrie der Präfekt. „Nehmen Sie endlich Vernunft an! So kommen wir nicht weiter!“
Aber es ging auch weiterhin bissig und hitzig zu, weil einer dem anderen die Schuld zuschob. Schließlich war es jedoch der Bürgermeister, der einen heroischen Entschluß faßte.
„Señores“, sagte er, als wieder etwas Ruhe eintrat. „Sie sehen in mir nunmehr den Stellvertreter des Provinzgouverneurs, da dieser nicht mehr zugegen ist. Ich ersuche Sie in aller Form, die Ruhe zu bewahren und auf mein Wort zu hören.“
„Sehr richtig“, sagte der Präfekt. „Alles hört auf den Señor Bürgermeister!“
„Vielleicht können wir die Feinde der Krone doch noch packen“, sagte der Bürgermeister. „Zumindest können wir einiges unternehmen, um wenigstens Arica zu warnen. Folgendes also: Ein Bote begibt sich sofort nach Sucre und holt unseren Stadtkommandanten und die Truppe zurück.“
„Jawohl!“ rief ein Ratsherr.
„Gut so!“ fügte ein anderer hinzu.
„Ich verbitte mir jeden Zwischenruf“, sagte der Bürgermeister. Er fühlte sich in seinem Amt bestätigt, das Selbstvertrauen kehrte in ihn zurück. „Weitere zwei Boten setzen sich unverzüglich nach Arica in Marsch, um den dortigen Bürgermeister und Stadtkommandanten erstens zu warnen und zweitens, um sie um Unterstützung zu bitten.“
„Das halte auch ich für das allerbeste“, sagte der Präfekt, verstummte aber sofort wieder, als der Bürgermeister weitersprach.
Der Bürgermeister warf sich ein wenig in die Brust und hob das Kinn. Erst blickte er die Versammlung an, dann fuhr er fort: „Arica muß versuchen, die fremden Banditen, die Don Ramón entführt haben, aufzugreifen und festzusetzen, denn es ist so gut wie sicher, daß sie sich nach Arica gewandt haben, von wo aus sie aller Wahrscheinlichkeit nach mit Schiffen verschwinden werden.“
Die Ratsmitglieder klatschten Beifall. Der Bürgermeister sah dies als den besten Beweis dafür an, daß man ihm wieder den erforderlichen Respekt zollte. Und es war ja auch nicht seine Schuld, daß sich alles derart fatal entwickelt hatte. Wenn jemand die Schuld daran trug, daß die Banditen Potosi überhaupt hatten überfallen können, dann war es Don Ramón de Cubillo, dem es aus diesem Grund eigentlich recht geschah, daß er sich in der Gewalt der Übeltäter befand.
Und wenn er niemals nach Potosi zurückkehrte? Nun – dann gab es eben bereits einen Nachfolger für ihn.
Die Boten, die sich von Potosi auf den Weg nach Arica begeben sollten, würden mit vier Maultieren reisen, um schneller voranzukommen. Sie würden den Banditentrupp überholen müssen – unbemerkt natürlich, das verstand sich von selbst. Eine knifflige Aufgabe, die nicht leicht zu bewältigen war. Man mußte die richtigen Männer dafür aussuchen, sie durften auf keinen Fall Hasenfüße sein. Entscheidend war nur, daß sie um jeden Preis vor dem Banditengesindel in Arica eintrafen.
Der Bürgermeister von Potosi setzte für seinen Amtskollegen in Arica ein entsprechendes Schreiben auf, in dem er auch ausführte, wie viele Banditen es waren, wie sie aussahen und daß sie sich in Begleitung von zwei Padres befanden, die aber genausogut auch ganz gewöhnliche Galgenstricke sein mochten. Gott allein wußte, wo sie die Kutten entwendet hatten, die sie trugen.
Der Polizeipräfekt suchte von den dreißig Aufsehern die beiden härtesten Burschen heraus. Sie hießen Delon und Ventura und standen an Brutalität und Rücksichtslosigkeit dem inzwischen spurlos verschwundenen und vermißten Luis Carrero in nichts nach.
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