Andere Bürger waren aufgetaucht, nach und nach wagten sich immer mehr hinaus. Sie wollten wissen, was geschah. Lopez Garcia Marquez war es, der durch seine Worte die Volksseele erst richtig zum Kochen brachte.
„Keiner kann mir erzählen, daß diese Lumpen nur ihr Gerümpel auf dem Karren haben“, sagte er. „Sie besitzen doch überhaupt nichts. Sie pennen mal hier und mal da und haben nichts als die Fetzen, die sie auf dem Leib tragen. Und der Karren – den kenne ich. Der gehört zur Casa dela Moneda!“
Casablanca war ziemlich unwohl zumute. Denn wenn seine Frau davon erfuhr, daß er im Hurenhaus zu Gast gewesen war, dann hatte er verspielt. Er war aber auch froh, daß Garcia Marquez die Initiative übernahm. Allmählich zog er sich zurück und lief ins Haus, setzte sich auf einen Stuhl und atmete erst einmal tief durch.
„Was ist los?“ fragte ihn seine Frau, und seine Kinder scharten sich mit bangen Mienen um sie.
„Das Gesindel ist unterwegs“, sagte Casablanca. „Überall wird geplündert, wie es scheint. Dieses Pack stiehlt alles, was ihm in die Finger fällt, und keine Frau ist vor ihnen sicher. Geht ja nicht auf die Straße.“
Er erhob sich wieder und begann, die Fensterläden zuzurammen. Es war wirklich besser, sich vorläufig nicht hinauszuwagen. Erst am Morgen durfte man seinen Fuß wieder über die Schwelle der Haustor setzen, wenn die Galgenstricke und Gauner das Licht scheuten und verschwanden.
Männer wie Garcia Marquez dachten in diesem Punkt jedoch anders. Viele Bürger hatten sich inzwischen auf den Straßen eingefunden und lauschten dem, was Garcia Marquez ihnen mitzuteilen hatte.
„Diese Lumpenhunde“, sagte er. „Sie haben viel schneller als wir gespitzt, was die Glocke geschlagen hat. Sie haben getan, was keiner von uns sich jemals getraut hätte – sie haben die Münze ausgehoben!“
Empörte Stimmen wurden laut, die Männer murrten und fluchten.
„Nach Abzug der Feinde sind diese Banditen in die jetzt unbewachte Casa gehuscht und haben kräftig zugelangt!“ rief Garcia Marquez. „Sie haben die Silberbarren, die von den Fremden nicht entwendet wurden!“
„Andere sind zur Residenz des Gouverneurs unterwegs!“ schrie ein Mann.
„Sie sacken alles ein, was irgendwie von Wert ist!“ rief Garcia Marquez.
Wieder gab es einen Zwischenruf. „Das müssen wir verhindern!“
„Diese Elemente nutzen die Gunst der Stunde und plündern alles aus“, sagte Garcia Marquez aufgebracht. „Dieser Aderlaß ist noch gewaltiger als das, was die Fremden angerichtet haben. Wir müssen etwas dagegen unternehmen!“
„Dann los!“ schrie ein junger Mann. „Packen wir diese Hunde! Bewaffnet euch mit Knüppeln! Schlagt sie tot!“
Die Bürger setzten sich in Bewegung. Inzwischen gab es keinen mehr, der nicht wußte, was sich abspielte. Der Pöbel hielt sich schadlos – das mußte unterbunden werden! Ein Teil der Bürger – wie Casablanca – zog es vor, in den Häusern zu bleiben. Aber die Zahl derer, die zornig gegen den Pöbel ins Feld zogen, war größer. Es herrschte plötzlich Aufruhr in den Straßen und Gassen von Potosi. Gruppen von Bürgern liefen zur Casa de la Moneda, andere hielten auf die Residenz des Gouverneurs zu.
Salimbene, El Moreno und Rubirosa waren in der Residenz und hasteten auf der Suche nach Wertvollem durch die Räume. Sie hörten aber auch den Lärm, der sich draußen entwickelte.
„Es gibt Krawall“, sagte Salimbene. „Das hab’ ich mir gleich gedacht. Rubirosa, geh du raus und paß auf den Karren auf.“
Der Karren mit den Silberbarren stand in einer Gasse unmittelbar neben der Residenz. Sie hatten ohnehin ein ungutes Gefühl gehabt, ihn ohne Aufsicht zurückzulassen. Rubirosa kehrte in die Gasse zurück und hielt Wache – und er sah die Gestalten, die sich mit Knüppeln über die Plaza bewegten.
„Hunde, elende“, murmelte er. „Glaubt ihr, ihr könnt uns aufhalten? Da habt ihr euch aber getäuscht.“
Noch hatten sie ihn und den Karren nicht entdeckt. Aber er hielt das Messer bereit. Den ersten, der mich anfaßt, steche ich ab wie ein Schwein, dachte er grimmig.
Die anderen Bürger hatten inzwischen die Casa de la Moneda erreicht und drangen durch die Tür, die nur angelehnt war, ins Innere ein. Sie erwischten die Plünderer, die gerade die letzten Barren verteilten, und stürzten sich wutentbrannt auf sie.
Palmiro wurde von einem Knüppelhieb getroffen und stürzte schwer auf den Fußboden. Er stöhnte auf. Jemand trat ihm in die Seite. Er sah rot, warf sich herum, packte den ersten Knüppel, den er erwischen konnte, und riß seinen Besitzer um. Dann stieß er diesem das Knüppelende in den Bauch, rappelte sich wieder auf und drosch wild um sich.
Der Kampf tobte durch alle Räume. Die Bürger waren in der Überzahl, aber die Galgenstricke hatten Messer, die sie jetzt einsetzten. Ein Bürger sank getroffen zu Boden, ein anderer sank über einem Tisch zusammen. Schreie gellten, Flüche ertönten.
Salimbene und El Moreno waren in der Residenz des Gouverneurs noch ungestört, aber sie gaben sich keinen Illusionen hin. Die Bürger rückten an und würden über sie herfallen, wenn sie ihnen nicht wie durch ein Wunder entgingen.
Lopez Garcia Marquez führte seinen Trupp von wütenden, knüppelschwingenden Männern über die Plaza. Noch mehr Männer hatten sich zu ihnen gesellt, und alle wollten den Plünderern an den Kragen. Die einen handelten aus Neid, die anderen aus Empörung, daß sich diese Strolche am königlichen Eigentum vergriffen.
El Moreno entdeckte in einem der vielen Räume einen reich verzierten Schrank. Er öffnete ihn – und prallte zurück. In dem Schrank hielt sich ein Mensch verborgen: ein Indiomädchen, nur spärlich bekleidet.
Er grinste. „Hallo, so eine Überraschung! Was treibst du denn hier?“
„Tu mir nichts“, sagte sie, und er sah, daß sie zitterte.
Salimbene trat ein. „Was ist los, Moreno?“
„Sieh mal, was wir hier haben.“ El Moreno musterte das Mädchen ungeniert von oben bis unten. Sie war sehr jung, sehr zart und sehr hübsch.
Salimbene war neben ihm und schaute sich das Mädchen ebenfalls an.
„Warum bist du nicht abgehauen?“ fragte er. „Alle Sklaven sind freigelassen worden.“
„Ich – habe Angst gehabt“, stammelte sie. „Angst. Vielleicht ist alles nur ein Spiel. Ein Trick. Don Ramón hat sich immer neue Spiele einfallen lassen.“
„So ein perverses Schwein, dieser Don Ramón“, sagte El Moreno. Er grinste immer noch und schien das Mädchen mit seinem Blick auf der Stelle festnageln zu wollen.
„Verstehe schon“, brummte Salimbene. „Aber nein, es ist kein Trick. Lauf jetzt weg. Keiner wird dich aufhalten.“
„Wir könnten sie aber auch mitnehmen“, schlug El Moreno vor.
„Schlag dir das aus dem Kopf.“
„Als Kurzweil für unterwegs, meine ich.“
„Ich weiß schon, was du meinst“, sagte Salimbene zu seinem Kumpan. „Aber daraus wird nichts. Klar?“ Er ließ das Indiomädchen aus dem Schrank klettern und wollte ihr den Weg zeigen, wie sie am besten aus dem Palast entkam. Aber sie kannte sich besser aus und schlüpfte durch eine Hintertür ins Freie – während von vorn die lärmenden, fluchenden Bürger hereinstürmten.
Salimbene und El Moreno hatten inzwischen festgestellt, daß sie nicht die einzigen waren, die sich in der Residenz umsahen. Eine andere Gruppe von Dieben war hier – acht Kerle, die im oberen Stockwerk plünderten.
„Haut ab!“ zischte ihr Anführer Salimbene zu, als er diesen auftauchen sah. „Zeigt die Hacken! Ihr habt hier nichts verloren!“
„Halt mal die Luft an“, sagte Salimbene und wies nach unten. „Da kommen die Bürger. Wenn wir uns nicht gegen sie zusammentun, sind wir geliefert.“
Das sah der Anführer der Bande ein. Gemeinsam stürmten sie über die breite Treppe nach unten und warfen sich den Angreifern entgegen. El Moreno lieferte sich mit einigen Bürgern bereits ein hitziges Knüppel-Messer-Gefecht. Es endete damit, daß zwei der Bürger tot zu Boden sanken. Und dann ging der Kampf erst richtig los.
Читать дальше